Inhalt der Printausgabe

Heinz Strunk
Intim­scha­tulle 55

»Faszination Faszien«

1.9. Endlich Herbst! Die zweite Julihälfte und die letzte Augustwoche haben mein Nervenkostüm ruiniert bzw. das, was noch davon übrig ist. Bitte Gnade! wollte man immerzu rufen. Pünktlich zum 1.9. fallen die Temperaturen auf angenehme 21 Grad. Mensch und Tier entspannen sich. Bestelle zur Feier des Tages bei Lieferando eine Pizza Margherita, und wer liefert sie fünfunddreißig Minuten später aus? Jan Josef Liefers. Fantastischer 1-Euro-Gag zum Monatsbeginn.

2.9. Vormittags am Schreibtisch eingelocht, Ergebnisse allenfalls mäßig. Nachmittags joggen im Wohlerspark. Ein etwa sechsjähriger Junge starrt mich an, fragt: »Joggst du?« Ich, freundlich, kinderlieb: »Ja.« Daraufhin der Junge: »Das ist aber kein schnelles Joggen.« Unverschämtheit. Kindermund tut Lüge kund. Abends süße Milchnudeln, Champagner-Bowle, Lecture: Cormac McCarthy – Ein Kind Gottes.

3.9. Das neue Monatsmagazin »Faszination Faszien« (Burda) beschäftigt sich mit der faszinierenden Welt der Faszien, dieser gleichzeitig trennenden und formgebenden Gewebe und Häute. Grünen-Shootingstar Annakarina Beerbaum: »Ohne meine Faszienrolle wäre ich nicht da, wo ich bin.« Robert Habeck pflichtet bei: »Meine Faszien waren jahrelang verklebt, aber durch hartes Faszientraining sind sie wieder jung und elastisch wie mit vierzehn.«

4.9. Tagsüber nichts, abends Schälbraten mit Morchelgemüse und Holländischer Sauce, Starkbier mit Zucker.

5.9. Durchfall.

6.9. Jede Stadt hat bekanntlich (je nach Größe) einen Vorort oder mehrere. Ich meine dabei ausdrücklich nicht die »sozialen Brennpunkte«, Satelliten-/Trabantenstädte o.ä., sondern den sog. SPECKGÜRTEL, den schrecklichen Speckgürtel. Im Falle Hamburgs: WL (Winsen/Luhe), OD (Kreis Stormarn), STD (Stade). Doch die Allerschlimmsten, das ist allgemein bekannt, kommen aus PI (Pinneberg).

Nun Folgendes: Auf der (Taxi-)Fahrt beginnt der ruhige, sympathische, südländische Taxifahrer unvermittelt zu schimpfen und zu hupen. Grund: Ein Mittelklasseauto (Ford/Opel oder so was) mit Pinneberger Kennzeichen direkt vor uns: orientierungslos, vielleicht schläft der Fahrer auch. Bei erlaubtem Tempo 50 ist die Schüssel mit ca. 25 bis 30 Stundenkilometern unterwegs. Taxifahrer, verzweifelt: »Ich halte es nicht mehr aus.« Er hupt abermals, der Pinneberger fährt darauf noch langsamer und biegt schließlich, nervenschwach wie er ist, verkehrtherum in eine Einbahnstraße (das Schild war sehr gut sichtbar). Ein Segen (für uns). Der Taxifahrer dreht sich zu mir: »Was ist das, was ist los mit diesen Leuten?« Ich weiß es auch nicht und sage nichts (tagsüber pendeln, nachts pennen, so verstreicht das Leben). »Das ist heute schon der vierte Pinneberger, immer dasselbe. Was wollen die alle hier?« Wenn ich das mal wüsste. Fahrer, mittlerweile richtig in Rage, haut nun folgenden Satz raus: »IMMER WENN ICH EIN BUCH AUFSCHLAGE UND DER ERSTE BUCHSTABE IST EIN P, MUSS ICH DAS BUCH WEGLEGEN.« Fantastisch, besser geht es nicht! Da die meisten Taxifahrer bekanntlich wenig Interessantes zu berichten haben, freue ich mich über diese veritable Entschädigung für 1000 langweilige Fahrten! Ich wende noch ein, dass heutzutage ja praktisch jeder ein Navigationsgerät an Bord hat. Fahrer: »Richtig. Aber die können die Informationen nicht aufnehmen, die reagieren zu langsam, da fehlt was. Kopfsache.« Dann, abschließend: »Der liebe Gott hat sich damals wahrscheinlich gedacht, verfrachte ich diese Leute alle an einen Ort außerhalb, da bleiben die unter sich.« Genau, genau, genau!

7.9. Morgensteifigkeit. Zungenbelag. Hals- und Rückschmerzen. Am Roman: quälend, unlustig und zerstreut. Mühsam ein paar schwache Sätze rausgewrungen. Witziger Fernsehabend. TV-Franzose Alfons beim Eingangs-Stand-up seiner »Show« Alfons und Gäste: »Angela Merkel will mit 67 gehen. Ich als Franzose sage: Wie ein guter Rotwein – je älter der Jahrgang, desto besser der Abgang.« Das Publikum: begeistert!

8.9. Geil, geiler, Sloterdijk. Zwei Anmerkungen zu China aus »Zeilen und Tage«: 1) 1974, Reise nach China. »Die brutale Uniformierung, die Verwandlung des Landes in ein industriellmilitärisches Kommandosystem, die Allgegenwart der monotonen Propagandasprache, die Verseuchung jeder Idee durch Tendenz und Hetze. (…) Morden im Zuge der Großen Proletarischen Kulturrevolution. (…) Maos China jedoch erwies sich als das Reich einer unermesslichen Sterilität«. 2) »Von den olympischen Spielen so gut wie nichts mitbekommen (…) Menschenpyramiden bei der Schlussfeier in Peking. Sie führen die Massenornamentik weiter, mit denen die totalitären Regime seit 1936 ihre Idee der Rolle des Einzelnen in der Gemeinschaft manifestieren. (…) Das Individuum ist ein Pixel im Erscheinungsbild des totalitären Staats.« BIG PETER!

9.9. Alkoholikerfragebogen, Teil 4

  • Besuchen Sie Feiern und Veranstaltungen nur dann, wenn Alkohol mitgebracht werden darf?
  • Würden Sie gerne einmal eine Likörfabrik besichtigen?
  • Würden Sie Schulden aufnehmen, um sich weiterhin Alkohol leisten zu können?
  • Haben Sie Verständnis für Menschen, die keinen Alkohol trinken?
  • Halten Sie die derzeitig geltende Alkoholsteuer für zu hoch?

10.9. In-&-Out-Liste August.

In: Öfter mal ’ne Pause einlegen, alkoholfreier Roséwein, frische Waffeln.

Out: Klebrige Fernbedienungen, sich »matschig« fühlen, Juli Zeh.

11.9. Mittags ins Café 2 Talk. Schlagzeilen in den ausliegenden Zeitungen: FINANZ-DOMINA ERPRESST SEXSKLAVEN // DOPINGTEST MIT FAKE-PENIS // LIEBESBETRÜGERIN ZOCKT RENTNER MIT KATZENTRICK AB.

12.9. Vormittags Spaziergang um den Pudding, Kreislauf »hochjazzen«. Bringt nichts. Tag stumpf verdämmert. Déprimé.

13.9. Kurzurlaub auf Sylt. Steige im Hotel Rungholt/Kampen ab, Stichwort: Wenn schon, denn schon. Da das Zimmer über keine Minibar verfügt, lasse ich mir einen Kühlschrank bringen, damit Medikamente und Blutkonserven nicht verderben.

14.9. Spaziere nach dem Frühstück zum auf der Wattseite gelegenen Hoboken-Weg, der mit bis zu 35 000 Euro pro Quadratmeter teuersten Straße Deutschlands. Ob ich mir hier wohl jemals ein Haus leisten kann? Wäre dann Nachbar von FT (Fußballtrainer) Jürgen »Kloppo« Klopp oder Susanne Klatten (BMW-Erbin, man muss es nicht mehr erklären, S. Klatten und ihr Bruder Stefan Quandt sind mittlerweile so bekannt wie Elvis). Gerate ins Träumen und Grübeln. Abends Fun auf der »Kampener Whiskymeile«.

Die faszinierende Welt der Faszien auf einen Blick

15.9. Schatullen-Umsonst-Service. Falls Sie zufällig Blei heißen und Inhaber eines Geschäfts für Kleinmöbel sind: Blei Kleinmöbel – steht wie Blei in Ihren Regalen.

16.9. 8.30 auf. Vier hartgekochte Eihälften mit Majonäsekern. Den ganzen Morgen während der Arbeit wie ein Star gepfiffen. Seltsam, mache ich doch sonst nicht. Nachmittags Einkäufe. Ganz beschwingt zu Willis Schwenk-Grill, wo ich auf zwei alte Kumpel treffe: Lutz »Terrier« Schmidt und Bernd Dausel (Klarlack-Bernie mit den dicken Truckerbeinen). Der bringt denn auch prompt einen seiner gefürchteten Sprüche: »Knöpfe – der schnellste/kürzeste Weg zu (geilen) Frauen.« Ich konnte nicht mehr. Abends chess against (the) computer.

17.9. BRAINSTORMING: Eins alt Frau und ein Eunuch essen 1 Käsekuch // Wortspiel: Experimensch, Kackecola.

18.9. Gesehen in »Köln 50667«. Proll 1 fasst versehentlich in eine Steckdose, irgendwie so was in der Art, bekommt eine gewischt. Aua, aua, jammert er, hält sich die Hand, droht ohnmächtig zu werden. Proll 2: »Nun stell dich nicht so an, Digga, das ist ja gar kein richtiger Strom.« Proll 1: »Bist du nicht dicht! Was soll das denn sonst gewesen sein?!« Proll 2: »Alter, das ist PUSSYSTROM!«

19.9. Früh auf, Eifrühstück, Coffee & Cigarettengabe. Vormittags halbwegs flüssig am Erzählungsband »Der gelbe Elefant« geschrieben. Fragmente, die zu bearbeiten sich lohnt: 1) »Wenn er aufstößt, schmeckt es nach Kotze. Es riecht auch nach Kotze und fühlt sich so an. Irgendwas hat er wohl falsch gemacht.« 2) Geschichte über die ganz Dicken, die auf sehr kleinen Mofas fahren.

20.9. Zum Dinner mit Bertram Leyendieker ins Restaurant Diverso, Ragout vom Jungochsen, Kümmelsauce. Später Absinth. BL bringt einen bemerkenswerten Satz: »Ich wollte leben, wenn ich leben könnte, aber dieses elende Dahinschleppen ist nicht Leben zu nennen, es ist ein tödliches Leben.«

21.9. Google-Suchverlauf: Sonnenschirm neu bespannen hamburg – Glatz sonnenschirm neu bespannen – Gartenmöbel exklusiv – Test allgemeinwissen mi Lösungen – Klaus büchner feldmann brösel volle kanne – Hotels teneriffa 5 sterne – Die schönsten hotels auf teneriffa – Teneriffa luxushotels – Risotto grüner Spargel rezept – klosterfrau melissengeist – wann wurde die Sommerzeit eingeführt fragezeichen – lux 11 berlin parken – Denis Scheck gewicht – Denis Scheck abgenommen – dicke prominente Deutsche

22.9. Tag des Bernsteindrehers.

23.9. Silvia Wollny (RTL 2) über die Beziehung zu ihrem Dauerverlobten Harald Elsenbast: »Unsere Liebe ist wie ein Polenböller – laut und schmerzhaft.«

24.9. Abends reichhaltiges Mahl gekocht (Ente, gedämpft auf französische Art), eine Flasche Rotwein, eine Flasche Champagner (Roederer Cristal Jahrgang 2008, Rowohlt-Weihnachtspräsent). Vor dem Schlafengehen Linie Aquavit. Reines Alkoholglück.

25.9. Abends André Gides »Tagebücher 1889–1939«: »Meine Handschrift verhässlicht sich«, »Handwerker meine Qual«, »Sie verstehen? Überhaupt nicht.«

26.9. Brandneuer Schatullenservice: Lebensoptimierende Maßnahmen.

  • Gewöhnen Sie sich an, Ihre Zähne beim Duschen zu putzen
  • Mehrere (mit genügend Barem bestückte) Geldbörsen leisten bei unterschiedlichen Außer-Haus-Situationen gute Dienste: eine extra kleine Ausgehbörse (Partybörse) ohne Kartenfach, eine mittelgroße Börse nur mit EC-Karte bestückt, eine nur mit Personalausweis (für Kasinobesuche) und eine große (Komfort) mit Bahncard/Kreditkarte etc. für Reisen
  • In Ihrem Auto sollte gut lesbar das Schild »Eilige Arzneimittel« hängen.

27.9. KARRIERESCHATULLE: Eingebung klingt wie Einlauf // Ruhestand klingt wie Rollstuhl // Ein Diamant ist ein Stück Kohle, das Ausdauer bewiesen hat

28.9. Brainstorming: Möglicher Titel für Glaubens-Schmunzelserie mit Helmut Zierl als pädophilem Pastor in der Hauptrolle: Huch und heilig.

29.9. Leibschneiden beidseitig, deshalb mit Wärmflasche früh zu Bett.

30.9. Nachmitttags Albert Speers Spandauer Tagebücher: »Erwähnenswert, dass Dönitz seinen Lieblingsbesen hat und böse wird, wenn ein anderer ihn benutzt. Seit Jahren fegen wir in genau der gleichen Abfolge die Halle: zuerst Schirach und ich die Seiten, er immer von rechts, ich immer von links, nach der Mitte zu, während Dönitz sich dann die Mitte vornimmt. Anschließend werden die von Dönitz zusammengefegten Haufen von Funk und Heß aufgenommen. Heß mit Eimer und Schaufel, Funk hat immer den Besen.«

Nach Notat im Bett.

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt