Inhalt der Printausgabe
Diese Konzerne machen sich unschädlich
Der Tabakhersteller Philip Morris fordert ein Zigarettenverbot in Großbritannien bis 2030 und investiert in Gesundheitsprodukte. Die Kampagne »Unsmoke Your World« soll werbewirksam zum Umdenken anregen: Wer nicht raucht, soll gar nicht erst anfangen. Raucher*innen sollen aufhören, und wer das nicht kann, soll seinen Konsum reduzieren oder auf weniger schädliche Zigaretten-Alternativen umsteigen. Andere Unternehmen ziehen nach und setzen zum radikalen Strategiewechsel an. TITANIC stellt ihre Pläne vor.
NETFLIX
Auch wenn Streaming doch gar nicht so klimaschädlich ist, wie diese eine Studie behauptet, will Netflix mit einer Reihe von Maßnahmen seine CO2-Emissionen senken. Dafür wird zunächst Autoplay deaktiviert. Außerdem erscheint die Frage »Schauen Sie noch?« alle 15 Minuten auf dem Bildschirm und muss doppelt bestätigt werden, sonst stoppt die Wiedergabe. Jede halbe Stunde erfolgt zusätzlich eine Passwort-Abfrage. Um das Suchtpotential der Serien zu reduzieren, verzichtet Netflix ab sofort auf Cliffhanger und lässt die Folgen an beiläufigen Stellen enden. »Tiger King« und »Black Mirror« gibt es nur noch in SD zu sehen, mehr schwer verständliche Science-Fiction-Serien wie »Dark« laden zum Aussteigen ein und werben außerdem für klimafreundliche Zeitreisen. 90er-Jahre-Szenerien wie in »I Am Not Okay With This« sollen Zuschauer anregen, ihr Smartphone seltener zu nutzen. Nachhaltiger wird auch das Sendungsangebot für Foodies: Ein erster Anfang ist die Show »Das Beste vom Rest«. Und zukünftige Streetfoodtrips führen nicht mehr durch Südostasien, sondern durchs Ruhrgebiet, entlang des sog. Currywurstgürtels. Vermehrtes von Product Placement, z.B. von Maggi-Würze in Kochshows oder weiteren Apple-Geräten in anderen Serien und Filmen, generiert derweil zusätzliche Einnahmen.
VONOVIA
Der Immobilienkonzern hat wegen Mietsteigerungen und Nebenkostenexplosionen einen schlechten Ruf. Und weil Stadtflucht sowieso gerade im Trend liegt, will Vonovia verstärkt auf den Verkauf von Landhäusern setzen. In der Provinz könne man ein Gebäude auch mal ein paar Jahre leerstehen lassen, ohne dass sich gleich jemand aufregt, freut sich ein Sprecher des Unternehmens. Aber auch für Kunden bietet das neue Angebot viele Vorteile: Niemand, der dies nicht will, muss mehr Vonovia-Mieter sein. Stattdessen kann man nun auch Hausbesitzer im Speckgürtel vom Speckgürtel werden und muss sich trotzdem, wie ein Mieter in der Stadt, um nichts kümmern. Verträge mit 40jähriger Laufzeit sind bei allen Immobilienkäufen inklusive und sorgen dafür, dass Vonovia-Tochterfirmen Rasen mähen, Laub blasen, Winterdienst und Straßenausbesserungen übernehmen. Viele Häuser können gleich möbliert (z.B. mit motorisiertem Pflegebett, rustikaler Schrankwand und Gefriertruhe) übernommen werden. Plus: Bei einigen Grundstücken gibt es noch ein Tiny House (»Werkzeugschuppen«) gratis mit dazu. Die Infrastruktur ist vielerorts zwar nicht wie in der Stadt, dafür garantieren Funklöcher Work-Life-Balance. Metallsammler sorgen außerdem dafür, dass nirgendwo ein E-Roller den Gehweg versperrt, nur Rollatoren sind hier und da zu sehen.
LIEFERANDO
Nachdem Lieferando wegen Ausbeutung und mangelnder Arbeitssicherheit seiner Kuriere in die Kritik geraten ist, will das niederländische Plattformunternehmen den »Ridern« bessere Bedingungen bieten. Hierfür soll ihnen ein neues Geschäftsmodell das Arbeiten von zu Hause aus ermöglichen. Um dies zu realisieren, werden Konsumenten ermuntert, sich ihr Essen selbst zuzubereiten. Die Zutaten können die kontaktscheuen Kunden des Lieferdienstes weiterhin online bestellen und anschließend in den neuen Emmando-Shops abholen. Diese betreiben ehemalige Kuriere als Franchiser von zu Hause aus. Lieferando stellt ihnen Kameras und ein Tablet zur Verfügung und zahlt eine Fußboden- und Regalabnutzungspauschale. Der Kunde bestellt Waren online, die der Emmando-Shopbetreiber bei Lieferando zu Festpreisen vorher eingekauft hat und möglichst kontaktlos übergibt. Bezahlt wird über die App. Die Öffnungszeiten der Shops legt Lieferando fest (6–0.30 Uhr). Das Angebot wurde in einem Modellprojekt bisher gut angenommen, nur einige Kunden äußerten in Bewertungen Kritik (»Emmando-Shop-Betreiber öffnete um 1 Uhr nachts im Bademantel die Tür!! So was von unprofessionell, geht gar nicht!!!«).
AMAZON
Da dem Konzern eine Mitschuld am Sterben vieler deutscher Innenstädte gegeben wird, will er seine Kunden öffentlichkeitswirksam zum Einkauf in der City animieren. Um sein Image weiter zu verbessern, möchte Amazon außerdem weniger Neuwaren vernichten. Hierfür plant das Unternehmen Pop-up-Stores in den Zentren strukturschwacher Städte. Diese sollen Retouren verkaufen und damit das vorhandene Angebot sinnvoll ergänzen (»Alles 2 Euro«). Man kann dort mit dem Smartphone einchecken und weiterhin digital bezahlen. Verkäufer sehen die Konsumgewohnheiten der Kunden im Kassendisplay und können ihnen zusätzliche Angebote unterbreiten. Prime-Mitglieder kommen außerdem schneller dran und kriegen weitere Rabatte. Am Kassenband wird die Eintütgeschwindigkeit gemessen, und nach dem Einkauf gibt es ein Feedback (»Ihre Nachbarn haben heute deutlich mehr ausgegeben als Sie und etwas schneller eingepackt«).
Während Zuckerberg junge Nutzer ins Metaversum locken will (siehe dazu Seite 60), verfolgt er für die klassischen Produkte des Konzerns eine andere Strategie. Weil Facebook wegen negativer Auswirkungen des sozialen Netzwerkes auf die Psyche von Jugendlichen gerügt wurde, will er seine Bemühungen, junge Nutzer anzulocken, einstellen. Teenager, die nicht bei Facebook sind, sollen sich gar nicht erst anmelden. Wer dort ist, sollte offline gehen. Und wer das nicht kann, soll sein Nutzungsverhalten ändern und weniger Zeit online verbringen. Um dies zu erreichen, spült Facebook seinen Nutzern vermehrt Erinnerungen an negative Lebensereignisse in die Timeline. Außerdem wird die Suchfunktion in Gruppen verbessert, damit Beiträge schneller gefunden werden. Wer Gefahr läuft, sich zu radikalisieren, bekommt in Zukunft nicht noch mehr Verschwörungsinhalte angezeigt, sondern wird von Facebook freundlich angestupst. Auch Instagram und Whatsapp, die ebenfalls zum Facebook-Konzern gehören, wollen vor allem junge User dazu bringen, häufiger offline zu sein. Bei Instagram können Fotos dann nicht mehr vom Smartphone, sondern nur von Computern mit möglichst veralteter Ausstattung hochgeladen werden. Retuschen werden verboten, dafür sind unvorteilhaft-bräunliche 80er-Jahre-Filter ab sofort Pflicht, bei Autofotos sind nur Oldtimer (erkennbar an der eckigen Form) erlaubt. Whatsapp schafft Gifs und Emojis ab, was auch die älteren User hart treffen könnte, dafür aber den Traffic um bis zu 40 Prozent reduzieren soll. Das Mikrofon vom Messenger bleibt weiterhin »scharf« gestellt, ergänzt wird dies in Zukunft von Offline-Bewegungsdaten.
Julia Mateus