Inhalt der Printausgabe

Henri-Nannen-Preis 2009

Tschau ohne au

Dr. Roger Kusch ist Deutschlands populärster Sterbehelfer. Was macht ihn so sympathisch?

Als uns Dr. Roger Kusch die Tür öffnet, trauen wir unseren Augen nicht: Das soll der Mann sein, dem vor­geworfen wird, einer 78jährigen
Frau aus Würzburg Sterbehilfe geleistet zu haben, obwohl sie weder schwer krank war noch unter unerträglichen Schmerzen litt? Sieht so ein skrupel­loser, profilierungssüchtiger Sterbehelfer aus: Dutt, Kittelschürze, mütterliches Gesicht, ­Besen in der Hand?

Dr. Roger Kusch

ist Deutschlands populärster Sterbehelfer. Was macht ihn so sympathisch?

Selbst ist der Mord:

Manche Patienten warten nicht auf Dr. Kusch

Gelernt ist gelernt:

Dr. Kusch vor Erfindung seines Todesapparats

Der Tod ist ein deutscher aus Mailand (i.e.: Hamburg):

Dr. Kusch bei der Arbeit

Längere Wartezeiten

vor dem Abtritt

Mit dem Floss über die Lethe:

Betriebsausflug bei Kuschs

»Er hat einen Coffin mit zwei Styx Zucker von mir verlangt!«

Haushälterin Zutt ist ratlos

 

Natürlich nicht. Wirtschafterin Doris Zutt führt Dr. Kusch seit Jahren den Haushalt und kann nur Gutes über ­ihren Chef berichten: „Er bringt mir sogar ­Zigaretten mit – ,Sargnägel’ sagt er immer dazu. Hier zu kündigen wäre in meinem ­Alter auch reiner Selbstmord! Und wenn mir mal finanziell die Knochen klappern, hilft er mir mit kleinen Finanzspritzen aus dem Auto­maten – ich darf sogar seine Schwarze Amex-Karte benutzen!“

 

Der Hausherr hat noch im Keller zu tun, und während wir auf ihn warten, schweifen unsere Blicke über die vielen Bilder, die die Wände seiner geschmackvoll neutotisch eingerichteten Altbauwohnung mit Blick über die Wupper schmücken: „Ritter, Tod und ­Teufel“, „Der begleitete Selbstmord des ­Marat“, Pferdeposter. Aus dem Radio kommt melodischer Death Metal, und Haushälterin Zutt serviert uns einen Tequila Sunset, um das letzte Stündchen bis zum Eintreffen unseres Gesprächspartners zu über­brücken.

 

Und das kommt schneller, als man denkt; bzw. der: Mit einem gewinnend dämonischen Grinsen betritt der Mann, der Deutschland spaltet, den Raum. Für die einen ist er nach wie vor der sympathische Lausbub, der gerne Frösche aufbläst und auf dem Friedhof übernachtet (Mutti, Vati), für alle anderen ein größenwahnsinniges Arschloch (Nagel). Aber wer ist er wirklich?

„Sterben müssen wir alle“

Was wir wissen, wissen wir aus dem Internet: Geboren 1954 in Tötensen, Abitur am Fritz-Haarmann-Gymnasium in Killertissen, danach Bundeswehr. Als Panzergrenadier schießt er einmal „aus Versehen“ in ein Veteranentreffen, plädiert beim anschließenden Standgericht auf Todesstrafe, wird aber nur ins Bundesjustizministerium strafversetzt. Nebenher gründet er mit seinem besten Freund Hein die Band Killerpilze (Debüt­album: „Ich nehm’ gleich zwei“), doch Hein stirbt an ­einer Überdosis, weil er seinen (Kuschs) körper­lichen Verfall nicht mehr ertragen kann. Das nachfolgende Soloalbum „Kuschrock“ floppt, einzig das Mike-Krüger-Cover „Der Ab­nippel“ wird kurzzeitig zum Karfreitagshit. Der überzeugte Christ Kusch – „Jesus wollte sein Leben als Ausdruck größter Autonomie dann beenden, als er es für richtig hielt“ – tritt in die CDU ein und unterstützt eine ­Kampagne für das Waldsterben, bis ihn Hamburgs Oberbürgermeister Ole von Beust zum Justizsenator macht. In der Hansestadt peitscht Kusch eine Reform der Friedhofsverordnung durch die Bürgerschaft und engagiert sich für das Umlegeverfahren bei der Altersvorsorge. Nachdem er von Beust mehrfach öffentlich als „politisch tot“ bezeichnet und ihn bei Abstimmungen hängengelassen hat, wird er kaltgestellt und gründet seine eigene Partei „Neue Sterbehilfe für Deutschland als Programm“ (NSDaP).

 

„Bestatten: Kusch!“ begrüßt uns der elegant in schwarz gekleidete Ex-Senator mit ­einem eiskalten Händedruck. „Schön, daß Sie sich entschlossen haben herzukommen. Vielen Menschen fehlt der Mut, den letzten Weg ­einem erfahrenen Reiseleiter anzuvertrauen. Ich hoffe, ich kann Sie bald von Ihren Leiden erlösen!“ Tatsächlich sind wir schon halbtot vor Hunger, und mit einem Finger­schnipsen holt Kusch seine Haushälterin heran und bestellt drei Portionen Tote Oma mit Radieschen von unten. „Können Sie mir einen Löffel abgeben?“ ­bittet uns der hohlwangige Menschenfreund augen­zwinkernd und schlingt dann, als ginge es um sein Leben. Nach dem Abdecken spendiert er eine Runde Mordhäuser Doppelkorn, den wir auf ex trinken müssen, bevor uns der vielbeschäftigte Voll-Blut-Jurist in sein Arbeitszimmer bittet. „Mit meinem Verein ‚Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V.’ setze ich mich für das Recht eines jeden auf selbstbestimmtes Sterben ein. Mit meinen Dr.-Kusch-Selbstmordapparaturen ist Ableben nur noch Formsache!“ Stolz zeigt uns der Sohn eines Himmelfahrtskommandeurs seine Sammlung selbstgebastelter ­Exitus-Maschinen: ein Beil, das auf Knopfdruck in einem Holzrahmen heruntersaust, einen Gürtel aus Sprengstoff, ein Hörbuchversion des Alten Testaments, eingelesen von Ben Becker, sowie Kuschs jüngste Kreation namens „Hin und weg“ – ein Set aus schwarzer Schuhcreme und einem Zugticket nach Magdeburg.

Kuschs Motto: Tod kennt kein Gebot

Moralische Bedenken hat der leidenschaftliche Totospieler dabei nicht: „Jeder hat das Recht, sein Foto täglich in der Zeitung zu ­sehen! Ich bin schließlich auch nicht weniger sexy als Keith Richards oder Marilyn ­ Manson.“ Alle Apparate hat er persönlich ent­­wickelt und an seinem GEZ-Mann getestet – „doch der war einfach nicht totzukriegen! Aber ­meine Maschinen sind ja auch für ­Menschen aus Fleisch und Blut gedacht.“

 

Sein Erfolg gibt ihm recht. Denn obwohl er erst jetzt so richtig prominent geworden ist, arbeitet er doch schon seit Jahrzehnten im Verborgenen: Die Galerie von signierten ­Fotos zufriedener Kunden reicht von Petra Kelly und Gert Bastian („…zufrieden bis zum Schuß“) über Uwe Barschel („Ein feuchter Händedruck zum Abschied“) bis hin zu Jürgen Möllemann („Mein Aufschlag hat sich sehr verbessert, vielen Dank!“). „Mit politischem Selbstmord kenne ich mich bestens aus, aber die Fotos von Gabriele Pauli wollte ich mir dann doch nicht an die Wand hängen – Entschuldigung, Telefon!“ Kurz darauf kehrt Kusch peinlich berührt zurück, reibt an seinem Ohr: „Tut mir leid, das war nur mein Thanatos. Ist aber auch egal, der Nachrufbeantworter ist sowieso ­immer eingeschaltet!“

 

Aua. Und time to say good bye! Denn so gesund sehen wir beide nicht aus, daß wir nicht Angst haben müßten, auf dem Friedhof der Kuschtiere zu landen. Zwar hat Nagel jeden Abend Angst heimzugehen, aber Gärtner will seine Lieblingsserie nicht verpassen: „Selbstmord ist ihr Hobby“. Kusch begleitet uns zur Tür. „Ich könnte jetzt zwar sagen: Schade, daß Sie schon gehen müssen. Aber diesen Satz habe ich noch nie gesagt!“ Aus dem Aufzug kommt uns ein dicker, bärtiger Pfälzer entgegen, der einem aktuellen SPD-Vorsitzenden wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Ob Dr. Kusch ihm helfen kann?
Wenn ja, steht es todsicher in der ­Zeitung.

 

Stefan Gärtner/Oliver Nagel

ausgewähltes Heft

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg