Inhalt der Printausgabe

Goodbye,
Mister Tagesschau

Es war eine Nachricht, die selbst die in Sachen Nachrichten einiges gewohnte Nachrichtenwelt erschütterte: Jan Hofer, Mister Tagesschau persönlich, hat angekündigt, in den Ruhestand zu gehen. Mit ihm geht auch ein Stück Fernsehgeschichte. Warum er geht, was er jetzt vorhat und wie wenig er wirklich von seinem Nachfolger hält (gar nichts) – jetzt in der Homestory

»Guten Abend, meine Damen und Herren, herzlich willkommen an meiner Haustüre«, sagt Jan Hofer, kurz nachdem wir den Summer an der Tür gedrückt haben und die polyphone Tagesschaumelodieverstummt ist. Mit einem Prusten lockert er die peinliche Stille auf. »Kommt rein, Leute!« sagt er bemüht locker und winkt uns vorbei an einem Werbeaufsteller für Kijimea-Reizdarm Pro Kapseln (jetzt rezeptfrei in der Apotheke erhältlich) in den Hausflur. An der Wand hängen Fotos aus den Jahrzehnten seiner Fernsehkarriere:

Hofer beim Tennis auf Ibiza mit Kai Pflaume in den 90ern, Hofer beim Karneval 1982 in der SWR-Kantine als Fliegenpilz verkleidet und: Hofer in seiner Flowerpower-Phase mit Batikshirt und langen Haaren, wie er an einem Wetterfrosch des WDR leckt. Das, so sagt er ein wenig beschämt, seien natürlich alles streng kontrollierte Entgleisungen gewesen. Normalerweise sei so etwas nicht vorgekommen.

Man glaubt es ihm gern. Denn mit Hofer verlässt eines der letzten seriösen Gesichter die Bühne des deutschen Fernsehens. »Moderieren in Turnschuhen, das hat sich früher nur Cherno Jobatey getraut!« sagt er. Hofer, das war immer auch ein Stück alte Bundesrepublik. Im Prinzip habe sich über die Jahre aber sowieso nichts geändert. »Es sitzen immer noch überall Arschlöcher an der Macht!« sagt er, offensichtlich selbst ein wenig überrascht über seine Worte, lacht und lockert sich die Freizeitkrawatte.

Jan Hofer in Rente, viele können sich das nur schwer vorstellen. Immerhin sieht der adrette Anchorman trotz 70 Jahren Lebenserfahrung im richtigen Scheinwerferlicht immer noch aus wie Mitte 40. Als er bereits aussah wie ein Mann Ende 50. Der sich aber sehr gut gehalten hat. Zumindest, wenn man nicht genau hinsah. Alterslosigkeit, so sagt er, sei eine dankbare Eigenschaft für einen Nachrichtensprecher. Einen, der Beständigkeit vermitteln soll inmitten des turbulenten Weltgeschehens. Als Nachrichtensprecher stehe man immer im Vordergrund, sei der graue Paradiesvogel im Mittelpunkt.

Ab Ende des Jahres wird Jens Riewa seinen Posten übernehmen. »Wer?« fragt Hofer und wechselt schnell das Thema. »Habt ihr das aus Bergkarabach mitgekriegt? Erschreckende Bilder. Zu schade, dass sie in Zukunft niemand mehr adäquat anmoderieren wird …«

»Wie ist das Leben als Mister Tagesschau? Werden Sie auf der Straße erkannt?« wollen wir jetzt wissen. »Selten«, gesteht er. »Gestern hat mir am Bahnhof jemand ›Hurensohn‹ hinterhergerufen. Aber der hat mich wohl mit Peter Kloeppel verwechselt«, grinst er verlegen. »Entschuldigung. Wissen Sie, die Nachrichtensprecherbranche ist ein Haifischbecken. Vorn herum lachen sie dir ins Gesicht, hintenrum reden sie schlecht über dich. Also nicht ich, die Arschlöcher meine ich.«

Einmal habe er bei einer Gala wegen einer Magenverstimmung vom Buffet direkt auf die Toilette stürmen müssen, da habe es am nächsten Tag intern geheißen, er habe ein kleines Alkoholproblem. »Ein absoluter Karrierekiller«, sagt Hofer aufgebracht. »Einstellungsvoraussetzung bei den Öffentlichen ist mindestens ein großes Alkoholproblem!« Wer da nicht mithalten könne, der habe schlechte Karten. Nicht selten habe er sich deshalb den Wecker extra auf 3 Uhr nachts gestellt und sei stundenlang mit dem Auto Schleifen um die Stadt gefahren, um nicht wieder einzuschlafen. Nur damit er entsprechend zerknirscht und kaputt in der Redaktion antanzen konnte. Zum Glück, sagt er, habe aber nie jemand bemerkt, wenn er nüchtern zur Arbeit gekommen sei.

Er geleitet uns in die Sofaecke zur Couch, auf der einst schon Helmut Kohl gesessen haben soll, und deutet auf eine beträchtliche Kuhle im Polster. Wir vernehmen ein angestrengtes Schnurren und Röcheln, dann springt ein sichtlich vom Dasein überfordertes Fellknäuel auf Hofers Schoß. Hofers Kater Alexander, der an Katzendiabetes leidet, wie wir erfahren. Hofer streichelt ihn und zieht ihm den Scheitel mit dem Taschenkamm nach. Es sind diese Momente, die einem den Faktenteufel Hofer noch einmal ganz anders näher bringen. Hier, abseits der Mattscheibe, wirkt er menschlicher, nahbarer und auch irgendwie dreidimensionaler.

Und das ist nicht alles: Im November 2017, erzählt er, habe er begonnen, Kampffische in einem zum Aquarium umgebauten Röhrenfernseher zu züchten, was er mehrmals in Interviews erwähnt habe, um seinen Wikipedia-Eintrag aufzupeppen. Manchmal, da sei er sich selbst etwas zu langweilig, aber »das ist eine Berufskrankheit«, sagt er. Die Info mit den Fischen sei leider stets vom jeweiligen Redakteur herausgestrichen worden. Seitdem habe er die Fische auch nicht mehr gefüttert, ergänzt seine Frau Phong Lan, die gerade ein Tablett mit überdosiertem Kaffee an den Tisch balanciert. »Stimmt!« sagt Hofer amüsiert, und die beiden geben sich ein Küsschen durch die Luft. Immer wieder nennt er sie bei ihrem von ihm gewählten Kosenamen: »Meine sehr verehrte Dame«.

Ganz ohne Skandälchen ist aber auch Hofer nicht durch seine Karriere geschlittert. Unlängst war das Mikrofon nach der Sendung noch angeschaltet, als er sich mit Senderkollege Boetzkes darüber unterhielt, dass seine, Hofers, Immobilien inzwischen das Dreifache wert seien. Darauf angesprochen, winkt er ab. »Alles Schnee von gestern«, sagt er entspannt. »Inzwischen sind die das Fünffache wert!«

Bleibt die Frage: Wie hält sich jemand wie er, dessen Job es war, am Puls des Weltlaufs zu sein, in der Rente mental fit? »Hobbys sind wichtig«, sagt er. Er wolle nicht so enden wie andere Größen aus dem Geschäft, die sich an ein ausschweifendes Leben voller Reisen, Rotweingenuss und Lebenslust verlieren, sagt er mit leicht verächtlichem Ton und ballt die Faust. »Ulrich Wickert«, flüstert uns seine Frau fast tonlos zu, wir nicken.

Was er von seinem Nachfolger Jens Riewa halte, wollen wir bei der Gelegenheit noch einmal wissen. »Sackgesicht«, hustet Hofer gekünstelt in seine Faust. Er mache nur Spaß. Aber: »Mit so einer Frisur wurde man früher noch mit der Mikrofonstange verprügelt«, sagt er und deutet auf eine Narbe an seiner Stirn. »Zu Recht!«

»Bei all der Seriosität, der Sie sich über die Jahre verschrieben haben«, fragen wir nun, »juckt es Sie da nicht, das Leben nun künftig lockerer anzugehen?« Hofer zuckt mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was Sie meinen!« – »Nun, der Dresscode, die Askese, die Fische …« Stille. »Die Klingel, die Katze …«, zählen wir weiter auf. »Schon gut, schon gut!!« schreit Hofer. »Ich bin ja nicht komplett bekloppt. Sehe ich etwa aus wie vom Frühstücksfernsehen?«

Seine Mundwinkel verziehen sich. Auf dem Fernseher im Hintergrund taucht Jens Riewa auf. »Entschuldigung«, sagt seine Frau. »Es ist kurz vor acht.« Hofer steht auf. »Sie haben recht!« sagt er und reißt sich die Krawatte vom Hals. »Herrgott, Sie haben recht!« Hastig zieht er jetzt auch Schuhe und Hose aus und wirft sie durch den Raum. »Schatz! Den Wilson!« ruft er nun ungewohnt harsch. »Den Wilson?« fragt sie verschüchtert. »Den mit dem Autogramm von Kai?« – »Lispel ich etwa? Heiße ich Jens? Steh da nicht rum wie so ein ausrangierter Teleprompter!« So verschwindet sie in der Garage und kehrt mit einem Tennisschläger zurück. Hofer reißt ihn ihr aus der Hand. Schwungvoll schlägt er auf die 5.1-Boxen ein.

»Soll ich Ihnen etwas gestehen?« ruft er und deutet mit dem Schläger auf uns. »Ich habe seit zwanzig Jahren keine Hose mehr beim Moderieren getragen, hihihi! 20 Jahre! Hach, tut das gut! Ich fühl’ mich so … enthemmt – ich könnte direkt beim Privatfernsehen anheuern!« Staunend beobachten wir das Treiben. »Und die Zwangsgebühren, die werde ich mir auch noch zurückholen. Jeden. Einzelnen. Cent!! Haha!« schreit Hofer und schlägt beglückt auf den Fernseher in der Schrankwand ein. Erleichtert lässt er sich schließlich rücklings auf die Couch sinken, ein kurzes undefinierbares Quieken ertönt aus dem Eck, dann: Stille. Leise geben wir bekannt, nun genügend Material beisammen zu haben, und ziehen uns gen Haustür zurück. »Passen Sie auf sich auf«, ruft Hofer uns noch hinterher. »Das Wetter soll umschlagen. Mehr dazu in der Tagesschau mit diesem Typen, dessen Namen sich niemand merken kann, haha!« Hofers Lachen verhallt im Flur. Der Fernseher löst sich in Funken und Qualm auf, und wir sind froh und dankbar, eine neue Facette des ehemaligen Mister Tagesschau kennengelernt zu haben. Wir verabschieden uns und fahren mit quietschenden Reifen davon.


Fabian Lichter

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Nachdem wir, »Spiegel«,

Deine Überschrift »Mann steckt sich bei Milchkühen mit Vogelgrippe an« gelesen hatten, müssen wir selbst kurz in ein Fieberdelirium verfallen sein. Auf einmal waberte da Schlagzeile nach Schlagzeile vor unseren Augen vorbei: »Affe steckt sich bei Vögeln mit Rinderwahnsinn an«, »Vogel steckt sich bei Mann mit Affenpocken an«, »Rind steckt sich bei Hund mit Katzenschnupfen an«, »Katze steckt sich bei Krebs mit Schweinepest an« und »Wasser steckt sich bei Feuer mit Windpocken an«.

Stecken sich auf den Schreck erst mal eine an:

Deine Tierfreund/innen von Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

 Deine Fans, Taylor Swift,

Deine Fans, Taylor Swift,

sind bekannt dafür, Dir restlos ergeben zu sein. Sie machen alle, die auch nur die leiseste Kritik an Dir äußern, erbarmungslos nieder und nennen sich bedingt originell »Swifties«. So weit ist das alles gelernt und bekannt. Was uns aber besorgt, ist, dass sie nun auch noch geschafft haben, dass eine der deutschen Stationen Deiner Eras-Tour (Gelsenkirchen) ähnlich einfallslos in »Swiftkirchen« umbenannt wird. Mit Unterstützung der dortigen Bürgermeisterin und allem Drum und Dran. Da fragen wir uns schon: Wie soll das weitergehen? Wird bald alles, was Du berührst, nach Dir benannt? Heißen nach Deiner Abreise die Swiffer-Staubtücher »Swiffties«, 50-Euro-Scheine »Sfifties«, Fische »Sfischties«, Schwimmhallen »Swimmties«, Restaurants »Swubway« bzw. »SwiftDonald’s«, die Wildecker Herzbuben »Swildecker Herzbuben«, Albärt »Swiftbärt« und die Modekette Tom Tailor »Swift Tailor«?

Wenn das so ist, dann traut sich auf keinen Fall, etwas dagegen zu sagen:

Deine swanatische Tayltanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster