TITANIC Gold-Artikel

Kulturtrend Frau

Jahrzehntelang hat es die Kulturszene nahezu ohne sie geschafft: Frauen. Was bisher ein heimlicher Trend in eher linken und feministischen Kreisen war, ist nun zu einer waschechten Kulturtechnik herangewachsen. Die Einladung auf Bühnen ist längst nicht mehr den Männern vorbehalten. TITANIC hat sich in Deutschlands Kleinkunstszene umgeschaut.

Naturgemäß laden Arne, Sebastian und Norman nur Männer auf ihre Lesebühne ein. Das wolle man nun ändern. "Schon alleine, weil Sebastian seit kurzem Single ist", sagen zwei von ihnen einstimmig. "Es ist schon krass, wie natürlich sich Frauen durch eigentlich männliche Gefilde bewegen können", sagt Arne, als wir uns zu ihnen an die leere Bar setzen. Wir reden über Literatur und Chancengleichheit, über Gemeinsamkeiten, aber auch über Unterschiede. Was ist typisch Frau? Was ist typisch Mann? Wo liegen die Privilegien der einen und wo die Schwächen der anderen? Und warum sind die einen so lustig und die anderen so bemüht?___STEADY_PAYWALL___

"Ich finde es toll, dass es da eine Arbeitsteilung gibt. Fast wie im richtigen Leben. Frauen schreiben Naturbeobachtungen und sinnieren über Gefühle bei Regentagen oder über das Verlassenwerden. Wir hingegen schreiben über Naturbeobachtungen, Gefühle bei Regentagen und darüber, wie es ist, eine Frau zu verlassen, ihr Vorwürfe zu machen, und versuchen, das Publikum gegen sie aufzubringen. Es ist einfach schön, die anderen Jungs da abzuholen." Witze über Gewalt und die Verflossene gehören hier genauso dazu wie ein kühles Bier und Salzstangen.

Man wolle hier einen Wohlfühlort für alle schaffen. Selbstverständlich müssen Frauen wissen, worauf sie sich einlassen, erklärt Sebastian. Er zieht seine Schiebermütze aus dem Gesicht und sieht aus wie jemand, der gleich richtig anpackt. Er lässt den Bügelverschluss seiner Bierflasche ploppen und zückt einen Füllfederhalter. "Hier entsteht gleich große Kleinkunst", verkündet er stolz und kritzelt erste Sätze auf einen Bierdeckel. Ich lese das Wort "Busen", bevor Sebastian sich eilig wegdreht. "So, da isser schon. Der Ankündigungstext für den Frauen-Poetryslam. Sebastian lockert seinen Hemdkragen, dreht sich eine Zigarette und räuspert sich. „So! Dann lasst die Ladys mal kommen!"

Doch woher kommt denn nun der Trend zur neuen Weiblichkeit auf Kleinkunstbühnen? "Das mit den Frauen ist einfach eine Entwicklung da draußen, auf die wir reagieren wollen. Wir haben da auch Erfahrungen. Sehen Sie, meine Schwester ist eine Frau. Meine Mutter auch. Und letztlich müssen wir auch sehen, wie wir uns über Wasser halten. Es ist schön, so etwas Althergebrachtes am Leben zu erhalten. Werte und Normen sind wichtig", lacht Norman. Die andern lachen mit. (Es ist lustig, weil Norman Norman heißt, Anmerkung der Redaktion). "Wir wollen trotzdem einen Schritt auf die veränderte Gesellschaft zugehen. Letztlich leben wir aber einfach davon, dass Männer eben Männer und Frauen eben Frauen sind und die einen eben die anderen verlassen. Wenn da jetzt Menschen mit keinem oder mehreren oder ganz anderen Geschlechtern kommen, dann weiß irgendwann niemand mehr, was los ist …" Norman ringt mit seinen Worten. "Das ist auch nicht transphob oder sonst wie feindlich gemeint. Poetry Slam hat eben seine Regeln und eine davon heißt: 'Männer und Frauen' und nicht 'Männer und …'"

Es ist aber auch nicht so, dass Frauen hier etwas zufliegt. Wer neu in die Szene kommt, muss sich einen Platz erarbeiten, erklärt Lars, selbst jahrelang Slammer und über einen guten Freund in die Szene geschlittert. "Einfach wie ein Mann hier so reinrocken und loslegen, das geht nicht. Dafür sind wir mittlerweile auch zu groß und zu professionell geworden. Da müssen wir die Ladys schon genauer beobachten. Nicht gleich größenwahnsinnig werden. Eine zweite … eine zweite … – da fällt mir doch glatt der Name nicht ein – die fällt nicht gleich vom Himmel", verkündet er.

Mit den Frauen kam aber auch der Ekel. "Frauen haben es ja so an sich, dass sie menstruieren und so Dinge tun, die vielleicht nicht überall gut ankommen. Klar wollen wir auch witzig sein und in Wunden bohren, aber ein gewisses Niveau sollte da schon, na ja, Sie wissen schon, wie wir das meinen. Irgendwo sind da einfach gewisse gesellschaftliche Grenzen." Und so bietet die erste Ladyslammer Night ein handverlesenes Aufgebot von Künstlerinnen, die sich völlig frei abseits von reinen Frauenthemen entfalten können.

"Das wäre ja auch langweilig, immer nur Frauenthemen. Das mit der Unterdrückung – na ja, geschenkt. Immerhin haben die Girls hier ihre Bühne." Sebastian und Norman prosten sich zu. Lars' Worte zum Abschied sind versöhnlich: "Frauen müssen einfach lernen, über sich selbst zu lachen. Wir können das schließlich auch. Und meine Freundin lacht auch gerne über sich. Das war natürlich ein Prozess. Aber die besten Witze entstehen immer noch daheim am Küchentisch. Da arbeiten wir dann auch zusammen. Sie macht Dinge und ich schreibe darüber. Es ist schon ein Fortschritt, wenn nicht mehr nur noch über Frauen gelacht wird, sondern auch mit Frauen über Frauen geschmunzelt wird."

Jessica Ramczik

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hi, Daniel Bayen!

Sie sind sehr jung und waren mit Ihrer Firma für Vintage-Klamotten namens Strike vorübergehend sehr erfolgreich. Die ist jetzt pleite, machte aber zeitweise 2,9 Millionen Euro Umsatz. Der Bedarf war so groß, dass Correctiv-Recherchen zufolge sogar massenhaft Neuware zwischen die Secondhand-Bekleidung gemischt wurde. Auch Sie räumten demnach ein, gefälschte Ware geordert zu haben. Allerdings, so behaupten Sie, nur, um Ihren »Mitarbeitern zu zeigen, wie man gefälschte Ware identifiziert und aussortiert«.

Aber Bayen, Ihre Expertise besteht doch darin, neue Sachen auf alt zu trimmen. Also versuchen Sie bitte nicht, uns solche uralten Tricks zu verkaufen!

Recycelt Witze immer nach allen Regeln der Kunst: Titanic

 Gemischte Gefühle, Tiefkühlkosthersteller »Biopolar«,

kamen in uns auf, als wir nach dem Einkauf Deinen Firmennamen auf der Kühltüte lasen. Nun kann es ja sein, dass wir als notorisch depressive Satiriker/innen immer gleich an die kühlen Seiten des Lebens denken, aber die Marktforschungsergebnisse würden uns interessieren, die suggerieren, dass Dein Name positive und appetitanregende Assoziationen in der Kundschaft hervorruft!

Deine Flutschfinger von Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster