Inhalt der Printausgabe
Einer, der es mit seinem Ding macht

»Irgendwie und irgendwo
Sind wir beide wieder froh
Komm nimm noch vom Alk
Wir zwei werden niemals alt
Als ich noch ein Junge war
War ich auch schon hier und da
Auf unsrem Kutter Wie gehts eigtl. Mutter«
Es sind Zeilen, die mich berühren wie sonst wenig anderes. In ihnen steckt alles, was man über das Leben, über mich und über ihn wissen muss: Udo Lindenberg. Geschrieben habe ich sie allerdings selbst. Eine Geschichte über Udo und mich.
Ich sitze an der Bar meines Hotels. Sandra bringt mir mein drittes Bier. Auf dem Zettel, der vor mir liegt, sind 27 vermerkt, vermutlich will sie mich mal wieder abziehen. Im Radio spielen sie den neuesten Udo-Song. Erst gestern oder vorhin war ich im Film »Lindenberg! Mach dein Ding«. Das weckte Erinnerungen an meine eigene Biographie, die auch viel mit Udo zu tun hat. Ich werfe einen Dime in in die Jukebox und schweife in Gedanken ab …
Es war der Spätsommer 1984. Meine Brüder und ich fuhren auf Mofas durch das westliche Westberlin. Wir träumten von Freiheit, von Atari und von Frisuren. Die Mauer stand noch und Sebi brachte diese Platte mit, die unser Leben schlagartig veränderte. »Born In The U.S.A.« rockte einfach und war von herausragender Qualität. Doch Sebi hatte noch ein weiteres Album dabei, »vom Rumpelflohmarkt in Altona«. Sie hieß »Bruder Bums« und war von Udo Lindenberg, der schon bald für uns einfach »der Udo« sein würde. Leute beim Vornamen nennen, das war unsere Revolte in diesen piefigen Zeiten. Und auch die von Udo. »Bruder Bums« war frisch und herrlich. Es waren Texte von anmutiger Schönheit, wie wir sie nicht aus unserer Sprache kannten. Deutsch war nicht länger die Sprache der Nazis oder Täter, sondern von nun an auch die von Udo. Total lustige, verrückte Figuren traten in unser Leben. Da war »Die schöne junge Lulu« und die »macht immer Pulu«. Da waren »Karl Kreissparkasse«, »Lars Likör« und die »Annika mit der Schürze da«, und klar, »der Honecker, der kriegt von mir Mecker«. Wahnsinn, Halligalli, politisch, wahrhaftig, genial. Ich glaube, so war das. Ein letztes Bier bitte noch, Sandra.
Wir strichen die Segel und gingen an Bord. Wir tauchten ein in eine Welt, die Udo hieß. Und dieser Udo, der steuerte mit uns gegen den Wind und nahm uns mit nach Hamburg und von da aus in die ganze Welt, brachte uns wieder zurück an Land, nach Hause, nach Etteldorf. Wir waren seine Matrosen, und er war unser Kapitän, der Udo.
Udo war seit diesem Spätsommer 1984, in dem meine Brüder und ich auf Mofas durch das westliche Westberlin fuhren, überall dabei. Udo wusste schon vor uns immer Bescheid. Wusste, wie das Leben verlaufen würde. Wusste, wie es uns dabei gehen würde. Er war unser Prophet. Wir nabelten uns von unseren Eltern ab, und Udo wusste das (»Irgendwann muss jeder aufs offene Meer / und seinen Hafen finden, schwer«). Uns geschah Unrecht, und Udo wusste das (»Manchmal ist das Leben einfach so / Jo«). Wir waren traurig, und Udo wusste das (»Honey, wein’ doch nicht, nimm noch ’nen Schluck vom prallen Leben /und vom Cognac kann ich dir auch noch ’n Gläschen geben«). Wir waren schockiert von der Politik, und Udo wusste das (»Krieg, oh nein, oh nein, oh nein /feiner Herr Politik, lass das lieber sein«). Wir hatten ein Geschlecht, und Udo wusste das (»Junge, du kannst alles schaffen /Mädchen, kann ich deine Nummer haben?«).
Sein Verhältnis zur DDR war auch immer wieder Thema. Unbeirrbar ließ Udo nicht ab davon, Erich Honecker seine Platten andrehen zu wollen. »Komm, Erich, wir zwei sind doch vom selben Schlag /Wir müssen zusammhalten, wenn ich’s dir doch sag«. 34 Songs hatte er dem ostdeutschen Generalsekretär bereits gewidmet, darunter »Bitte trag meine Lederjacke«, »Ruf mich endlich zurück auf meinem Sextelefon«, »Die DDR kann mehr« und »Mädchen aus Ostberlin«, da erwirkte »Easty-E« eine einstweilige Verfügung.
Im Gegensatz zu uns hatte der kleine Udo seinerzeit keine geeigneten Vorbilder, die ihm zeigen konnten, wohin die Kreuzfahrt des Lebens gehen würde. Die Nazizeit war noch sehr präsent. Er bewunderte Helden wie Woody Allen, Klaus Kinski, die Saufficktypen aus St. Pauli und Gerhard Schröder. Udo wollte weg, Udo wollte Geld, Udo wollte Ruhm und alles auskosten, und er war verliebt in ein älteres Mädchen (14). Udo ist sich treu geblieben und wir ihm. Auch heute noch liebt er Geld, Ruhm und Mädchen (14). Eines Tages, es waren die Siebziger, entdeckte er eine Sonnenbrille und einen Hut, sah in den Spiegel und fand sich richtig gut. Dann ging das los. Er lernte andere Musiker kennen, und man tat sich zusammen. »Harry mit den Schlagzeugskills, den nehm ich mit auf Tour /Karen spielt sexy Klavier, vielleicht sieht man sich mal sexuell«. Auch ich wollte Musik machen, doch das hat leider nie geklappt, weil ich es nie versucht habe. Sandra hat noch Schnaps.
Ruhm hat immer auch Schattenseiten. Nicht nur die neue Republik war ihm spinnefeind, auch die Moral-Kontrollettis, die Sittenpolizei, die Spießer-SA, die Tugendpförtner, der Konventionen-TÜV und der Ethikrat waren ihm ständig auf der Spur. Zumindest glaubte Udo das, und ich glaube ihm. »Ich mach mein Ding, egal was die Frauen und die Gerichte sagen«, wurde sein Credo. In den Neunzigern wurde es ruhiger um Udo. Einmal wäre er fast im Knast gelandet, als er beim Karneval in Likör getränkte Bonbons in die Menge und gegen einige Kinderköpfe warf. Die sogenannten Likamelle waren umstritten, aber eben auch Kunst.
Genauso rasant wie der Aufstieg war auch Udos Fall. Schwierig zu sagen, woran es lag. Es waren die Mädchen. Mehrmals pro Jahr geriet Udo ins Wanken, fiel vom Boot ins Wasser und landete im Krankenhaus. Doch auch da entstanden Hits. Aus allem kreierte Udo Text, und jeder Stoff war ihm recht. »Oh, süße Schwester Schwester /Ich bin ein älteres Semester /Doch du wäschst mich heiß, wischst mich innig /Machst mir nachts das Licht aus, ganz schön pfiffig / Doch als ich gerade küssen wollt, erfuhr ich es /Du bist Schülerpraktikantin, aber ziemlich kess ...«. Es waren die Siebziger, aber auch die Neunziger. Ich entfernte mich von Udo. Also räumlich. Jahrelang war ich ihm hinterher gereist, aber Kliniken machten mich nicht so an. Außerdem hatte ich gerade was mit einem quirligen Teenager angefangen.
Dann folgte das überraschende Comeback, und seitdem ist Udo einfach nicht totzukriegen. Es kommen neue Alben noch und nöcher, ein Buch nach dem anderen, Filme, Dokus und Filme. Ich denke noch mal an meine Lieblingssongs zurück: »Ich traf dich vor der Kneipe /du suchtest eine Bleibe /Ich lud dich auf paar Kurze ein/ In ’ner Dekade wirst du volljährig sein« und »Du warst erst vier /Was kann ich dafür«. Vielleicht kann Sandra ja noch mal einen reinhauen.
Sandra sagt, ich solle jetzt ins Bett gehen und bitte endlich mal ausziehen, sie habe es satt, mich auszuhalten und mir Getränke zu bringen. Das hier sei doch keine Kneipe. Außerdem solle ich aufhören, Geld in die Spüle zu werfen. Doch ich bleibe, wer ich bin. Bleibe im Hotel Mama. Ich mach’ mein Ding. Bin ein altes Schiff im Hafen. Moin, moin.
Paula Irmschler