Inhalt der Printausgabe

Die Bahnstreiks haben Deutschland auf den Geschmack gebracht. Selbst eingefleischte Arbeitslose wollen plötzlich Arbeit, um sie auch mal niederlegen zu können. Große und kleine Gewerkschaften sind geübte Streikwellenreiter – freuen wir uns also auf ein Jahr des Stillstands und der Agonie!
Wer den Verkehr zum Erliegen bringt, setzt sich im Arbeitskampf durch. Diesen Umstand nutzt die Autowaschanlagen-Gewerkschaft im Winter schamlos aus, denn die Deutschen trauen sich mit verdreckten Autos nicht zu fahren (»unhygienisch!«). Ergebnis des vierwöchigen Ausstands: Fünf Prozent Lohnzuwachs, eine Softschaumwäsche gratis.
Immer weitere Berufsgruppen entdecken, daß sie Schlüsselpositionen innehaben, z.B. die Mitarbeiter von Mister Minit (sieben Prozent). Doch auch die neugegründete Kleingewerkschaft der Kanalarbeiter trägt im Frühling ihre Forderungen in jedes Heim. Schon am ersten Streiktag steht dem Land das Wasser bis zum Hals. Die Tariferhöhung sprudelt sofort los: zehn Prozent!
Ein Quasimonopol bedeutet fast unumschränkte Macht, wie die Gewerkschaft der Thekentrinker im Spätsommer erkennt. Sie verlangt niedrigere Bierpreise, großzügigeres Anschreibenlassen sowie eine sanftere Ruhestandsregelung gleich nach Sperrstunde. Wegen des Quasimonopols der Thekentrinker haben die Wirte nur eine Ausweichmöglichkeit: Sie müssen alles selber wegtrinken. Kaum zu schaffen – Kapitulation.
Unsere Gesellschaft ist völlig abhängig von Prominenten. Als die Union of Celebrities im Herbst in einen unbefristeten Streik für das Recht auf Exaltiertheit und das Wartenlassen von Fans tritt, dreht das Publikum durch. Zu Recht: Erpressung! Die dummen Arschgeigen glauben wohl, unsere legitimen Unterhaltungsbedürfnisse in Geiselhaft nehmen zu dürfen!
Kluge Spartengewerkschaften versuchen, ihren Einflußbereich auszuweiten. Schön, wenn es dabei zur Solidarisierung mit rangniedrigeren Kollegen kommt wie beim winterlichen Ausstand der mächtigen Berufskillergewerkschaft. Leider endet jede der langen Verhandlungsrunden mit den mutmaßlichen Hintermännern frühmorgens in einem Blutbad.
Mark-Stefan Tietze / Leo Riegel