Inhalt der Printausgabe

BASTIAN LANGBEHN ist der erste frei gewählte Abgeordnete der PARTEI. Seit mehreren Wochen herrschen er und seine Getreuen über die Ruinen des maroden Lübeck. Langbehn gestaltet die Zukunft, stellt die Weichen, pustet in die Schaffnerpfeife. Ein Hausbesuch bei einem Mann, der es geschafft hat.

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rachtvoll reckt sich das Lübecker Rathaus der Augustsonne entgegen. Touristen drängeln sich vor dem Eingang; massenweise wollen sie hier mit Infotainmenthäppchen abgespeist werden. Was sie nicht ahnen können: Hier, in diesem nordischen Märchenschloß, wird gleich regiert! Zum ersten Mal tritt der neugewählte Kulturausschuß zusammen, bestimmt über Denkmalpflege, Straßenmusik und Zuschüsse fürs örtliche Schrei-Theater. Mitten unter den Verausschußten: Bastian Langbehn, 31 Jahre. Einzelhändler, Grundbesitzer, Lebemann. Und PARTEI-Mitglied.

Die Fahnen hoch, zum Gedenken fest entschlossen

Der herrschaftliche Rote Saal des Rathauses geizt nicht mit Reizen: überlebensgroße Ölschinken, die bedeutende Bürgermeister vergangener Jahrhunderte zeigen; antike Tischuhren; herrliches, thronartiges Mobiliar. Vor diesem Hintergrund historischer Größe strahlt auch die beige Funktionskleidung der Abgeordneten eine nie gekannte Würde aus: Holzfällerhemden und bräunliche Plastikpullover schillern vor der historischen Seeschlacht von Gotland; Bierbäuche platzen lustig in den Saal, versinken in den aufwendigen Intarsienarbeiten.

Regieren wie ein König: der Rote Saal
Denkmals­modell: Hier können sich die Opfer wohlfühlen
Für Ausschußarbeit braucht man gute Nerven

Nur zwanzig Minuten nach Beginn der Sitzung öffnen sich die großen Flügeltüren mit Karacho: Bastian Langbehn ist eingetroffen! Neben den fahlen Politgespenstern um ihn herum wirkt er wie ein Springquell an Lebensmut – als wäre er direkt aus einem der Barockgemälde herausgesprungen. In seinem zeitlos schönen PARTEI-Outfit, keß abgerundet mit einem roten New-Era-Käppi („um die Jugend anzusprechen“), ist er eindeutig der bestangezogene Mann im Saal.

Langbehn ist ein echtes Nordgewächs: kühler Kopf, schnelle Schnauze, seebärenartige Grundform. Am Timmendorfer Strand unterhält er eine Villa direkt am Meer, in der Pensionsgäste nach allen Regeln des Eventmarketings verwöhnt werden. Dort leben auch seine Mutter, mit der er seit 31 Jahren verheiratet ist, und seine Fahrerin Annika, mit der er offenkundig sehr vertrauten Umgang pflegt. Seine beruflichen Pflichten sind überschaubar: Langbehn ist mit Leib und Seele Politiker.

Übernahme­gespräche mit feindlichen Politikern
Jemand Wichtiges (l.) sagt Hallo
Die Stadt treibt ein böses Spiel mit unseren behinderten Mitbürgern
In der „Sternschnuppe“ trifft sich der Kreisverband zu zwanglosen Strategiegesprächen („hierbleiben oder weiterziehen?“)
Das Fraktionsbüro lädt zum (kurzen) Verweilen ein
 

Für den angenehm naturbelassenen Neu-Patrizier ist der heutige Tag im Rathaus eine Premiere, denn es ist seine erste Ausschußsitzung überhaupt. Wichtige Entscheidungen stehen an: Am Bahnhofsvorplatz soll ein Mahnmal für die Deportierten der Nazizeit entstehen, eine Künstlerin möchte ihren Entwurf vorstellen. Und der hat es in sich: Drei große Flaggenmasten („Ich habe mich für den Luftraum entschieden“) sollen direkt neben einem Parkverbotsschild vor dem Bahnhof errichtet werden. Die mittlere Fahne trägt den Schriftzug „Platz der deportierten Menschenwürde“, während ihre beiden Nachbarn mit regelmäßig wechselnden Zitaten aus den Briefen Deportierter verziert werden („ich habe Angst“, „eine Minute wie eine Ewigkeit“). Die Künstlerin heißt Ute Friederike Jürß und sieht genauso aus, wie sie heißt. Aus dem „Ort der Beiläufigkeit“ soll, führt Jürß aus, ein „Ort des Nach-Denkens, im Sinne des Ge-Denkens“ werden. Ihre Stimme bebt vor Selbstergriffenheit.

Langbehn ist begeistert: „Ein riesengroßer Mist!“ ruft er, schockstarr, leider nicht in die Sitzung, sondern erst hinterher durchs Treppenhaus. Auch die anderen Abgeordneten sind wie gelähmt von der beispiellosen Größe dieser Idee bzw. klopfen dement Applaus. Nur ein Pressevertreter versucht nachzuhaken, wird von der Sitzungsleitung jedoch sogleich annihiliert: „Wir sind in einer Ausschußberatung, wenn Sie als Presse Fragen haben, bitte hinterher.“ Überhaupt scheint dieser sogenannten Bürgerschaft eine gewisse Pressefeindlichkeit innezuwohnen: „Sehr richtig! So isses!“ kommentieren die versammelten Jack-Wolfskin-Opfer diese Entscheidung; auch erhält TITANIC keine Fotoerlaubnis. Das rächt sich: Nachdem die Jürß fertiggelogen hat, interpretiert die vorsitzende Kultursenatorin Borns den Applaus gleich als Akklamation: „Ich nehme dieses zustimmende, einhellige Klopfen als Zeichen, daß wir ohne Abstimmung fortsetzen können.“ Schon ist Lübeck um einen Schandfleck reicher!

Besitzerstolz: Villa, Anzug, „Fahrerin“ – alles da!
Haut gern mal auf die Blechpauke: Grass-Fan Langbehn
„Unser Strand braucht mehr Mauern!“ Freizeit und Politik sind zu einer groben Masse verschmolzen

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on solchen Rückschlägen läßt sich Langbehn aber nicht die Petersilie verhageln: „Das werden wir hintenrum irgendwie torpedieren“, erklärt er uns nach der Sitzung. Die PARTEI kann hier durchaus etwas bewirken: Die Regeln des Stadtparlaments lassen es zu, daß die gewählten Parteien auch Mitglieder in die Ausschüsse entsenden können, die nicht in die Bürgerschaft gewählt wurden. So hat die Partei in den entscheidenden Gremien nicht nur einen Mann, sondern gleich 25! Einer davon ist Ali Alam, genannt „Alarm“, der gerade aus dem Wirtschaftsausschuß kommt. Der quirlige Mittdreißiger ist Langbehns Stellvertreter, erzählt gern Gangstergeschichten aus Nordafrika und ist das einzige PARTEI-Mitglied, das Hausverbot im Louvre hat.

„Und ’ne Buddel voll Brooks!“

Nun führen uns die beiden durch ihr Reich. Um die PARTEI zu demütigen, ist das Fraktionsbüro nicht im Rathaus selbst, sondern in einem schmucklosen Nebengebäude untergebracht, wo sonst das Amt für Arbeitssicherheit residiert. Das großzügig verwinkelte Dachzimmer verfügt über alle Annehmlichkeiten eines modernen Politbüros, Wasserkocher und Telefon sind da und funktionieren. Um die Möglichkeiten der Haustechnik zu demonstrieren, ruft Langbehn sogleich den Bundesvorsitzenden Martin Sonneborn an, der natürlich nicht rangeht. Wär’ ja noch schöner!

Was ist die größte Herausforderung für die PARTEI in Lübeck? „Eindeutig die SPD! Die sind absolut angepißt von uns.“ Dabei haben sich die Sozis das Schlamassel selbst eingebrockt: Sie senkten das gesetzliche Mindestwahlalter – und trieben so Scharen von Jungwählern in die Arme der PARTEI. Als Langbehn dann in die Bürgerschaft einzog, waren die SPD-Abgeordneten zunächst erfreut, daß plötzlich so viele Fernsehteams in der Hansestadt auftauchten. Nachdem die SPD dann aber in Interviews ausschließlich zu PARTEI-Themen befragt wurde („Kennen Sie Herrn Langbehn auch persönlich?“), sei die Begeisterung schnell verflogen.

Frühstück ist das wichtigste Mittagessen des Tages
Der Nachmittag gehört dem Studium von Fachliteratur
Politprofis antworten auch abends noch auf Bürgeranfragen
Fahren oder Fahrenlassen? Dank Bereitschaftsdienst wird die nächtliche Fahrt zum Spätkauf ein Kinderspiel

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rohgemut geht es nun hinein in die Altstadt, vorbei an Marzipanmanufakturen, Gürtelwerkstätten und der örtlichen Karstadtfiliale („Ich gehe nur hier einkaufen, man muß die regionale Wirtschaft stärken“). Immer wieder wird Langbehn von Passanten begrüßt und angefaßt. In vielen Restaurants kann er kostenlos essen, seit er so oft im Fernsehen zu sehen war; im Günter-Grass-Haus genießt er freien Eintritt, auch wenn er nicht genau weiß, was er dort eigentlich soll: „Egal! Wer im Grasshaus sitzt, soll nicht mit Pfeifen werfen.“

Zielstrebig führt uns der Politgigant nun in die Fleischhauerstraße, zur Bürgersprechstunde im Lokal „Sternschnuppe“. Sein Feierabendgetränk hat er selbst komponiert: ein „Kleeblatt“, Guiness-Bier mit Zitronenlimonade. Hm, das schmeckt! Gestärkt geht Langbehn an die Arbeit: „Wo bleibt der Bürger? Kennt jemand einen Bürger?“ Da das betont unbürgerliche Publikum der „Sternschnuppe“ im wesentlichen aus PARTEI-Mitgliedern oder attraktiven SympathisantInnen besteht, entfällt die Bürgersprechstunde. Doch bleibt Langbehn nicht untätig: Die nichtöffentlichen Beratungen gehen noch bis in die Morgenstunden weiter.

Macht, Frauen, Freigetränke: Bastian Langbehns steile Karriere zeigt, wohin die PARTEI einen bringen kann – ein leuchtendes Vorbild für all die großen und kleinen Wahlkämpfer da draußen im Lande.

Leo Fischer, Thomas Hintner

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Huhu, »HNA« (»Hessische/Niedersächsische Allgemeine«)!

Mit großer Verblüffung lesen wir bei Dir in einem Testbericht: »Frischkäse ist kaum aus einem Haushalt in Deutschland wegzudenken.«

Och, Menno! Warum denn nicht? Und wenn wir uns nun ganz doll anstrengen? Wollen wir es denn, HNA, einmal gemeinsam versuchen? Also: Augen schließen, konzentrieren und – Achtung: hui! – weg damit! Uuuund: Futschikato! Einfach aus dem eigenen Haushalt weggedacht. Und war doch überhaupt nicht schlimm, oder?

Es dankt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, einen kleinen Denkanstoß gegeben zu haben, wenn nicht gar einen Wegdenkanstoß: Titanic

 Damit hast Du nicht gerechnet, »Zeit online«!

Als Du fragtest: »Wie gut sind Sie in Mathe?«, wolltest Du uns da wieder einmal für dumm verkaufen? Logisch wissen wir, dass bei dieser einzigen Aufgabe, die Du uns gestellt hast (Z+), erstens der zweite Summand und zweitens der Mehrwert fehlt.

Bitte nachbessern: Titanic

 Sie, Romancier Robert Habeck,

Sie, Romancier Robert Habeck,

nehmen Ihren Nebenjob als Wirtschaftsminister wohl sehr ernst! So ernst, dass Sie durch eine Neuauflage Ihres zusammen mit Ihrer Ehefrau verfassten Romans »Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf« versuchen, fast im Alleingang dem darniederliegenden Literaturmarkt auf die Sprünge zu helfen. Könnten Sie sich als Nächstes das Zeitschriftensterben vorknöpfen?

Fragt Titanic

 Keine Übertreibung, Mathias Richling,

sei die Behauptung, dass die Ampel »einen desaströsen Eindruck bei jedermann« hinterlasse, denn in den vielen Jahren Ihrer Karriere, so schilderten Sie’s den Stuttgarter Nachrichten, hätten Sie es noch nie erlebt, »dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst«.

Aber was bedeutet das? »Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen.« Nun beruhigt uns einerseits, dass Ihr Publikum, das sich an Ihren Parodien von Helmut Kohl und Edmund Stoiber erfreut, wohl immerhin weiß, wer Ricarda Lang ist. Als beunruhigend empfinden wir hingegen, dass offenbar Sie nicht wissen, dass Lang gar kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist.

Muss sich dazu nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen: Titanic

 Ganz, ganz sicher, unbekannter Ingenieur aus Mittelsachsen,

dass Du Deine Verteidigungsstrategie nicht überdenken willst? Unter uns, es klingt schon heftig, was Dir so alles vorgeworfen wird: Nach einem Crash sollst Du einem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber handgreiflich geworden sein, nur um dann Reißaus zu nehmen, als der Dir mit der Polizei kommen wollte.

Die beim wackeren Rückzug geäußerten Schmähungen, für die Du nun blechen sollst, wolltest Du vor dem Amtsgericht Freiberg dann aber doch nicht auf Dir sitzen lassen. Weder »Judensau« noch »Heil Hitler« willst Du gerufen haben, sondern lediglich »Du Sau« und »Fei bitter«. Magst Du das nicht noch mal mit Deinem Rechtsbeistand durchsprechen? Hast Du im fraglichen Moment nicht vielleicht doch eher Deinen Unmut über das wenig höfische Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (»Kein Ritter!«) geäußert, hattest Deinen im selben Moment beschlossenen Abschied von den sozialen Medien (»Bye, Twitter!«) im Sinn, oder hast gar Deiner verspäteten Freude über die olympische Bronzemedaille des deutschen Ruder-Achters von 1936 (»Geil, Dritter!«) Ausdruck verliehen?

Nein? Du bleibst dabei? Und würdest dafür sogar ins Gefängnis gehen (»Fein, Gitter!«)?

Davor hat fast schon wieder Respekt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Süße Erkenntnis

Für jemanden, der Pfirsich liebt, aber Maracuja hasst, hält die Welt viele Enttäuschungen bereit.

Karl Franz

 Hellseherisch

Morgen ist einfach nicht mein Tag.

Theo Matthies

 Nachwuchs

Den werdenden Eltern, die es genau mögen, empfehle ich meinen Babynamensvorschlag: Dean Norman.

Alice Brücher-Herpel

 Dilemma

Zum Einschlafen Lämmer zählen und sich täglich über einen neuen Rekord freuen.

Michael Höfler

 3:6, 6:7, 0:6

Der Volontär in der Konferenz der Sportredaktion auf die Bitte, seine Story in drei Sätzen zu erzählen.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
01.12.2023 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer
01.12.2023 Karben, Kulturscheune im Selzerbrunnenhof Pit Knorr & Die Eiligen Drei Könige
02.12.2023 Itzehoe, Lauschbar Hauck & Bauer
03.12.2023 Kassel, Studiobühne im Staatstheater Kassel Ella Carina Werner