Inhalt der Printausgabe
TITANIC-Aktionsherbst
»Schade um die schöne Stadt!«
Wie die SPD-Vorsitzende Ypsilanti einmal einen Staudamm quer durch Hessen bauen wollte und dabei auf erstaunlich wenig Widerstand stieß
Mittwoch, 10. September, 14.30 Uhr, Frankfurt-Bockenheim. Wie die Ölgötzen sitzen die TITANIC-Urgesteine Gärtner und Nagel in ihrem Büro und können so viel Politikverdrossenheit nicht fassen. In einer mit historischem Aufwand betriebenen Politaktion haben sie und ihre sympathischen Kollegen gestern versucht, als Abordnung der Jungen Union die Bürgerinnen und Bürger im hessischen Weilburg an der Lahn zu warnen; zu warnen vor dem wahrhaft pharaonischen Staudammprojekt »Lahntalsperre«, das die SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti, sobald sie ihren Pakt mit dem Bolschewismus besiegelt haben wird, mit chinesischer Rücksichtslosigkeit in die Tat umzusetzen gedenkt.
Unsere von Hochleistungsdruckern ausgeworfenen Plakate hatten die entsetzlichen Folgen für Mensch, Tier und Umwelt in einprägsame Formulierungen gepackt. Computerexperte Alexander Golz (Maos Computer Club) hatte in mehrwöchiger Tag- und Nachtarbeit die Folgen des nach chinesischem Vorbild geplanten Staudamms computeranimiert, und sogar der legendäre, unverwüstliche TITANIC-Aktions-Tapetentisch war noch einmal aus dem Ruhestand geholt worden, dem praktisch nagelneuen Redaktions-Laptop Platz zum Simulieren zu geben. Mit insgesamt zwei (!) Kraftfahrzeugen waren wir in die hessische Provinz gefahren, mit Höchstgeschwindigkeit über die malerische B456, mittenmang nach Weilburg hinein, ins Herz der barocken Residenzstadt, die, wenn es nach Andrea Ypsilanti geht – und das wird es bald –, zwecks Ökostromgewinnung im quadratkilometergroßen Lahntal-Stausee untergehen wird.
Wie weit würden Sie sich für den Staudamm umsiedeln lassen?
O Limburg
O Hamburg
O Ostzone
Dem Weilburger allerdings ist das scheißegal: »Davon hab ich noch nie etwas gehört«, gibt sich ein Glatzkopf ahnungslos – dabei stand es doch, wie wir einwandfrei belegen können, in der FAZ ! »Davon habe ich schon was gelesen«, kann eine Endvierzigerin, die mit ihrem Mann Alfred durch das beschauliche Stadtzentrum flaniert, deshalb auch mit Fug und Recht behaupten. »Da war vor einiger Zeit was in der Zeitung!« Gut, daß das rüstige Busenwunder Abonnentin der Erfundenen Quatschnachrichten ist und beim Abgang verspricht, Andrea Ypsilanti alsbald telefonisch Bescheid zu stoßen; deren Telefonnummer steht nämlich auf unserem Flugblatt. Und sollte die vielbeschäftigte Parteivorsitzende mal nicht da sein, lädt ein von Redaktionsassistentin Staniewski in charmantem Hessisch besprochener Anrufbeantworter zur Protestablage ein.
Glauben Sie, daß Frauen keine Politik können?
O ja
O nein
Fotostrecke
»Die sind doch bekloppt«, äußert sich eine Greisin erfreulich einschlägig, nachdem der Kollege Nagel ungefähr fünf Minuten auf sie eingeteufelt hat. Zum Glück wartet die alte Dame, gehbehindert wie sie ist, an der Haltestelle auf den Bus und kann nicht fliehen. »Die wisse doch gar net mehr, wofür sie das Geld ausgebe solle. Statt daß sie es mal den geringere Leud gebe! Die könne ja sehe, wo se bleibe mit ihre Rente!« Dieser Philippika hat ein psychisch nicht gering herausgeforderter Frührentner interessiert zugehört und schiebt sein Trekkingrad nun hinter Nagel her zum Aktionstisch, an dem er so lange direkt neben dem attraktiven Jungunionisten stehenbleibt, bis der ihn nicht mehr ignorieren kann.
»Wissense, der Jochen Lengemann, der hat’s damals auch überspannt.«
»Wer?« fragt Nagel dummerweise nach und lädt so nicht nur zu einem längeren Gespräch über den hessischen Landtagspräsidenten von 1982/83 sowie 1987/88 ein, sondern offenbart auch noch, daß er von hessischen Lokalpolitikergrößen nicht die leiseste Ahnung hat.
»Lengemann, kenne Se den net? Ich bin ja aus Kassel. Aber Politik interessiert mich jetzt net mehr so, ich schreibe jetzt Märchen.«
»Aha«, macht Nagel und denkt ein bißchen über Selbstmord nach.
»Ja. Es war einmal, so fangen ja Märchen immer an.«
»Stimmt.«
»Es war einmal ein Vater, der hatte einen Sohn, der immerzu beschäftigt werden wollte.«
»Oje.«
»Ja. Der konnte sich keine zwei Minuten allein beschäftigen. Das ging so lange, bis der Vater eine Weltkarte genommen und daraus ein Puzzle gemacht hat, damit der Sohn mal ein bißchen länger zu tun hatte.«
»Soso.«
»Ja. Aber der Sohn war wieder nach zwei Minuten fertig. Wie hast du das denn gemacht? fragt der Vater, und der Sohn sagt: Auf der Rückseite der Weltkarte war ein Kopf, den habe ich einfach zusammengesetzt. – Ja, es kommt alles aus dem Kopf!«
»Den Eindruck habe ich auch…«
Ein Ehepaar in hinreißend zeitgenössischer Freizeitkluft und mit sichtbar hohem BMI zieht ein paar treffende Gegenargumente aus dem Köcher: »Des is utopisch, des liegt doch viel zu hoch!« beginnt der Gatte, den ein leicht Marlon-Brando-haftes Air umweht.
»Ja, das Schloß schaut dann raus!« sekundiert die elfenhafte Ureinwohnerin und guckt, als ließe sie jetzt gerne einen fahren. »Wer isn des eischentlisch?« erheischt die Wutz detaillierte Informationen über ihre Landesmutter in spe. »Is das die aus der Zeidung? Die is ja schrecklisch, furschtbar!«
Muß man sich für Ökostrom alles gefallen lassen?
O ja
O nein
Am östlichen Ausgang des Marktplatzes kann sich ein bereits nach Moder riechender, mit diversen seltenen Hautkrankheiten geschlagener Senior nicht von Redaktionsbeau Fischer losreißen. Sein rechtes Auge ist entweder entzündet oder zugewachsen, jedenfalls kriegt er es nicht mehr auf; dafür ist sein Sprachzentrum ganztägig geöffnet:
»Ich bin ja eigentlich auch eher von Ihrer Partei, nicht. Ich habe Sie alle gesehen, alle gewählt. Den Adenauer, den Erhardt, den Kiesinger, den, den, na, mit R heißt er, helfen Sie mir.«
»Rau.«
»Roman Herzog, genau, den Kohl. Aber wissen Sie, Herr Fischer, ich würde mir wünschen, daß da wieder Feuer reinkommt, die CDU ist heute doch völlig überaltert. Und hier in Weilburg, da rührt sich überhaupt nichts. Da müßte wieder Pfeffer rein!« Eben das versuchen wir ja seit geschlagenen zwanzig Minuten! Aber der Marktplatz von Weilburg ist derart ausgestorben, daß Magdeburg dagegen wie eine quirlige Metropole wirkt.
»Man darf keinen Krieg anfangen, den man nicht gewinnen kann«, grinst der Jenseitige abschließend, »wenn Sie wissen, was ich meine.« – »Ich weiß genau, wen Sie meinen.«
Würden Sie sich von einer Ausländerin regieren lassen?
O ja
O nein
Überhaupt wird in Weilburg viel gestorben. Jede zweite Reaktion auf Ypsilantis Einschluchtenstaudamm lautet sinngemäß: »Bis der kommt, sind wir längst unter der Erde!« Andere kämpfen noch gegen das nahe Ende: »Guten Tag, haben Sie schon von der Lahntalsperre gehört?« – »Ja, so eine Schweinerei. Ich muß jetzt aber zum Arzt!«
Zum Arzt sollte auch der Sozialdemokrat in den besten Jahren mal, der den blutjungen Praktikanten Hürtgen mit Leidenschaft anfaßt und die Politik der unbeliebten Volkspartei entschlossen in Schutz nimmt: »Lieber Moritz Hürtgen, dich werde ich lang in Erinnerung behalten. Aber ich wette mit dir um einen Dauerlutscher, daß das nie umgesetzt wird!«
So unbesorgt der sozialdemokratische Dauerlutscher wie überhaupt die süßgestimmten Einheimischen der Vernichtung ihrer angestammten Heimat entgegensehen, so unruhig reagieren naturgemäß die Touristen, die um ihr beliebtes Seniorenreiseziel fürchten: »Wir sind hier dreimal im Jahr!« – »Schade um die schöne Stadt.« – »Wird das Schloß noch zu besichtigen sein?« Es wird; allerdings sollte man ein Boot dabeihaben.
Während eine Abordnung der Bockenheimer Jung-Union in den dörflichen Stadtteil Kirschhofen verschwindet, um dort die Briefkästen mit Anti-Ypsilanti-Material zu füllen, wird es an unserem Stand international, als sich eine amerikanische Touristin von uns weltläufig die Situation erklären läßt: »It’s a kind of a wall which will, äh… it’s like the Hoover Dam!« – und wissen möchte, ob wir dafür oder dagegen sind. »We are against it, of course!« – »Ok! Where can I sign?« Nirgends! Denn ihr Lebensabschnittsbegleiter verbietet ihr die politische Demonstration, indem er über den Platz krakeelt: »Don’t talk to them! They are political!
These people are against everything! ›Build it anywhere, but not in my backyard‹!«
Finden Sie 50 Euro Entschädigung ausreichend?
O ja
O nein, ich will…
Ein Hinterhofstaudamm – mit solchen Kleckerprojekten kann man Hessens neuer Gewaltherrscherin natürlich nicht kommen. Und muß man auch nicht; denn selbst gegen steingewordenen Größenwahn haben zumindest die Weilburger so gut wie gar nichts: Sie sind weder political , noch sind sie against everything. Auf unserem Protestanrufbeantworter verliert sich ein einziger Demonstrant, vor dessen geschliffenem in tyrannos die erzsympathische Kommunistenfreundin Ypsilanti aber gewiß keine Angst zu haben braucht.
Kaum sind die Kommunisten also an der Macht, können sie mangels Bürgerprotest machen, was sie wollen. Egal ob ein überteuerter Jahrhundertstaudamm oder eine achtspurige Autobahn von Ypsilantis Wohnhaus zu ihrem Berliner Lieblingsitaliener – dem Volke ist’s wurscht, da kann die Junge Union soviel reden, wie sie will.
Also kann man sie ja eigentlich auch verbieten.
Volkes Stimme auf »Ypsilantis« Anrufbeantworter: Herr Sch*** ist dagegen
»Ja, hier ist Sch***, einen wunderschönen guten Tag. Telefon ... äh ... 06*** 952 – 17, äh, 923, 7, äh, 28. Ich hab so viele Telefonummern… Äh, ich habe heute etwas gesehen äh zur äh Lahn – – talsperre. Ich find – – oder Lahntalflutung – – wenn das, was mir zu Ohren gekommen ist, richtig sein sollte, daß das geplant ist, dann, äh, bitte ich Sie doch Abstand zu nehmen, weil das für mich eines der größten Schwachpunkte und schwach, äh, großer Schwachsinn hier in den letzten Jahren in der Bundesrepublik ist. Das wird Ihnen, muß ich sagen, doch, äh, nehm ich an, sehr sehr viele Stimmen kosten, und es lohnt sich nicht deswegen mit der Linken, wenn diese das zur Voraussetzung machen, äh, hier das einzugehen. Ich bin also strikt dagegen und, äh, wenn man bedenkt, äh, einmal die Kosten steht in keinem Verhältnis, dann was umgesiedelt werden muß, was an Natur ver... äh, hier kaputtgeht und das doch wo man, äh, für Öko, für die Natur ist, ich glaube, das sollte man überdenken. – – Danke, tschüß.«
Teure Computersimulation: So geht Weilburg unter (Abb. ähnlich)
Stefan Gärtner / Oliver Nagel