Inhalt der Printausgabe

Woran wir glauben

Religiosität ist wieder in, erregt und spaltet die Gemüter: Ist Gott tot? Wenn nein: Lebt er noch? Wenn ja: Ist er ein Blödmann? Und Religion nichts als ein Kübel Jauche, der uns kurz nach der Geburt über den Kopf gekippt wird? Fragen, auf die auch TITANIC Antwort sucht. Also lasen wir die neuen Bibeln, die da heißen »Ich bin dann mal weg«, »Klosterjahre« oder »Und plötzlich guckst du bis zum lieben Gott«. Dann horchten wir ganz tief in unser eigenes Selbst und notierten, was wir hörten: acht wahrhafte Glaubenswege und kreuzehrliche Bekenntnisse!

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Auf der Suche
Meine Kindheit und Jugend waren getränkt von Religion. Wenn meine Mutter mein Zimmer betrat, tat sie es selten ohne den Ausruf: »Mein Gott, wie sieht’s denn hier aus!« Wenn ich beim Zahnarzt eben erst den Mund aufgetan hatte, hörte ich meist ein »Jesus Christus!«, und nach dem Sportunterricht unter der Dusche war ein ehrfürchtiges »Heilige Scheiße…!« die Regel. Aber wie das so ist, als Jugendlicher geht man in die Opposition, hinterfragt kritisch, und kaum war die Konfirmation rum (DM 3000.--, 1 Radiowecker, Diver-ses), ging ich an Weihnachten nicht mehr in die Kirche und hörte Satansmusik (BAP) – aber auf Dauer war mir das zuwenig. Ich brauchte einfach einen Sinn in meinem Leben, der über das Materielle (Stereoturm à DM 3000.--) hinausging, wollte aber an kein »höheres Wesen« (Mutti!) glauben. Da hörte ich im Radio ein Lied, das mein Leben total veränderte: »Mein Gott Walter« von einem gewissen Mike Krüger – und seitdem bin ich auf der Suche nach diesem »Walter«, meistens auf hr1. Aber er hält sich verborgen; Religion ist bei diesem hessischen Sozenfunk halt eher »out«.
Heute meditiere ich viel, meist im Büro, pilgere dreimal die Woche zum Getränke­markt und bete, daß mich nie wer in meiner rosa Unterhose sieht, die mal in einem Sechserpack mit drin war und die ich auch nur trage, wenn alle anderen in der ­Wäsche sind.

Stefan Gärtner (1)

Catholicism wow!

Jetzt, wo man sich nicht mehr dafür schämen muß, bekenne ich wieder voller Stolz: Ich bin Katholik, Katholik aus tiefster Seele, bin es immer gewesen! Und irgend etwas muß man dem Islam doch entgegensetzen. Die Mosebachschen Reformen der Liturgie gehen mir allerdings noch nicht weit genug. Zunächst will ich die Teilhabe an der ganzen communio, d.h. nicht nur den Leib, vulgo die Hostie, sondern auch das Blut des Heilands, id est der sog. Laienkelch, also einen guten Schluck vom sonst nur dem Pfarrer vorbehaltenen Meßwein, der ja, wie es in der Summa theologica des Hl. Thomas heißt, von den beiden sogar die wichtigere Sache (res) ist. Ich will die Johannestaufe, also das vollständige Untertauchen des Säuglings in fließendem Gewässer (und nicht dieses läppische Geplansche, das heute leider usus ist); ich will die Messe auf Aramäisch; und ich will jeden Sonntag auf dem Marktplatz eine Hexe brennen sehen.
Wofür zahle ich denn soviel Kirchensteuer?

Leo Fischer (2)

Auf Pilgerreise
Schwer, sich einzugestehen, daß man viel Zeit mit sinnlosem Gerede vertan hat! Daß es schon später ist als nur fünf vor zwölf, daß man letztlich ganz alleine ist. Ich jedenfalls tappte im Dunkeln, obwohl gerade noch so ein großer Rummel um mich gemacht worden war: Überall bunte Lichter, alles hatte sich um mich gedreht, Essen, Trinken im Übermaß – leibliche Genüsse pur! Doch dann die Erkenntnis: Ich mußte mich auf den langen Weg zu mir selbst machen. Zu Fuß und ohne Geld. Zum Glück wußte ich, wo ich wohne. Ein langer Pilgerweg: Mozartstraße, Kapuzinerstraße, Wittelsbacherstraße, über die Isar und immer weiter südlich bis Haidhausen.
Unterwegs traf ich viele andere Pilger. Manche lagen in tiefer innerer Einkehr zu Füßen anderer, viele liefen offenkundig verwirrt umher, die meisten auf der Suche nach Hochgeistigem, Spiritu-ösem, das sie doch nicht bekamen. Zwei Pilger, die Häupter schamhaft verhüllt bis auf zwei Sehschlitze, zeigten mir ihre einfachen, groben Knotenstöcke und erbaten meine Unterstützung für ihren weiteren Weg.
Schließlich erlangte ich ein einfaches Glück: Ich befreite mich von allem weltlichen Ballast, warf von mir, was ich nicht mehr brauchte, und war wahrhaft erleichtert. Ich kehrte mein Innerstes nach außen und übergab mich den Wellen des Flusses, an dessen Ufer ich nun doch übernachten wollte. Morgen war auch noch ein Tag.

Oliver Nagel (3)

Seine Erlebnisse auf dem Hacker-Pschorr-Pilsnerweg beschreibt Oliver Nagel in seinem aktuellen Bestseller »Ich bin schon ganz weg« (Oktober-Fest-Verlag)   


Gott ist doch kein Zott!

Früher glaubte ich an den Weihnachtsmann mit Hirsch und Mütze. Heute ist mein Gott apersonal, ein außerraumzeitliches Kontinuum, plasmapoetische Urkraft und causa prima mit Rauschebart, Bademantel und Flip-Flops, der uns an Christkind die ganzen Geschenke serviert – obwohl die eigentlich alle gar nicht auf den Schlitten passen können! Manche schenken ja Fahrräder! Mokicks! Palmen! Ob es Gott also gibt? – Eben! Zudem betonte bereits Thomas von Aquin, daß alles, welches sich auf bewiesenermaßen Seiendes rein reime, gleichfalls a priori seiend sein müsse, wie man aus dem Reimpaar Schrott / Gott ersehen könne – im Gegensatz etwa zu Mott, Dott, Chrott oder Zott, die allesamt als unexistent zu bezeichnen sind, was man ja schon daraus ersieht, daß der Ausruf »Ach du lieber Zott!« so ungebräuchlich wie sinnlos ist. Meine Meinung!

Thomas Gsella (4)

Beten hilft mir einfach

Normalerweise komm’ ich mit mir ja absolut schlecht klar, aber wenn ich ausnahmsweise mal ganz oben bin und eins mit mir und mich fühle wie die Gottesmutter in Frankreich, weil ich alle küssen könnte und Bäume reihenweise aus dem Boden reißen und mir vorkomm’ wie ein Adler, der auf edelweißen Wolken thront mit einem Herzen, das vor Stolz und Kraft und Freude explodieren möchte, frei und himmelsfroh der Welt entgegen, hinein in Sonne, Ferne und grenzenlose Freiheit, unnennbares Glück, dann falte ich meine Hände zum Gebet, murmele irgendeinen Mist, und schon geht’s mir wieder super- scheiße.

Martina Werner (5)

Mein Weg zu Gott
»Guten Tag, haben Sie schon mal über Atheismus nachgedacht?« Als ich das gutaussehende und aufreizend gekleidete Pärchen, das mir diese Frage an der Haustüre stellte, mit in mein Schlafzimmer nahm, ahnte ich noch nicht, welche Wende mein Leben damit nehmen würde. Überzeugt von den Argumenten der beiden (Feuer­bach, Marx, Nietzsche), wurde ich sofort bisexuell und zudem fanatischer Atheist. Ich richtete mein Leben streng an den Ideen der Aufklärung aus, suchte für alles eine wissenschaftliche Erklärung und fand sie auch stets. Nach einigen Jahren beschlichen mich allerdings Zweifel: Ein glückliches erfülltes Leben – konnte das alles sein? Eines Nachts, als ich besonders heftig mit dieser Frage und mehreren Blondinen unterschiedlichen Geschlechts rang, erschien mir plötzlich Gott. »Bleib du mal schön Atheist«, sagte er gütig. »Das ist besser für dich.« Jetzt weiß ich nicht mehr, wem ich folgen oder was ich nicht glauben soll. Danke, Gott!

Mark-Stefan Tietze (6)

Satan ist cooler

Gern würde ich an den lieben Gott glauben, den Schöpfer ehren, preisen und abknutschen. Leider aber kam ich als Black-Metal-Baby auf die Welt, da hat mich meine Mutter sofort an den Teufel verkauft (sieben Mark). Geld spielt bei dem ja keine Rolle!

Stephan Rürup (7)

Lieber Gott als Fussball
Gehen Sie mir bloß weg mit Gott! Das ist doch ein korrupter Mistkerl und Betrüger! Jeden Sonntag in der Kirche derselbe Quatsch: bet-bet, glaub-glaub, sing-sing. Den feinen Herrn Schöpfer juckt das doch überhaupt nicht. Der hat das Ganze irgendwann mal installiert und stopft sich jetzt die Taschen voll! Das würde doch von uns auch jeder so machen! Wer hätte nicht gern 1500 netto anstatt 1000 oder 400! Aber sagen Sie das mal den Lokführern! Das ist ganz klar Mehdorns Job, dafür wird der Kerl bezahlt! Außerdem sollten die Leute lieber weiter am Standort Deutschland arbeiten und nicht dauernd flennen, dann wird aus uns auch wieder was. Europa!? Noch einmal: Ich hasse die Deutsche Bahn, aber so ist Fußball nun mal! Meinen Glauben an diesen Penner kann das jedenfalls nicht erschüttern.

Thomas Hintner (8)

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 So ist es, Franz Müntefering!

So ist es, Franz Müntefering!

Sie sind nun auch schon 84 Jahre alt und sagten zum Deutschlandfunk, Ältere wie Sie hätten noch erlebt, wozu übertriebener Nationalismus führe. Nämlich zu Bomben, Toten und Hunger. Ganz anders natürlich als nicht übertriebener Nationalismus! Der führt bekanntlich lediglich zur Einhaltung des Zweiprozentziels, zu geschlossenen Grenzen und Hunger. Ein wichtiger Unterschied!

Findet

Ihre Titanic

 Also echt, Hollywood-Schauspieler Kevin Bacon!

»Wie wäre es eigentlich, wenn mich niemand kennen würde?« Unter diesem Motto verbrachten Sie mit falschen Zähnen, künstlicher Nase und fingerdicken Brillengläsern einen Tag in einem Einkaufszentrum nahe Los Angeles, um Ihre Erfahrungen als Nobody anschließend in der Vanity Fair breitzutreten.

Die Leute hätten sich einfach an Ihnen vorbeigedrängelt, und niemand habe »Ich liebe Dich!« zu Ihnen gesagt. Als Sie dann auch noch in der Schlange stehen mussten, um »einen verdammten Kaffee zu kaufen«, sei Ihnen schlagartig bewusst geworden: »Das ist scheiße. Ich will wieder berühmt sein.«

Das ist doch mal eine Erkenntnis, Bacon! Aber war der Grund für Ihre Aktion am Ende nicht doch ein anderer? Hatten Sie vielleicht einfach nur Angst, in die Mall zu gehen und als vermeintlicher Superstar von völlig gleichgültigen Kalifornier/innen nicht erkannt zu werden?

Fand Sie nicht umsonst in »Unsichtbare Gefahr« am besten: Titanic

 Ach, welt.de!

Die Firma Samyang stellt offenbar recht pikante Instant-Ramen her. So pikant, dass Dänemark diese jetzt wegen Gesundheitsbedenken vom Markt genommen hat. Und was machst Du? Statt wie gewohnt gegen Verbotskultur und Ernährungsdiktatur zu hetzen, denunzierst Du Samyang beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, wo Du fast schon hämisch nachfragst, ob das Produkt vielleicht auch hierzulande verboten werden könne.

Das Amt sekundiert dann auch sogleich bei der Chilifeindlichkeit und zählt als angebliche »Vergiftungssymptome« auf: »brennendes Gefühl im (oberen) Magen-Darm-Trakt, Sodbrennen, Reflux bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Bauch- und Brustraum. Bei hohen Aufnahmemengen können zudem Kreislaufbeschwerden auftreten – beispielsweise Kaltschweißigkeit, Blutdruckveränderungen und Schwindel«. Hallo? Neun von zehn dieser »Nebenwirkungen« sind doch der erwünschte Effekt einer ordentlich scharfen Suppe! Erbrechen müssen wir höchstens bei so viel Hetze!

Feurig grüßt Titanic

 Augen auf, »dpa«!

»Mehrere der Hausangestellten konnten weder Lesen noch Schreiben« – jaja, mag schon sein. Aber wenn’s die Nachrichtenagenturen auch nicht können?

Kann beides: Titanic

 Grüß Gott, Markus Söder!

Weil der bayerische AfD-Chef Sie wiederholt »Södolf« genannt hat und Sie ihn daraufhin anzeigten, muss dieser Ihnen nun 12 000 Euro wegen Beleidigung zahlen. Genau genommen muss er den Betrag an den Freistaat Bayern überweisen, was aber wiederum Ihnen zugutekommt. Ebenjener zahlt Ihnen ja die Honorare für freie Fotograf/innen, von denen Sie sich bei öffentlichen Anlässen gern begleiten und ablichten lassen. Im Jahr 2022 sollen sich die Kosten auf stolze 180 000 Euro belaufen haben.

Vorschlag: Wenn es Ihnen gelingt, die Prasserei für Ihr Image komplett durch Klagen gegen AfD-Mitglieder querzufinanzieren, stoßen wir uns weniger an Ihrem lockeren Umgang mit öffentlichen Geldern.

Drückt vorauseilend schon mal beide Augen zu: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster