Inhalt der Printausgabe

Fördern und Dönern – Auf einen Grillgut-Teller mit Franziska Giffey

Aus TITANIC 3/2020

Ihre Wangen sind warm, als sie mich zur Begrüßung umarmt. Butterblonde Haarsträhnen kitzeln mein Gesicht. »Ich mag Menschen. Ihre Haut. Ihren Geruch«, schnurrt die 41jährige, lässt ab und zwickt mir in die Wange.

Da steht sie, Franziska Giffey, die größte Hoffnung der SPD seit Rudolf Scharping, beliebt im ganzen Land. »Weil ich so nett bin«, strahlt die Bundesministerin für Familie, Senioren, verlorene Jugend und irgendwas viertes. »Frauen«, erinnert sich Giffey, die sich in Interviews gerne als »pragmatische Feministin« bezeichnet. Herzlich winkt sie mich durch die Tür des »Super-Döner XXL«, unser Treffpunkt im Herzen von Neukölln, ihrem alten Kiez. Hier ist sie politisch groß geworden. Hier hat sie vor den Kameras ihren ersten Döner gegessen, ihren zweiten Döner gegessen, »und hier esse ich heute meinen 5000sten«, frohlockt sie und nimmt den Dönerwirt vor Freude in den Schwitzkasten. Franziska Giffey ist bekannt für ihre klare Sprache – eine Politikerin, die weiß, wie man mit den Bürgern redet. »Du – bringen – Döner?« ruft sie durch den Speiseraum und steuert zum nächsten freien Tisch.

Das Lehramtsstudium brach sie einst ab, um ihrer wahren Leidenschaft zu folgen: dem Verwaltungswesen. Nach ersten administrativen Pöstchen ging es rasch bergauf: Europabeauftragte in Neukölln, Bezirksstadträtin. Warum sie mit 29 Jahren in die SPD eingetreten ist? »Na, hätte ich sonst Kreiskassiererin im Kreisvorstand Neukölln werden können?« freut sich Giffey noch heute, die »pragmatische Genossin«. 2015 beerbte sie ihren Förderer Heinz Buschkowsky als Bürgermeisterin von Neukölln. »Herrlich, so viele Herkunftsnationen, so viele kunterbunte Menschen!« Giffey aß und trank auf türkischen und russischen Hochzeiten, auch wenn sie gar nicht eingeladen war, besuchte jeden Clan: »Die Remmos sind die nettesten, da gibt es lecker Dattelkekse.« Berührungsängste kennt sie nicht. »Darf ich mal?« streicht sie dem Herrn am Nebentisch über den Kahlkopf: »Fühlt sich witzig an!« Ja, ihre übergroße Menschenliebe sei schon auch eine Bürde. »Ich würde auch in Wuhan jeden mit Handschlag begrüßen«, lacht die Quoten-Ostdeutsche und inhaliert den Dampf ihres frisch gereichten Grilltellers.

In Neukölln ist Giffey noch immer beliebt, aber auch gefürchtet. Eine Politikerin, die Bürgernähe und Ordnungsdenken vereint wie keine zweite. Sie ließ »Müll-Sheriffs« die Vergehen der Anwohner filmen, holte Bodyguards an Schulen, zwang eine Mitarbeiterin, ihr Kopftuch abzulegen. Menschlichkeit und Unmenschlichkeit sind für sie keine Gegensätze. Giffey liebt klare Grenzen, insbesondere zu Polen: »Nicht jeder Osteuropäer verdient einen Platz an der Sonnenallee.« Giffey kann das Wort »nein« in 136 Sprachen sagen. Die Genossin schleckt die Kräutersoße vom Kinn, legt los: »Nein, nö, no, hayır …«

Sie schwang Reden für Abschiebungen und ein Kopftuchverbot, mit ihrer zarten, dünnen Stimme. »Das nennt man eine gute Fallhöhe«, schmunzelt Giffey und verrät ihren Trick: eine unheilbare Kehlkopfmuskelschwäche. Der Abschied 2018 aus Neukölln fiel ihr schwer. »Die Bewohner haben immer gesagt: Bleiben Sie, wie Sie sind. Sie sind so toll. Sooo toll!« Doch auch als Bundesministerin kann sie Erfolge verbuchen, etwa das »Gute-Kita-Gesetz«. Bald will sie noch mal nachlegen: Das »Sehr-Gute-Kita-Gesetz« ist bereits in Planung. Ein Schnauzbartträger betritt den Dönerladen. »El Presidente! Ich grüßen dich, alte Clan-Kanaille!« gellt Giffey und macht eine Ghettofaust: »Aber Bruder, denken dieses Jahr an Steuererklärung, ja?«

Giffey bestellt noch einen Döner. Zum Mitnehmen, für ihren Mann. Zur Zeit müsse sie nämlich nicht nur die osteuropäischen Arbeitslosen mit durchfüttern, sondern auch ihren Gatten, den betäubten Esel, der als Veterinär gerade seinen Beamtenstatus verloren hat. Sie selbst jedoch hat die Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit glimpflich überstanden. Eine Rüge erhielt sie für die vielen »Fehlzitate«. »Nur weil ich dauernd drei Gänsefüßchen statt zwei gesetzt hab«, mosert die eher pragmatische Wissenschaftlerin, dann guckt sie wieder heiter. Für Trübsal blasen ist keine Zeit. Zurzeit bewirbt sich Giffey um den Berliner SPD-Vorsitz, Bürgermeisterin will sie werden. Ihre Vision: aus Berlin ein einziges, buntes Neukölln zu machen und einen neuen Chef-Veterinär für sämtliche Bezirke einzustellen. Und danach? Die kommende Bundestagswahl 2021? Die ganz große Bühne? Giffey winkt ab: »Wenn ich eine Aufgabe übernehme, überlege ich nicht, was vielleicht noch danach kommt, außer Esken und Walter-Borjans schmeißen hin und Stephan Weil fragt mich ganz, ganz lieb.« Sie, die Probleme stets sehr direkt anspricht, beugt sich nah zu mir: »Es ist spät. Ich habe keine Lust mehr.« Zum Abschied nimmt sie mich noch einmal in den Klammergriff, ihre Wangen glühen noch heißer. »Wünschen Sie mir viel Glück, auch wenn ich es nicht brauche!« Mit kleinen, forschen Schritten eilt sie hinaus in die Neuköllner Nacht.

Ella Carina Werner

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Huhu, »HNA« (»Hessische/Niedersächsische Allgemeine«)!

Mit großer Verblüffung lesen wir bei Dir in einem Testbericht: »Frischkäse ist kaum aus einem Haushalt in Deutschland wegzudenken.«

Och, Menno! Warum denn nicht? Und wenn wir uns nun ganz doll anstrengen? Wollen wir es denn, HNA, einmal gemeinsam versuchen? Also: Augen schließen, konzentrieren und – Achtung: hui! – weg damit! Uuuund: Futschikato! Einfach aus dem eigenen Haushalt weggedacht. Und war doch überhaupt nicht schlimm, oder?

Es dankt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, einen kleinen Denkanstoß gegeben zu haben, wenn nicht gar einen Wegdenkanstoß: Titanic

 Keine Übertreibung, Mathias Richling,

sei die Behauptung, dass die Ampel »einen desaströsen Eindruck bei jedermann« hinterlasse, denn in den vielen Jahren Ihrer Karriere, so schilderten Sie’s den Stuttgarter Nachrichten, hätten Sie es noch nie erlebt, »dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst«.

Aber was bedeutet das? »Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen.« Nun beruhigt uns einerseits, dass Ihr Publikum, das sich an Ihren Parodien von Helmut Kohl und Edmund Stoiber erfreut, wohl immerhin weiß, wer Ricarda Lang ist. Als beunruhigend empfinden wir hingegen, dass offenbar Sie nicht wissen, dass Lang gar kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist.

Muss sich dazu nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen: Titanic

 Sie, Romancier Robert Habeck,

Sie, Romancier Robert Habeck,

nehmen Ihren Nebenjob als Wirtschaftsminister wohl sehr ernst! So ernst, dass Sie durch eine Neuauflage Ihres zusammen mit Ihrer Ehefrau verfassten Romans »Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf« versuchen, fast im Alleingang dem darniederliegenden Literaturmarkt auf die Sprünge zu helfen. Könnten Sie sich als Nächstes das Zeitschriftensterben vorknöpfen?

Fragt Titanic

 Ganz, ganz sicher, unbekannter Ingenieur aus Mittelsachsen,

dass Du Deine Verteidigungsstrategie nicht überdenken willst? Unter uns, es klingt schon heftig, was Dir so alles vorgeworfen wird: Nach einem Crash sollst Du einem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber handgreiflich geworden sein, nur um dann Reißaus zu nehmen, als der Dir mit der Polizei kommen wollte.

Die beim wackeren Rückzug geäußerten Schmähungen, für die Du nun blechen sollst, wolltest Du vor dem Amtsgericht Freiberg dann aber doch nicht auf Dir sitzen lassen. Weder »Judensau« noch »Heil Hitler« willst Du gerufen haben, sondern lediglich »Du Sau« und »Fei bitter«. Magst Du das nicht noch mal mit Deinem Rechtsbeistand durchsprechen? Hast Du im fraglichen Moment nicht vielleicht doch eher Deinen Unmut über das wenig höfische Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (»Kein Ritter!«) geäußert, hattest Deinen im selben Moment beschlossenen Abschied von den sozialen Medien (»Bye, Twitter!«) im Sinn, oder hast gar Deiner verspäteten Freude über die olympische Bronzemedaille des deutschen Ruder-Achters von 1936 (»Geil, Dritter!«) Ausdruck verliehen?

Nein? Du bleibst dabei? Und würdest dafür sogar ins Gefängnis gehen (»Fein, Gitter!«)?

Davor hat fast schon wieder Respekt: Titanic

 Damit hast Du nicht gerechnet, »Zeit online«!

Als Du fragtest: »Wie gut sind Sie in Mathe?«, wolltest Du uns da wieder einmal für dumm verkaufen? Logisch wissen wir, dass bei dieser einzigen Aufgabe, die Du uns gestellt hast (Z+), erstens der zweite Summand und zweitens der Mehrwert fehlt.

Bitte nachbessern: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nachwuchs

Den werdenden Eltern, die es genau mögen, empfehle ich meinen Babynamensvorschlag: Dean Norman.

Alice Brücher-Herpel

 3:6, 6:7, 0:6

Der Volontär in der Konferenz der Sportredaktion auf die Bitte, seine Story in drei Sätzen zu erzählen.

Ronnie Zumbühl

 Süße Erkenntnis

Für jemanden, der Pfirsich liebt, aber Maracuja hasst, hält die Welt viele Enttäuschungen bereit.

Karl Franz

 Hellseherisch

Morgen ist einfach nicht mein Tag.

Theo Matthies

 Dilemma

Zum Einschlafen Lämmer zählen und sich täglich über einen neuen Rekord freuen.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.11.2023 Stuttgart, Theaterhaus Max Goldt
30.11.2023 Erfurt, Franz Mehlhose Max Goldt
30.11.2023 Friedrichsdorf, Forum Friedrichsdorf Pit Knorr & Die Eiligen Drei Könige
01.12.2023 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer