Inhalt der Printausgabe

»Wer unzufrieden ist mit seinem Mindset, der muß raus!«

Live-Aufzeichnung im Club Voltaire, 11. April 2017

13 Prozent weniger Unternehmensgründungen gab es 2016 im Vergleich zum Vorjahr, warnt die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Ein gefährlicher Trend: Deutschland, Land ohne Raum – für Ideen? Nicht ganz! Zwei junge Top-Twitter-Entrepreneure, @DaxWerner und @StartupClaus, setzen ein Zeichen gegen Gründerfeindlichkeit und Investitionsstau – und bumsen reihenweise junge Unternehmen ruckartig nach vorne.

TITANIC Hallo! Erst mal vielen Dank, daß ihr euch Zeit genommen habt.

Werner Hi! Ja gerne. Wir wollten vorab bekanntgeben, daß wir unsere Gage spenden möchten. An den Kölner Zoo.

TITANIC Eine schöne Geste! Vielleicht stellt sich jeder zu Beginn mal kurz vor.

Werner Gerne. Mein Name ist Dax Werner. Entrepreneur, Founder und Influencer aus Kerpen. Manche nennen mich den Gründungspapst, aber das ist mir unangenehm. Gemeinsam mit Claus habe ich vor ein paar Jahren MUL Entrepreneurs & Berater gegründet.

Claus Mein Name ist Claus. Entrepreneur, Speaker, sicher auch Coach. Ich sage immer: »Die erste Million ist die schwerste.« Sollte auch als Wandtattoo in den Jobcentern hängen.

TITANIC Über »Startup-Claus« spricht heute ganz Twitter. Man hat den Eindruck, daß du in eurem Gespann der Nachdenklichere, eher der Silberrücken als der Panzerfahrer bist. Wie schlägt sich das in eurem Berufsalltag nieder?

Claus Absolut! Das schlägt sich im Grunde genommen gar nicht nieder, sondern das macht uns insgesamt so stark.

Werner Claus und ich denken, daß wir da ein klares Organigramm gefunden haben: Claus strictly business-related, ich hingegen hier und da schon mal mit ’nem heißen Take.

Claus Für mich ist Dax der Baulöwe und Kulturkatalyst, ich bin der Architekt und Gegenwartsphilosoph.

TITANIC Zu dir, Werner. Dürfen wir Dax sagen?

Werner Unheimlich gerne.

TITANIC Dax, du wagst dich ja in letzter Zeit des öfteren auch mal mit politischen Statements an den Start. Warum gibt es in der neuen Generation so wenig Gründer?

Werner Wir sehen die Pervertierung des Gründerspirits auf diversen (drei bis neun) Ebenen. Es gibt eine ästhetisch aufgesetzte Kommerzialisierung der Gründeridee, es gibt Studien im Auftrag des Angestellten-Mindsets, es gibt den Wahlkampf.

Claus Klar ist: Es muß keine Pyroshow sein, aber Gewerbeämter ohne Indoor-DJs, Red-Bull-Automaten und Bloomberg TV lähmen Deutschland. Wir sehen uns da letztendlich in der Tradition von Kafka, der auch immer gegen die Angestelltenwelt angeschrieben hat. Und wir wagen den nächsten Schritt!

TITANIC Da bekommt ihr doch sicher auch starken Gegenwind zu spüren. Wie geht ihr mit Hatespeech gegen Gründer um?

Claus »Hatespeech« ist ein wunderbares Beispiel für die Begrenztheit des Angestellten-Mindsets. Wo die einen Haß sehen, sehen wir konstruktive Kritik, auf der wir aufsetzen können. Gründerfeindlichkeit ist noch mal ein ganz anderes Thema, das geht für uns dann bis in die Familienplanung rein. Sehr schwierig.

Werner Hatespeech fängt für mich da an, wo der Regulierungseffekt der unsichtbaren Hand, vulgo der freie Markt als solcher in Zweifel gezogen wird. Wenn ein Christian Lindner bis heute für die Moomax-Pleite durch den Kakao gezogen wird, dann läuft es gewaltig schief in Germany. Wir brauchen eine Kultur des Scheiterns, wie drüben im Valley. Investieren, skalieren. Einatmen durch Nase, ausatmen durch Mund. Und wieder investieren.

Claus Schlimm auch, wenn ein Buchhändler aus Würselen plötzlich auf den Startupzug aufspringt. Das war für uns – da sind wir ehrlich – wie ein Schlag ins Gesicht.

TITANIC Stichwort Lindner. Claus, du bist Sozialdemokrat, gleichzeitig Christian Lindner zugeneigt. Ein Widerspruch?

Claus Mit Verlaub, ich bin Gründer. Gründer verstehe ich als Akteure im Spannungsfeld zwischen Cortisol, Evolution und Gesellschaft. Und die Frage trifft dann aber wiederum doch den Kern allen Übels.

Werner Wahlkampf ist aus unserer Sicht überholte Nullsummenspiel-Denke. Ganz übles Adam-Smith-Mindset, mit »Gewinnern« und »Verlieren«. Solche Leute stehen auch zweistellig auf. Für mich ein Hilfeschrei.

Claus Agentur-induzierte Startup-Spirit-Kampagnen eines Christian Lindner sind einer der Gründe, warum wir überhaupt noch mal an die Öffentlichkeit getreten sind. »Gründer fördern: Machen wir Ideen zu Arbeitsplätzen«, da wird mir schlecht. Es geht um den Spirit, den Grind und darum: Jeder ist seines eigenen Mindsets Schmied. Wie eben in den Staaten.

TITANIC Stichwort USA, Stichwort Indianer-Pipeline: Was sagt da euer Mindset?

Claus »Indianer« finde ich in dem Zusammenhang schon mal mindestens schwierig. »Indigene Bevölkerung« ist uns da um einiges lieber.

Werner Letztendlich sind es ebenjene indigenen Völker, die den geisteskranken Grind auf ihre Weise vorweggenommen haben.

Claus Ich würde so weit gehen: Versorgung des Angestellten-Mindsets auf Kosten von Gründern, die zumindest noch in ihrer Enklave ihren Grind realisieren KÖNNEN.

TITANIC Seht Ihr da Parallelen zu Ostdeutschland? Stichwort geisteskranker Grind?

Werner Absolut! Für mich gehört die Geschichte der Wende ohnehin umgeschrieben. Einige, die sich Entrepreneur schimpfen, haben sich dort auf nicht nachhaltige Weise bereichert, sei es der Drückerkolonnenboß aus Düsseldorf oder gewisse Banken.

TITANIC Ach so! Wem möchtet Ihr auf keinen Fall beim Gewerbeamt begegnen?

Claus Ich denke, da sind wir uns einig, nicht, Wernerle?

Werner Gert Postel!

TITANIC Aber ist Gert Postel nicht auch ein smarter Unternehmer, der die Marke »Gert Postel« recht erfolgreich durchpeitscht? Ist das Postelmindset nicht das typische Valleymindset?

Claus Da bin ich mir nicht sicher, aber mein Gefühl ist folgendes: Gert Postel ruht sich auf seiner Filmrechte-Kohle aus und macht Kleinst-Influencer-Business auf zweifelhafter Basis. Wir und unsere grindenden Schwestern und Brüder sind verwirrt. Theorie und Praxis verquirlen sich hier zu einem teils ekelhaften Smoothie.

Werner Fantasy versus Reality ist hier glaube ich die entscheidende Dichotomie. Gewerbeämter müssen für mich Hebammen einer besseren Welt sein.

Claus Um es mit unserem Freund und Partner Hermann Dose zu sagen: Gert Postel ist early-Nullerjahre Johannes B. Kerner. Genau dieser Mindframe.

TITANIC Was würdet ihr Lowperformern raten, die jetzt erste Zweifel an ihrem eigenen Mindset bekommen haben?

Werner Der erste Schritt ist sicher der, sich der Startupfamily auf Twitter anzuschließen. Denn das sind nicht nur wir, die seit Jahresbeginn den Startupgrind riffen. Der zweite Schritt: 24/7 Business-Podcasts reinballern. Sei es Dirk Kreuter, Matthew Mockridge oder Gary Vee. Der Rest kommt von allein.

Claus Wer unzufrieden ist mit seinem Mindset, der muß raus! Raus aus seiner Comfort-Zone, und da wird es ungemütlich. Wichtig ist deshalb die Initialzündung, die Konfusion, das Ja zum geisteskranken Grind.

TITANIC Welche Entwicklungen könnt ihr auf Twitter beobachten?

Claus Die Ironielayer, die wir heute lesen, die werden sich auflösen und ihre Spuren hinterlassen.

Werner Einige sprechen bereits von der Post-Irony-Phase, wir sind da skeptisch. Fakt ist: Der Grind ist immer intensiver geworden. Koryphäen wie Kurt Prödel predigen nicht ohne Grund den Detox-Gedanken. Ich denke, die Ironie ist das größte Hemmnis des Gründers. Ironie heißt für mich übersetzt: Angst vorm Machen.

Claus Das sehen wir auch heute schon, und aktuelle Studien aus den USA werden das belegen.

TITANIC Was müssen wir uns unter Industrie 5.0 vorstellen?

Werner Industrie 5.0 ist für mich die völlige Diffundierung ins Internet, so wie es Hermann Dose in seinem bahnbrechenden Essay »Mensch Maschine Mikrowelle« skizziert hat. Mensch und Maschine werden hier zum Synonym.

Claus Industrie 5.0 ist die Folge der Einsicht: Das Internet ist unser größtes Vorbild. Wir alle als Hyperspeed Network. Freie Netzwerke, aber nicht auf Gruner-&-Jahr-Basis, sondern auf Mindset-Basis. Und wer da heute keine Vorarbeit leistet, der macht einen eigenkapitalvernichtenden Fehler.

TITANIC Thema Burnout: Realität oder Märchen der Betriebsmediziner?

Werner Dieter Bohlen hat mal bei DSDS gesagt, daß die Burnoutquote nur in Deutschland so hoch sei. Falscher Ansatz. »Burnout« ist nur eine andere Bezeichnung für Ausgehendes-20.-Jahrhundert-Mindset. Wer Leben und Arbeit noch trennt, macht einen Denkfehler.

Claus Burnout ist für mich ein Label, ein lukratives. Die lebensbedrohliche Entgrenzung des Angestellten-Mindsets. Die Folge des Mechanismus Entfremdung x Old Economy x 2017.

Werner Claus, wenn ich das höre, denke ich sofort an 2000, als wir uns kennengelernt haben (lacht).

Claus Das war dieser spontan vorweggenommene Moment, Dax. Dieses Momentum. Wie Tokio ‘80. Der Mond spiegelt sich im Koiteich, geisteskranke Synth-Arpeggios – und wir besprechen die Markteinführung der Compact Disc.

TITANIC Okay, letzte Frage: Wenn ich Montag zum Gründen aufs Gewerbeamt gehe, was sollte ich unbedingt beherzigen?

Werner Ich habe mir kürzlich in Holland ein Tattoo stechen lassen: »Ich gründe, also bin ich.« Quer über die Brust. Das ist die Maxime.

Claus Für mich entscheidet sich das mit der Capslocktaste: Maxime MEINES Willens. JETZT!

Werner Nice!

TITANIC Ein schöneres Schlußwort hätten wir uns nicht vorstellen können. Wollt ihr noch was loswerden an die Leute da draußen?

Claus Ein Punkt ist uns sehr wichtig: Es geht nicht um uns. Es geht um die Idee und um die Startup-Family. Gründen mit Fründen. Oder wie Dax immer sagt: Gründe ein Startup, scheitere, gründe ein noch viel geisteskränkeres Startup. LET’S MAKE BUSINESS!

Werner Wir verstehen uns als Sprachrohr der Generation, die mehr will als Endstation mittleres Management und eine Frau zu Hause, die »Flow« liest. DAS ist der Gamechanger.

TITANIC Werner, Claus, wir danken euch für diese Learnings.

 

 


Das Interview führten Leo Fischer und Fabian Lichter. Startup-Claus und Dax Werner grinden unter den Twitter-Pseudonymen @StartupClaus und @DaxWerner.

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner