Inhalt der Printausgabe
Megatrend Handarbeit – So wird das Handwerk wieder hip!
Die Seminarräume an den Unis platzen aus allen Nähten, Abi ist Pflicht, an jeder Häuserecke liegt ein Professor, während das Handwerk langsam und qualvoll ausstirbt. Doch wenn jeder studiert, hat man dann wirklich studiert? Ja, aber darum geht es hier nicht. Sondern um die Trendsetter und Arbeitsmarktpioniere von heute, diejenigen, die sich die alten Berufe wieder zu eigen machen und damit ganz vorne mit dabei sind. Denn der Trend geht zurück zur Handarbeit. TITANIC zeigt die neuen hippen Handwerker.
Maurer
Den Szenemenschen treibt es längst nicht mehr ins Co-Working-Space, sondern auf die Baustelle. Doch einfach Hose an, die Mauken in die Stinkestiefel stecken und Helm auf den Betonschädel, das geht heute nicht mehr. Wer nicht Engelbert Strauss trägt, kommt nicht mal mehr durch die Gesellenprüfung und kann maximal noch Kellen putzen. Und auch ungebleachte Bauarbeiterdekolletés gehören heute Gott sei Dank der Vergangenheit an.
Fliesenleger
Fliesenleger sind unerläßlich für eine freshe Optik im Bad. Doch die alten Farben und Muster sind längst passé, moderne Plattenleger verlegen heute nur noch Fliesen, die zu den aktuellen Gadgets passen, ganz nach den Farben der Saison. Momentan etwa Silber, Gold und Spacegrey.
Zimmermänner und Zimmerfrauen
Backpacken und durch die Gegend schnorren, ohne festes Einkommen, das kann niemand so gut wie die urbane Jugend der Generation Y. Die typische Walz-Route geht heute traditionell von Lloret de Mar über Neuseeland bis Marokko, endet dann klassisch in Berlin, wo sich bei der Abschlußprüfung (Pillen schmeißen und Eimersaufen am Landwehrkanal) zeigen muß, ob das jahrelange Üben ausgereicht hat. Wer den Nagel dann noch auf den Kopf trifft, hat versagt.
Maler
Die Zeiten, in denen man Pferde mittels einer hölzernen Gewindekonstruktion in einen großen Farbbottich tunkt und mit ihnen Wände und Fassaden großflächig bestrich, they are a-changin’. Heute begreift sich der Maler als individueller In-Room- und Outdoor-Designer, geküßt von den Musen seiner auf rein pflanzlicher Basis selbst kreierten Farb- und Lackmischungen. »Nicht klotzen, kleckern!« lautet die Devise. Das Ergebnis kann sich nach nur wenigen Arbeitswochen sehen lassen: 12m2 Decke einer Mietwohnung im Frankfurter Nordend wurden jetzt bei Sotheby’s für einen hohen sechsstelligen Betrag an einen New Yorker Galeristen versteigert.
Bäcker
Kleine Brötchen backen ist so 2017! Im »Backstage« herrscht Hochbetrieb. Aus ihrer arbeitszeitbedingten Insomnia haben Bäcker eine Tugend gemacht und die ersten Backstuben in wohlduftende Lounges für partyhungrige Nachtschwärmer verwandelt. Die Mischung macht’s, wissen die gar nicht altbackenen Influencer der neuen Food-Life-Balance. Wo eben noch rundes Vinyl für eine chillige Club-Atmosphäre sorgte, drehen sich im nächsten Augenblick frischer Crêpeteig und Fladenbrot auf den Tellern.
Klempner
Den Porzellanthron raiden, morgens einen schnellen Mittel-Stream hochladen, die Duschen bei gestandenen Hausfrauen mittleren Alters fixen, obwohl man selbst noch nie eine von innen gesehen hat (sowohl als auch) – alles kein Problem für den modernen Rohrverleger. Gag(g)s, Baumarkthauls, Steam-Giveaways. Hier bleibt keine Drohne trocken, alle Kanäle werden auf Volldampf gespült. Ganz wichtig: Immer schön die WC-Ente durchs Bild watscheln lassen, das gibt ordentlich Ad-Money!!
Fleischer
Fleischmatsch, Blut und Gedärme mögen auf Kids bei »The Walking Dead« oder im Darknet anziehend wirken, im Real Life dagegen geht es für viele vegane Szenestyler oft ans Eingemachte. Um dennoch für ihren Knochenjob zu begeistern, appellieren trendige Metzgereien an das medial verzerrte Körperbewußtsein junger Menschen (»Darf’s ein bißchen mehr sein?«) und pimpen ihre Betriebe zusätzlich als Gyms auf. Eisbeinhartes Krafttraining und tierische Proteinshakes für einen Wildbretbauch kommen nicht nur bei den Azubis, sondern auch bei der stiernackigen Kundschaft in den örtlichen MettFit-Filialen gut an.
Fensterputzer
Mit freiem Oberkörper auf einer Hebebühne in schwindelerregender Laszivität Schreibdamen aus 90er-Jahren-Werbeclips old fashioned aussehen lassen: das scheint für viele Schulabbrecher nach wie vor unattraktiv. Dabei ist das in der (weiblichen) Bevölkerung noch vorherrschende Bild des Light-Brause trinkenden, muskelbepackten Adornos… äh: Adonis längst überholt. Heute sind im Facility Management wieder Natural Beauties mit fettigem Haar und Trichterbrust gefragt, die mit plattgedrückten Nasen die Büroassistentinnen begaffen. Und statt der braunen, koffeinhaltigen Suppe aus der Dose darf es vor der Glasfront durchaus auch mal ein Bier sein – Craftbier freilich!
Buck / Lichter / Sibbe, Hintner