Inhalt der Printausgabe

Nachdenkliche Sprüche mit Käpt’n

Kapitän Schwandt ist die Landplage der Saison

Wer sich dieser Tage in irgend linksengagierten Sozialmedien bewegt, dem wurden sie sicher schon in die Timeline gespült: Bildchen eines alten Mannes, der nachdenklich aufs Meer hinausgreint, darunter Sprüche der Bauart: »Auf See habe ich eines gelernt: Es gibt kein weiß oder schwarz, unter der Haut sind alle Menschen gleich – Kapitän Schwandt.« Die Biographie des greisen Seemanns, erschienen im Kleinverlag »Ankerherz«, ist seit Wochen ein Bestseller, die Magazine überschlagen sich mit Lob für den 80jährigen Hamburger, schwärmen für den gern mal AfD- und nazikritischen »Kapitän Rückgrat«, seinen »Klartext«, seine »einfachen Botschaften«. Doch bei näherer Betrachtung stellt sich ein dringender Verdacht ein: Es sind gar keine Botschaften. Es ist einfach nur wohlfeiles Nullgeschwatz.

Moinmoin, liebe Nazis

So ist das meiste von dem, was Schwandt auf seiner 120 000 Mann starken Facebook-Seite artikuliert, zunächst nichts weiter als das kommunikative Grundrauschen, das viele Prominente zur Leserbindung einsetzen: »Moin«, heißt es da hanseatisch; Bilder von Zigaretten und Kaffee werden gereicht, Essen, Kumpel und Sonnenuntergänge fotografiert – vieltausendfacher Applaus ist die Folge. Wenn Schwandt einen guten Tag hat, kommen noch hausbackene Lyrismen hinzu: »Wenn die Sonne bei leichter Brise auf den kleinen Wellen glitzert, dann geht mir noch heute das Herz auf.« An schlechteren Tagen heißt es auch einfach: »Moin. Auf See wäre ich jetzt gerne.«

Oft aber wird schon in diesen kurzen Lebenszeichen kompromißlos klare Kante gezeigt, indem darauf hingewiesen wird, daß wir in der Gegenwart leben und nicht etwa in der Zukunft oder donnerstags – »in diesen Tagen«, hebt Schwandt dann an. »Es ist wichtig in diesen Tagen, Farbe zu bekennen«, »Angst ist ein großes Thema in diesen Tagen«, »weil es nicht so viel zu lachen gibt in diesen Tagen«, »es ist ein komisches Gefühl in diesen Tagen, morgens die Nachrichten zu prüfen.« »Tage wie diese« haben den Vorteil, daß sich jeder alles drunter vorstellen, seine persönliche Lieblingskrise stets mitgemeint wissen kann, ob Trump, AfD oder das Bienensterben.

Doch die Prüfung der Nachrichten kann Schwandts Gemütsruhe nie lang erschüttern. Weiß er sich doch im Einklang mit den großen Geistern dieser Tage: »Gutes Wort des Papstes! Ich mag den Mann«, lobt er den Pontifex, »ein angenehmes Gespräch, guter Mann, der Scholz«, den Ersten Bürgermeister. Lob erhalten auch die »Menschen in München«, denn sie »haben gezeigt, wie man mit einer Ausnahmesituation umgeht«, Lob erhalten »Polizei, Bürger, die Zivilgesellschaft«, Lob erhalten auch Minderheiten, denn: »Ich bin immer für die Außenseiter.« Schlechtgelaunte Kommentare steckt er verschmitzt weg (»Was ist schon ein Shitstorm, wenn man Orkane überlebt hat?«), bescheiden erklärt er seinen Erfolg damit, »daß ich im Gegensatz zu manchen Politikern nur rede, wenn ich etwas zu sagen habe«. Und sei es »Moin«. Klar wird: Schwandt ist nicht nur mutig, sondern auch rechtschaffen stolz, stolz auf seine Heimat, stolz auch auf seinen Seemannsberuf, an dessen Hauptinhalt, den Autopilot einzuschalten und sich beim Masturbieren nicht den Arm zu verstauchen, viele von uns schon im Ansatz scheitern müßten.

Kapitän Bandscheibe

Worin besteht aber nun das erwähnte Rückgrat, der Kampf gegen rechts? Zunächst einmal in grimmigen Ekelbekundungen: »Ekelhaft«, heißt es in Richtung AfD immer wieder, »ihr widert mich an«, »sie widern mich an, diese Trittbrettfahrer des Terrors«. Mitunter werden rechte Äußerungen schon mal als »unter aller Kanone« geschmäht, was Höcke, Petry und Co. sicher zu denken geben wird. Gelegentlich schließt er sich auch den Kanonaden anderer großer Gesellschaftskritiker an: »SPD-Chef Gabriel hat AfD-Funktionäre mit Nazis verglichen. Das ist hart. Aber richtig.« Rückgrat, im Duden definiert als »dem Vizekanzler recht geben«, zeigt Schwandt auch im konsequenten Schulterschluß mit der Mehrheit: »Ich möchte Euch auffordern, mich zu unterstützen – um zu zeigen, daß wir viele sind. Und die ›schweigende Mehrheit‹ es eben nicht akzeptiert.« Auch in seinen Kommentaren taucht sie immer wieder auf, die Mehrheit: »Wir sind 90 Prozent, und die AfD nur 10 Prozent«, wird da immer wieder intoniert, so als sei Faschismus vor allem ein statistisches Problem.

Die Gabriel-Episode ist im übrigen kein Einzelfall. Schwandt sucht die Nähe der Mächtigen, verbreitet begeistert Steinmeier-Zitate (»auf den Punkt gebracht!«), Gauck-Sprüche (»genau richtig«) und stärkt auch der Kanzlerin das Rückgrat, Quatsch, den Rücken: »Wenn ein Kapitän ein Schiff durch den Sturm bekommen muß, ist es ein Unding, wenn ihn die Offiziere kritisieren. Was Stoiber und Söder treiben, ist illoyal und grenzt an Meuterei.« Ähm, okay.

Natürlich, man sollte einen Mann, der nachweislich auch Drohungen erhält, nicht zu streng angehen. Aber man fragt sich doch, warum sich auch die Nazis so begeistert auf die Schwandtschen Harmlosigkeiten einschießen. Haben die, mal ganz dumm gefragt, nichts Besseres zu tun? Schwandt tut ja wenig mehr, als eine lustige Mütze aufzusetzen und den Spruch »Nazis sind doof« zu paraphrasieren. Kaum sieht man ihn auf Demonstrationen oder mal tatsächlich in Kontakt mit den Minderheiten, für die er sich in die Brust wirft. Schwiege Schwandt, es wäre nur unmerklich stiller im Land.

Die Jugend von heute

Betreibt Schwandt einmal Gesellschaftskritik, die von seinen entschlossenen Platitüden gegen rechts abweicht, wird es schnell auch ein bißchen unangenehm; strenger Altherrenmief steigt zwischen den Zeilen auf. Da wird der berufliche Nachwuchs geschmäht (»diese Schiffsmechaniker, wie die heute heißen, die können das nicht«), harmlose Kreuzfahrten als »schwimmende Freizeitparks« beschimpft, Ronaldo als »Ballerina« beleidigt und die »Generation Wischfinger« gnadenlos seziert: »Ein Leben für ein Handy-Display. Das Mobiltelefon nutze ich zum mobilen Telefonieren. Will ich fotografieren, nehme ich die Kamera.« Sprüche, wie man sie sich sonst von niemandem bieten lassen würde, weder vom eigenen Opa noch von einem FAZ-Herausgeber. Schwandt jedoch streicht dafür Hunderte Likes ein. »Was ist nur los mit manchen Leuten?« Eben.

Was ist das für 1 Buch?

Gern betonen Journalisten den kleinen »Independent-Verlag« Ankerherz, in dem Schwandts Allerweltsumseglungen zu Papier gebracht wurden. Besieht man den Bestseller einmal vorurteilslos, käme man niemals auf die Idee, hier eine freche Indie-Produktion vor sich zu haben: Das Buch ist perfekt durchgestylt, hochwertig verarbeitet und mit erlesenen Bildern ausgestattet. Wie die Wirtschaftswoche berichtet, sorgt der Verlag »für edles Papier aus nachhaltiger Herstellung, läßt in Deutschland drucken, um bei Problemen schnell vor Ort zu sein, ummantelt die Bücher mit Leinen und läßt die Frontseite prägen«, schlägt es »in Seidenpapier ein« und legt »Stammkunden einen handgeschriebenen Gruß dazu« – Manufactum ahoi!

Auch Schwandts Homepage ist keine selbstgebastelte Indie-Müllhalde, sondern genügt höchsten Ansprüchen, Tracking und Adreßsammeltool inklusive. Dort gibt es auch scheußliche Merchandise-Artikel, T-Shirts und Pullover, gibt es auch weitere Weisheiten des textenden Seemanns, in denen er die Schönheit der Faröer besingt und auch sonst der Welt recht zur Last fällt.

Das alles ist selbstverständlich kein Zufall, sondern das Werk eines Mannes – Stefan Kruecken, Jahrgang 1975 und Schwandts Verleger. Auf Selfies mit dem alten Herrn spricht ihm die Begeisterung, mit dem Gebrabbel eines Stammtischrentners soviel Geld zu verdienen, kaum verhohlen aus dem Hipsterface. Kruecken arbeitete für den Kölner Stadtanzeiger, dann für Magazine wie Max, Stern oder als »Editor-at-large« (gute Güte!) bei GQ, ist also alles andere als ein niedlicher Querkopf vom Land, sondern ein knallharter Medienprofi, der sehr genau weiß, was er tut und wie er die Zielgruppe abmelkt. Als Schwandts Ghostwriter zeichnet Kruecken beispielsweise verantwortlich für solch wohlkalkulierten Satzkot: »In meinem Leben als Seemann habe ich wahrlich viel gesehen, aber selten etwas so Schönes. Schroffe Klippen, Felsen, von denen Wasserfälle direkt ins Meer fallen. Ein kleines Dorf in einer Bucht, vor dem Panorama einer Gebirgskette. Ich habe eine Zigarette geraucht, meinen schwarzen Kaffee genippt, und es einfach nur genossen. Die AfD, die Pegida, der ganze andere Mist – alles so herrlich weit weg.« Naturkitsch, Politpathos und superkurze Stern-Sätze, das hat die Kassen in Hamburg noch immer klingeln lassen, und man kann sich vorstellen, daß Kruecken gelegentlich auch einmal über sich selbst lachen muß, wenn er seine Kapitänshandpuppe Wörter wie »Bauernfänger« benutzen läßt.

Doch macht die Geschichte von Schwandt auch Hoffnung. Sie zeigt, daß man auch in diesen Tagen mit sehr geringem Einsatz als Antifaschist durchgeht, wenn man nur alt genug ist und im Zweifel allen Problemen davonsegeln kann. Sie zeigt, daß auch komplett Unbedarfte ihr Grundrecht auf ein bißchen Gesellschaftskritik souverän wahrnehmen, sofern sie sich dabei als Teil der Mehrheit wähnen. Sie macht auch Hoffnung auf einen Bundespräsidenten Schwandt, welcher die Knarzigkeit Helmut Schmidts gekonnt mit dem Endlosrhabarber Joe Gaucks zu verbinden wüßte. Ja, das Staatsschiff gehört in die Hände eines Mannes, dem der Skorbut das Zahnfleisch gegerbt und der Orkan das Hirn hinfortgeblasen hat. Dann, ja dann würden auch die Nazis vielleicht endlich ein Einsehen haben und eine Ruhe geben. Ich will nicht aufhören, davon zu träumen.

 

Leo Fischer

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg