Inhalt der Printausgabe
Der TITANIC-Medienrat greift durch
Ungarn macht's vor: Gerade hat das Land, das derzeit die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union innehat, ein Mediengesetz verabschiedet, welches publizistische Verbrechen mit Geldstrafen belegt. Ein Vorstoß, der neidisch macht! Denn Ungarn ist nicht das einzige Land, in dem mit der Pressefreiheit Schindluder getrieben wird. Auch Deutschland benötigt eine strenge Medienaufsicht, die viel Zeit hat, Zeitung zu lesen und Geldbußen zu verhängen: den TITANIC-Medienrat!
In seiner ersten Sitzung am Gründungstag (7. Januar 2011) beschloß er die längst überfällige Abmahnung des Herausgebers der Zeit, Josef Joffe.
An
Josef Joffe
Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG
Buceriusstraße,
Eingang Speersort 1
20095 Hamburg
Betr.: Urteil / Geldbuße / Überweisungsformalitäten
Sehr geehrter Herr Joffe!
Hiermit setzen wir Sie davon in Kenntnis, daß der am 7. Januar d. J. gegründete TITANIC-Medienrat zu dem Entschluß gekommen ist, Sie zu maßregeln und für Ihre bisherigen journalistischen Verfehlungen mit einer Geldbuße in Gesamthöhe von € 2500,- zu belegen.
Der Medienrat bezieht sich auf die Ziffern 3, 4, 5, 6 und 7 des am 7. Januar d. J. erarbeiteten Medienkodexes. Die Vorwürfe lauten im einzelnen wie folgt:
Der Gemaßregelte verstößt gegen Ziffer 3, »Kohärenz des Sprachbildes«. Mit Formulierungen wie »Gerechtigkeit ist ein vielstimmiger Chor, der seit Cromagnon-Zeiten singt, und zwar nach Regeln« (Zeit-Kolumne vom 16.12.2010) wird der Eindruck erweckt, bei Gerechtigkeit handle es sich um eine Gruppe gemeinsam singender Personen, welche vor 40000 Jahren ihre Tätigkeit aufgenommen hätte und diese bis heute ohne Unterbrechung fortführte.
Der Medienrat beschließt hierfür eine Geldbuße in Höhe von € 149,- und verweist für die Zukunft auf Ziffer 2, »Entgegenkommen«: »In Zweifelsfällen steht der Medienrat gerne zur Verfügung, Korrektur zu lesen und gegen geringe Unkosten Verbesserungsvorschläge zu machen.«
Des weiteren verstößt der Gemaßregelte gegen Ziffer 4, »Sorgfältige Recherche«. In seiner Kolumne »Zeitgeist« vom 30.12.2010 wird behauptet: »Natürlich ist es unmöglich, die Zukunft auszuspähen, jedenfalls jenseits der physikalischen Welt, wo wir ziemlich genau wissen, daß B auf A folgen wird.« Das hier verwendete Beispiel entstammt, wie durch Recherche unschwer festzustellen gewesen wäre, nicht der physikalischen Welt, sondern dem Alphabet. Weiter wird behauptet: »Der Druck auf den Startknopf wird den Motor anwerfen, der dunkle Himmel den Regen bringen.« Bereits oberflächliche Recherche hätte hier zutage gefördert, daß der dunkle Himmel keineswegs immer Regen bringt, sondern oft einfach Signal für das Einsetzen der sogenannten »Nacht« ist.
Der Medienrat beschließt hierfür eine Geldbuße in Höhe von € 399,-.
Weiterhin verstößt der Gemaßregelte mit dem Begriff »Selbstmordbombe« (2.12.2010) ein zweites Mal gegen Ziffer 4, »Recherche«. Sorgfältige Recherche hätte das Ergebnis erbracht, daß Bomben nicht Suizid begehen können.
Der Medienrat beschließt hierfür eine Geldbuße in Höhe von € 59,-.
Der Gemaßregelte verstößt gegen Ziffer 5, »Logik«. In der Kolumne vom 11.11.2010 wird berichtet: »Die Republikaner kriegten mit einem Stimmen-Plus von zehn Prozentpunkten ein Drittel mehr von den Unterhaus-Sitzen – und umgekehrt bei den Demokraten.« Hier wird behauptet, die Republikanische Partei habe zehn Prozentpunkte sowie ein Drittel mehr Unterhaussitze gewonnen, umgekehrt hätte auch die Demokratische Partei gewonnen, und zwar ein Drittel Prozentpunkte und zehn Prozent mehr Unterhaussitze. Dies ist nicht möglich, da bei Wahlen nur ein begrenzter Vorrat an Prozentanteilen besteht, der den Wert »100« nicht überschreiten kann.
Der Medienrat beschließt hierfür eine Geldbuße in Höhe von € 449,-.
Der Gemaßregelte verstößt gegen Ziffer 6, »Klarheit der Sinne« (sog. »Zauselklausel«). Am 2.12.2010 formuliert er mit Bezug auf die Veröffentlichung diplomatischer Depeschen durch Wikileaks folgende Konsequenz: »Schlag gegen die Geschichte: Der ist nicht mehr ganz neu. Am Anfang standen Telefon und Kopiergerät. Jenes ersparte die schriftliche Demarche, dieses verbot sie, weil sie so einfach zu verbreiten ist. Die Vermerke Bismarcks, die den Historikern so viel Einsicht geschenkt haben: sie werden noch schneller verschwinden, denn allzu gegenwärtig ist der Bruch der Vertraulichkeit.«
Der Medienrat beschließt hierfür eine Geldbuße in Höhe von € 849,-.
Der Gemaßregelte wird aufgefordert, künftig auch Ziffer 10 zu beachten: »Beanstandete Artikel müssen innerhalb von 24 Stunden richtiggestellt werden.« Zur weiteren Beachtung auch Ziffer 10a: »Nachträgliche Richtigstellungen bzw. Gegendarstellungen sind nicht nötig, wenn von vornherein nichts falsch gemacht wurde.« Schließlich stellt der Medienrat noch einen Verstoß gegen Ziffer 7 fest: »Verbreitung falscher Tatsachen«. In seiner wiederholt abgemahnten Kolumne vom 2.12.2010 schreibt der Gemaßregelte: »Für diesen Krieg [den digitalen] braucht man keine Armeen, aber er wird das 21. Jahrhundert so beherrschen wie einst der Massenaufmarsch. 250000 Seiten hätte früher niemand abtransportieren können; heute reicht eine CD.« Der Medienrat stellt hierzu fest, daß für den Abtransport von 250000 Seiten auch vor dem 21. Jahrhundert nicht mehr als zehn Schubkarren, ein halber Lieferwagen oder fünfzehn ausgeruhte Spionagepferde benötigt worden wären.
Der Medienrat beschließt hierfür eine Geldbuße in Höhe von € 595,-.
Abschließend wird der Gemaßregelte auf die Ziffern 12 und 13 hingewiesen:
Ziffer 12 – »Bußgelder«
»Urteile des Medienrates sind verbindlich. Bußgeldforderungen ist umgehend nachzukommen. Einsprüche gegen seine Urteile sind gestattet; es wird jedoch auf Ziffer 12a verwiesen, wonach Einsprüche weitere Geldbußen zur Folge haben können.«
Ziffer 13 – »Gummiparagraph«
»Treten Umstände auf, die dem Medienrat nach Ziffer 1 – 12 keine Handhabe lassen, findet Ziffer 13 Anwendung. Sie garantiert dem Medienrat Verfügungsgewalt im eigenen Ermessen und gewährt einen großen Spielraum für juristische Kreativität.«
Mit freundlichen Grüßen
(Anhang: Rechnung über Gesamthöhe € 2500,-)