Inhalt der Printausgabe
Hasta Alabaster, Baby
von Ella Carina Werner
Es liegt ein Knistern in der Luft, die letzten Zugvögel schwirren aufgeregt umher, die ganze Modewelt steht Kopf, und die Militärwelt auch, denn in wenigen Tagen gibt das Pantone Color Institute in New Jersey die Trendfarbe des Jahres 2022 bekannt. Das Pantone Color Institute ist auf dem Feld der Farben so etwas wie die Johns-Hopkins-Universität für Infektionszahlen oder Christian Lindner für die libertäre Demokratie: Was hier gesagt wird, gilt. Viele Menschen rätseln: Was wird es dieses Mal? Dunkelgrün? Kokainweiß? Betongold? Aschgrau wie die erkaltete Lava La Palmas oder schwarz wie die unergründlichen Pupillen von Jeff Bezos? Denn die Wahl ist natürlich immer auch ein Spiegel zeitgenössischer Entwicklungen und Ereignisse.
Wie gerne würde ich für das Pantone Color Institute in New Jersey tätig sein! Wie gerne würde ich dort am Montagmorgen zur Arbeit gehen, das neunstöckige viktorianische Backsteingebäude erklimmen und sämtliche BürokollegInnen mit Handschlag begrüßen, 497 an der Zahl. Ich würde mir einen Kaffee machen und minutenlang zusehen, wie das Wolkenweiß des Milchschaums das Witwenschwarz des Kaffees »konfundiert«, wie wir Fachleute sagen, ehe ich mich in meinen Bürosessel fläze in der Trendfarbe von ’03, Himmelblau. Fast wäre es Purpur geworden, aber das ist eine andere, aufwühlende Geschichte.
Um elf Uhr das erste Meeting mit sämtlichen Top-Experten im großen Konferenzraum, darin versammelt: siebzig, achtzig der besten Köpfe der Welt. Prismaphysiker, Farbpsychologen, Synästhetiker, LSD-Konsumenten und 23 ganz normale PR-Arschlöcher. Wer hier arbeitet, kennt mehr Weißtöne als die Inuit, sämtliche politischen Farbenspiele und hat schon mal einen Regenbogen gesehen. Die Institutsleiterin – stellen Sie sich Bärbel Bas in getigertem Overall und metallic-blauen Stilettos vor – gibt ein Briefing, was übers Wochenende in Sachen Farbentwicklung so alles passiert ist. Jacinda Ardern wurde in einem lachsfarbenen Pulli gesichtet. Die ersten Petunien blühen auf. Das jemenitische Militär trägt seit kurzem Khaki. Ai Weiwei hat sich einen neuen Pott Alpinweiß gekauft. In Burkina Faso gibt es eine Gelbfieberwelle. Separatistische Tendenzen bei United Colors of Benetton.
Farbkongress in Rotterdam
Eine Institutsmitarbeiterin referiert über neueste Trends bei Farbbeutelanschlägen. Die gut gebräunte Delegation der Außendienstler berichtet von ihrer Dienstreise nach Turkmenistan, wo Diktator Gurbanguly Berdimuhamedow einen neuen Farbton eingeweiht hat, gurbangulyberdimuhamedowblau, ehe sie zur wichtigsten, eigentlichen Frage übergeht: Was macht die Konkurrenz, machen insbesondere die Grünschnäbel vom AkzoNobel Global Aesthetic Center in Wyoming, die seit ein paar Jahren rotzfrech den Markt aufmischen?
Es sind unbeständigere Zeiten als damals, vor ’89, als der eisengraue Vorhang noch hing und das Koloritzki Studiozki in Krasnodar, Südrussland, der schärfste Konkurrent war. Die Verhältnisse waren klar wie blassbraune Kloßbrühe. In den Siebzigern wählte Krasnodar als Trendfarbe Rot, Jersey konterte mit einem dissonanten Pinkton. Im nächsten Jahr wählte Krasnodar wieder Rot, New Jersey hielt mit einem frischen Grünton krass komplementär dagegen, was die nukleare Weltlage nicht gerade entspannte. In den 80ern rüsteten die beiden Superinstitute weiter hoch mit immer grelleren Schockfarben, die einander bissen wie rallige Reptilien. Es war die Ära der Schattenkrieger und Spione, als sowjetische Spitzel das Color Institute durchstreiften, in giftgrünen Trenchcoats, aber ein Gefühl für Farben hatten sie wie sonst niemand. Das waren Zeiten, als die charmante Schnüfflerin Olga Montgomery – stellen Sie sich die blutjunge Rita Süssmuth mit pfirsichfarbener Fellmütze vor – zur engsten Vertrauten und Geliebten des damaligen Institutsleiters in New Jersey aufstieg, der Privates und Berufliches leider nicht trennen konnte und unter dem Decknamen »Inky de Colores« sämtliches Farbwissen zum Erzfeind durchstach – als gut getarnte Doppelagentin aber auch vice versa! Verwirrung total, da ging’s im Tuschkasten drunter und drüber, bis man eines Nachts Olga Montgomery unter einer Moskauer Brücke in Blausäure aufgelöst fand. Vom anschließenden Stellvertreterkrieg zwischen dem albanischen Farbsalon »Sallon shumëngjyrësh« und der peruanischen Färberei »Tintura« erzählt man sich noch heute.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und des kommunistischen Farbkreises war’s mit der Konkurrenz erst mal vorbei. Klar, hier und da tanzte mal ein mittelamerikanisches Modemagazin aus der Reihe und propagierte plötzlich Aztekengold als Trendfarbe, doch echte Rivalen gab’s keine. Schon gar nicht diese eine bummelige Deutsche Farbbehörde mit ihren 758 MitarbeiterInnen, alle verbeamtet – irgendwelche Alfreds und Ingrids, die Farbnormen für Turnmatten und Medizinbälle anordnen, den Pelikan-Kasten glorifizieren und den RAL-Farbkatalog, und am Ende irgendwas zusammenpanschen von Ostpreußischblau bis Dudengelb, das außerhalb der Landesgrenzen kein Schwein interessiert. Besorgniserregender da schon das seit ein paar Jahren expandierende Yánsè-Yánji-su Institut in Chongqing, das mit immer neuen, provokanten Farbtönen wie Opiumgrün oder Huaweiß sowie immer aggressiveren Methoden (Chinesisches Orakel, Social-Media-Arbeit) auf den globalen Markt drängt.
Um 13 Uhr ist das Meeting zu Ende und der wichtigste Programmpunkt des Tages steht an: ein Besuch in der Institutskantine. Von Gelblinsen mit Blaukraut über Buntbarsch mit Grünzeug bis Rotkehlchenragout in Blue Curaçao ist die Auswahl riesig. Danach habe ich ein paar Stunden Zeit für die Beantwortung von Anfragen aus der ganzen Welt, die per Mail und Fax eintrudeln. Kann man Umbra noch anziehen? Spielen Korallenrot und Gletscherblau in Zeiten des Klimawandels noch eine Rolle? Ein jordanisches Herrenmagazin will wissen: Sind pastellgelbe Hemden schwul? Die Pressesprecherin eines namhaften mongolischchinesischen Trockengebiets erkundigt sich am Telefon mit Suggestivstimme, warum dieser eine hübsche Farbton eigentlich Sahara heißt und nicht Gobi und ob man das mit einer kleinen Finanzspritze von 10 000 000 mongolischen Tögrög nicht ändern könne?
Jubel auf der Chefetage nach Wahl der Trendfarbe 2013
Müde und ausgepowert, aber auch ein bisschen beschwingt, fahre ich am späten Abend nach Hause zu meinen lieben Zwillingstöchtern Mauve und Sepia. Gegen Mitternacht ziehe ich mir, um runterzukommen, noch ein paar feministische Pornos rein, aber nur schwarzweiße.
Von Dezember bis Mai ist’s auf Arbeit halbwegs ruhig, doch dann beginnt die heiße Phase. Ab Juni darf niemand mehr Urlaub nehmen, denn im November gibt das Pantone Color Institute die Trendfarbe für das neue Jahr bekannt, und bis dahin ist noch »an arse full of work« (Institutsleiterin) zu tun. Natürlich gibt es Überstunden, wird gekungelt und gekokst, anders ist der Stress gar nicht zu bewältigen. Um die eine, optimale Farbe des Jahres zu wählen, durchforsten sämtliche MitarbeiterInnen die ganze Welt der Farbeinflüsse: Textiltrends, Naturkatastrophen, Tuschkasten-Updates, paramilitärische Uniformen, die Farbe des Klärschlamms in Zentralafrika und der Darminhalt verendeter Seevögel, alles ist wichtig, alles spielt mit rein.
Die drei, vier Sozis im Team plädieren für Bauarbeiterblutrot, um auf die Ausbeutung im Fußball-WM-Gastland Katar aufmerksam zu machen, finden aber kaum Gehör. Jemand bringt Königinnenblau ins Spiel, um den internationalen Trust an Feministinnen milde zu stimmen, stößt bei der Institutschefin jedoch auf taupe Ohren, die sich in diesem Jahr für Arschlochbraun stark macht, um gängige Erwartungshaltungen zu unterlaufen. Ein Senior Director of Colors hält eine flammende Rede für Petrolblau, das an die Weite des Ozeans erinnere, an die blauen Nadeln der Stechfichte und die blutbespritzten Trainingsanzüge in dieser sauguten Serie »Squid Game«. Was folgt: Endlose Fachdiskussionen bis spät in die Nacht. »Purpur looks shitty!« – »Orange is ugly!« Natürlich gibt es Lager. Die Puristen, die auf die Grundfarben pochen, die Pastell-Freaks, Neon-Prolos und Naturfarben-Fundis, mit denen niemand spricht. Und weitere Powerpoint-Präsentationen, Tränen, Burnouts sowie mehrere Anrufe von Diktator Gurbanguly Berdimuhamedow, ob man nicht vielleicht …
Natürlich gibt es Vorschläge von »da daußen«. Natürlich gibt es Bestechungsversuche, die fast alle glücken. Die internationale Eierschalen-Lobby klopft an, ein undurchsichtiger Kollege wirbt plötzlich für RockBlack, verbittet sich jedoch den Vorwurf einer Einflussnahme von außen. Die Stimmen der Belegschaft werden schriller. »You make me fuchsia!« – »You guys talk Zinnober!« Der Vize-Chef, ein international geachteter Experte – stellen Sie sich Peter Scholl-Latour mit fliederfarbenem Schlapphut und japanischem Farbfächer vor –, nimmt mich zur Seite und flüstert, wenn ich Beige auf die Shortlist wähle und Limette verschmähe, stünden mir ein paar interessante neue Aufgaben und ein neuer Titel als Junior Director of Colors ins Haus, ehe der Haudegen noch am selben Abend als chinesischer Spitzel enttarnt und auf der Stelle erschossen wird. Am nächsten Tag kristallisiert sich endlich eine Mehrheit pro Limette heraus, die jedoch am übernächsten ein paar rätselhafte Verkehrsunfälle erleidet, während in der Ferne die Flachpfeifen aus Wyoming und Chongqing …
Vermutlich bliebe ich im Color Institute in New Jersey nur eine einzige Saison, weil ein neues Angebot winkte: ein lukrativer Beratervertrag in Turkmenistan, um neue Farbnuancen zu kreieren, zum Beispiel gurbangulyberdimuhamedowgelb. Ein letztes Mal stiege ich das viktorianische Backsteingebäude hinab und winkte allen noch lebenden KollegInnen: Hasta Alabaster, Adios Indigos, ich mach mich vom Ocker.