TITANIC Gold-Artikel

In Düsseldorf wird gefickt!

Düsseldorf, 27. Juli 2019. Vor dem Hyatt-Hotel tummeln sich etwa 70 E-Scooter, im Hotel wartet die gleiche Anzahl junger weißer Männer darauf, dass es endlich losgeht, dass der Boss endlich kommt und seinen Bizeps zeigt. Sie sollen im restlichen Text Alphas heißen. 


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Frankfurt, etwa zwei Wochen vorher. In etwa zwei Wochen ist Alpha-Meeting in Düsseldorf: Kollegah aka. "Der Boss" aka. Felix Martin Andreas Matthias Maria Blume ruft zur Zusammenkunft seiner neuen Bodybuildingelite mitten im 1Live-Sektor-Sendegebiet auf, um Antworten auf alle relevanten Fragen unserer Zeit zu geben: Wie mache ich meinen Job zu meiner Bitch? Darf man den Legday wirklich nicht skippen? Und ist Hitler wirklich tot? Das ist meine große Chance. Schon seit Jahren verfolge ich Kolles Karriere im Netz und im TV; verfolge den Mann, der mit nur einer selbstgedrehten Doku aus Palästina eine deutschlandweite Debatte darüber auslöst, ob man jetzt Juden hassen darf oder nicht. Einmal ins Alpha-Mentoring-Programm, das wäre mein Traum. Mein einziges Problem: Ich bin eine Frau und 2000 Euro habe ich auch nicht. Aber auch wir kleinen Leute wollen das Leben endlich mal zurückficken. Zeit für ein fick-, äh, trickreiches Kostüm.

Etwa zwei Wochen später. Ankunft am Hyatt-Hotel in Düsseldorf, ich zupfe noch ein letztes Mal meinen blauen Kittel zurecht. Dann geht es durch die gläsernen Drehtüren und an Alpha-Mentoring-Roll-Ups vorbei in das Foyer, wo Deus-Maxima-Shirts und der Geruch des Parfüms "One Million", das den Testosteronduft nur schwer überdecken kann, auf mich warten. "Hey, du." Ich drehe mich um. Ein blasser dünner 17jähriger in Tanktop baut sich vor mir auf. Er hat offensichtlich seinen ganzen Mut zusammengekramt, um mich einfach so anzusprechen. Unter den Achseln und auf der Oberlippe zeichnet sich ein leichter Flaum ab. "Seit wann sind denn Bitches zugelassen?" Das ist jetzt wohl die Feuerprobe, denke ich mich räuspernd. "Ehm, ich bin hier nur die Putzfrau-, ich meine, -fotze." Nicken vom Teenager. Zum Glück sitzt die Sprache bei mir. Das Hirn von dem Huso habe ich auf jeden Fall hart durchgenommen.

Ich schaue mich in dem großzügigen Foyer um. Überall stehen Männer-Grüppchen und gönnen sich die fast kostenlosen Häppchen (Proteinshakes und Senfeier). Auch das ist Alpha. Es werden Oberarme und Oberschenkel befühlt, um den Erfolg der vergangenen drei Monate zu vergleichen. Die Devise der Alphas, um ihr Leben umzukrempeln: mehr Sport, kein Zocken, kein Wichsen und nicht mehr als zehn Frauen (Mama ausgenommen) gleichzeitig. Dazu einmal wöchentlich Gruppenskypen mit dem Boss persönlich. Das hinterlässt natürlich Spuren. Etwas verunsichert schaue ich an meinen eigenen schmalen Ärmchen herunter.

Bossmäßige Verpflegung am Eingang: Senfeier schützen vor Illuminatenstrahlung

Leicht gedämpft durch den Hotelteppich  – den sollte auch mal wieder jemand saugen, denke ich mir, gut also, dass ich da bin – fliegen mir Satzschnipsel von den Alphas zu, während ich im Hintergrund die Kacheln an der Wand mit Glasreiniger besprühe. Seit ich mit dem Putzen angefangen habe, beachtet mich zum Glück niemand mehr. "Ja, ein Kollege hat mal ein Praktikum bei den Bilderbergern gemacht … Ganz schön abgefuckt. Und unbezahlt natürlich." – "Ich habe bei meiner Arbeit gekündigt und bin rausmarschiert an den ganzen unwissenden Schafen vorbei, die es noch nicht verstanden haben. Der Job stand meinem Erfolg einfach im Weg." – "Wenn ich mich von jemandem ficken lasse, dann nicht vom Leben, sondern nur vom Boss."

Apropos: Just in diesem Moment öffnen sich die Flügeltüren zum Konferenzraum, gleich geht wohl das Herzstück des Meetings los, ein Live-Coaching durch Kollegah höchstpersönlich. Die Alpha-Masse strömt in den bestuhlten Raum, ich zockel mit meinem Putzwagen hinterher. Aufgeregtes Gezeter, Stühlerücken, Kampf um die Plätze ganz vorne an der kleinen Bühne. Hier stimmt das Mindset einfach. Von den Wänden hängen Banner mit Kollegahs Logo, dem Alpha-Löwen, und seinem Namen darunter. Nach etwa fünf Minuten erbitterten Fights entknotet sich der Pulk langsam und die nackten Oberarme verteilen sich auf die Stühle. In den ersten Reihen selbstzufriedene Gesichter und besonders aufgepumpte Muskeln.

Wenn der Boss wüsste, wie die Jungs in den Reihen eins bis drei gerade die anderen Alphas zerfickt haben! Jetzt ist es gleich so weit, motivierende Marschmusik mit Deep House drunter gemixt verkündigt die Ankunft unseres Führers. Zuerst sieht man seine frisch gemachten Seiten, dann die unverkennbare Silhouette im Ralph-Lauren-Poloshirt. Glückliches Gröhlen erfüllt den Saal. "Hallo Düsseldorf!" Wie auf ein geheimes Kommando stehen alle gleichzeitig auf, erheben den rechten Bizeps zum Boss-Gruß, und setzen sich nicht wieder. Wenn der Boss spricht, wird wohl strammgestanden. "Heil", murmele ich begeistert und entkalke weiter einen in der Ecke stehenden Kaffeevollautomaten. 

"Wie geil, dass ihr es trotz dieser verfickten Lauchs und Systemsatans hierher geschafft habt. Heute ist euer Tag! Heute seid ihr alle Alpha, denn ihr seid die gottverdammte Elite dieses sogenannten Landes. Ich habe mein Jurastudium abgebrochen, weil ich verstanden habe, was hier vor sich geht. Ich habe diesen Saustall abgecheckt wie eine Fotze am Aldi und muss keine 'Gesetze' genannte Gebrauchsanleitung für diese Lebenslüge namens Deutschland lesen. Die wollen euch alle ausbeuten, aber damit ist es jetzt vorbei. Ich führe euch zum Erfolg." Wieder werden Bizepse in die Luft gestreckt, die Luft zittert. "Nachher könnt ihr alle noch Fotos mit mir machen, für nur 100 Euro. Für 200 Euro dürft ihr meinen Bizeps anfassen!" Erregtes Grunzen. Der Boss ist volksnah! "Ihr müsst das Leben von hinten nehmen!" Jetzt ist mein Moment gekommen. Unauffällig mache ich meinen Kärcher aus und gehe raus aus dem Saal, durch das Foyer und an den E-Scootern vorbei. Ich lasse die aufgepeitschten Männer nun lieber miteinander allein. Die Alphas haben schließlich seit zwei Monaten nicht mehr gewichst.

Antonia Stille

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg