TITANIC Gold-Artikel
»Schlesier, zur Sonne, zur Freiheit!«
Wie Horst Seehofer auf dem Tag der Heimat 2018 die Revolution der Vertriebenen ausrief. Ein starkes Stück Gonzo-Journalismus von Torsten S. Gaitzsch
Raaaah, guäh, flöch! Eine Stadt wälzt sich konvulsivisch unter der erstarrten Fluktuation abgefucktesten Metropolit-Irrsinns. Hä? Berlin, ja. So heißt diese Stadt, Hauptstadt gar: Berlin, 2012 zur "Stadt des Jahres" gekürt und "kein bisschen leise" (Ute Ohoven). Hier soll heute ein konspiratives Treffen schwerstkaputter Fortschrittsverweigerer stattfinden, und ich werde mich einschleichen. Ich, das ist: der Autor dieses Textes. Hintergrund: Regelmäßig erreichen die TITANIC-Redaktion Briefe vom superominösen Bund der Vertriebenen, enthaltend Einladungen zum sogenannten Tag der Heimat. Jahrelang hatte ich es trotz unerklärlicher Faszination an diesem Fest nicht geschafft, so einer Einladung zu folgen, und als dann auch noch Erika Steinbach ("Sie ist immer sehr nett"; Leo Fischer) 2014 als Präsidentin vertrieben wurde (blanke Ironie!), gab es erst recht keinen Grund mehr.
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… bis 2018 angekündigt wurde, dass kein Geringerer als Horst Seehofer die diesjährige Festrede halten würde! Das konnte ich mir nicht entgehen lassen, mein Plan stand fest: Ich würde hochoffiziell um Akkreditierung bitten, in die Bundeshauptstadt fahren und dann den Minister und CSU-Vorsitzenden aus dem Publikum heraus erschießen. Quatsch: fotografieren. Einen E-Mailwechsel später stehe ich also zum ersten Mal in meinem Leben in B-City, vielleicht aber auch zum 30. Mal, man weiß das ja nie, weil man sofort nach der Ankunft mit Rauschgiftausdünstungen kopfkrank gemacht wird. Aber das soll heute nicht interessieren, auch die neuesten Foodtrends wie Rhabarber-Schorlemorle und Pommes weiß-rot (!) werden links liegen gelassen. Statt treibenden Beats hört man die vertriebene Beate (uff!). "Na, mit welchem Bus sind Sie angereist?" fragt sie eine rostige Statue vor der Urania-Halle, wo die Sause gleich steigen wird. Alle, alle sind sie gekommen, von der Karpatentante bis zum Siebenbürgermeister, nicht nur mit gecharterten Bussen, zum Teil auch mit klapprigen Bollerwagen, der Nostalgie zu Liebe.
Eine verschworene Gemeinschaft aus allen Winkeln des Reichs hat sich hier eingefunden, um mit brechendem Auge den letzten Kämpfer für den Erhalt des Heimatbegriffes zu schauen. Bevor ich mich unter die runzeligen Landsmannschaftsmitglieder mischen darf, muss ich mich einer Taschenkontrolle unterziehen und einem Sicherheitsmann meine Kamera vorführen. Im Foyer gibt es Kaffee und Kuchen, unverschämterweise nur gegen Geld – Schuldkult, ick hör dir trapsen!
Bald ist es soweit. ER betritt den Saal: der nicht nur als Innen- und Bau-, sondern auch und zuvörderst als Heimatminister den Abgehängten ein schlagbaumhoher Heilsbringer seiende Horst Seehofer. Das gesamte Auditorium erhebt sich feierlich und klatschend von den Sitzen. Magic. Bzw. megakotzi!
"Meine Damen und Herren, ich heiße Sie herzlich willkommen zum Tag der Heimat hier in Germania", sagt Seehofer und hechelt sein markantes Seehoferhecheln ins Mikrofon. (Anm.: Alle Zitate Horst Seehofers sind aus dem Gedächtnisprotokoll wiedergegeben und entsprechen nicht zwingend der Wirklichkeit.) "Heimat, was ist das eigentlich? Im Ernst, mir fällt es gerade wirklich nicht ein, ich bin schließlich schon 69. Aber bei der Zahl 69 muss ich immer an die 69 Vertriebenen denken, die ich neulich in die Wüste geschickt habe." Dass die Situation der weiland aus dem Sudetenlande und Ostpreußen Gejagten auf gar keinen Fall mit jener der muselmanischen Sexmobhorden gleichgesetzt werden dürfe, betont Seehofer später mit dem unausgesprochenen Verweis darauf, dass die anwesenden revisionistischen Tattergreise schließlich zu Unrecht von ihrem angestammten, urdeutschen Boden verscheucht worden seien, und diese Bemerkung – ich schwör's bei Gott! – zeitigt den am heftigsten tosenden Applaus.
Wie macht der Mann das nur? Geriert sich in einer Sekunde als Opfer, das seit seiner Berufung ins Bundeskabinett permanentem Widerstand und Hader ausgesetzt ist, in der nächsten als wagemutiger Erneuerer und Patriot. Nach nicht einmal zehn Minuten ist die komplette senile Zuhörerschaft der bayerischen Lichtgestalt verfallen, jede Silbe wird genüsslich aus den Lippen des Erhabenen gesaugt. "Sie sind", holt der Merkel-Bezwinger zum großen Finale aus, "die Vergangenheit, aber auch die Zukunft. Ich werde in Kürze ankündigen, meinen Rücktritt anzukündigen. Und dann werde ich meinen Rücktritt ankündigen und dann von der Ankündigung zurücktreten, und wenn niemand mehr meine Drohungen ernstnimmt, kröne ich mich selbst zum Heimatkanzler und hole Sie alle heim in die Heimat, nach Litauen, nach Danzig, nach Usti und wo noch. Dafür stehe ich mit meinem Namen: Dings." Ein (Täter-)Volk, ein (Staatsst)Reich, ein Führer? Ist er jetzt völlig verrückt geworden?
Nachdem ein knödeliger Pfaffe und ein böhmisch-mährischer Elendschor die Stimmung wieder gekippt haben, verlasse ich hastig den Veranstaltungsort. Die Öffentlichkeit muss davon erfahren! Grauköpfige, stockschwingende Rentnerinnen und Rentner versuchen mich aufzuhalten, nur mit Trickmanövern kann ich ihnen ausweichen ("Hinter Ihnen, die Rote Armee!"), ich stürze in das Straßengetümmel, bahne meinen Weg durch eine Polkaparade und eine Zuhälterdemo. Dann vergesse ich für ein paar Monate, was heute passiert ist, denn Rauschgiftausdünstungen haben mich kopfkrank gemacht. Geiler Twist, was?