Artikel

Glücksunterricht an der Abendschule

Glück kann man erlernen! Diese Philosophie wird Schulkindern im sogenannten Glücksunterricht beigebracht. 2023 bereits flächendeckend in sechs Bundesländern. Mit "positiver Psychologie" und Techniken wie dem "Dankbarkeitstagebuch" lernen die Kleinen, dass sie ihr Seelenheil selbst in der Hand haben – und wie sie es optimieren können! Aber was, wenn man die prägende kindliche Phase schon lange hinter sich gelassen hat und sein Leben als notorisch jammernder Trauerkloß verbringt? Ein Pilotprojekt soll jetzt auch diesen scheinbar hoffnungslosen Fällen helfen. Die Glücksabendschule. Wir haben sie getestet. Eine Gonzo-Reportage von Conor Körber.  

Nun da ich die 30 erreicht habe, steht, wie es sich gehört, erstmals eine Zwischenbilanz der im bisherigen Leben erreichten Ziele und Erfolge an. Noch wichtiger ist natürlich der Vergleich mit den einstigen Jahrgangskolleg*innen. Beides fällt verheerend aus. Die Schulfreund*innen von damals verwirklichen sich als T-Shirt-Designer in Berlin-Prenzlauer Berg oder "nachhaltiger-Sex"-Coach in Leipzig und zeugen in ihren geerbten Penthouselofts ein fotogenes Kind nach dem anderen. Währenddessen besteht mein beruflicher Alltag darin, schlechte Witze zu schreiben und mich dafür auf Facebook von Rentnern mit Hundeprofilbild als "humorlegasthenische Systemhure" beschimpfen zu lassen. Kein Wunder, dass mein Glückskonto, ähnlich wie das monetäre, ständig im Dispo ist. Was habe ich nur falsch gemacht?
Wäre ich weniger missmutig, wenn ich wie heutige Schulkinder mit Glücksunterricht aufgewachsen wäre? Könnte ich den Groll über die dritte Mieterhöhung in zwei Monaten endlich wegmeditieren? Als Reaktion auf die Zunahme von psychischen Problemen unter Schüler*innen in der Pandemiezeit steht an immer mehr Schulen Glück auf dem Lehrplan. Meiner Generation, die Glück nur als Name eines Fruchtaufstrichs kennt, nützt das herzlich wenig – bis jetzt! Ein neues Angebot soll auch Erwachsene, deren Stimmungsring irgendwo zwischen Dunkelgrau und Vantablack stehengeblieben ist, zurück auf den leuchtenden Pfad der Freude bringen. Die Glücksabendschule. "Wir sind so etwas wie die Rehab für Versager", erklärt mir lachend der Direktor der Einrichtung, dessen Augen glückselig strahlen, nachdem ich ihm das Honorar für den Glücks-Intensivkurs in einem diskreten Umschlag überreicht habe. In den folgenden Tagen soll ich das Wunder der positiven Psychologie kennenlernen und durch ayurvedische Achtsamkeitsrituale meine innere Wunderkerze wieder entzünden.  

 

Tag 1

Ich sitze mit meiner Gruppe an einem Ort, der mein Glücksgefühl spontan wirklich nicht hochschnellen lässt: in einem Klassenzimmer. Ausgemalt hatte ich mir eine esoterische Wohlfühloase samt Räucherstäbchen und mit Yin-und-Yang-Zeichen bestickten Yogakissen. Stattdessen sitze ich in einem kahlen Raum, auf einem viel zu kleinen Klappstuhl mit integrierter Tischplatte; diese Dinger, die ich im Musikunterricht schon immer gehasst habe. Der Kursleiter, eine Mischung aus Robert Habeck und einem ergrauten Fynn Kliemann, begrüßt uns aufmunternd mit der Feststellung, dass wir alle "geile Leude" seien, es nur noch nicht wüssten. Er stellt sich als "zertifizierter Glückscoach und Erfolgstrainer" vor und ruft uns auf, ihn einfach nur "Carsten" oder "den Carsten" zu nennen, es ginge beides.  
"Warum haben es Kinder leichter, glücklich zu sein, im Vergleich zu uns Erwachsenen?" fragt er uns als Einstieg in die erste Unterrichtsstunde. "Weil sie nicht strafmündig sind?" versuche ich kess, die Stimmung etwas aufzulockern. Solch zynische Sperenzien kommen in diesem Rahmen allerdings noch schlechter an als bei den Rentnern auf Facebook. Der Glückscoach sieht mich stumm an. Er strahlt zwar tiefste Entspannung aus, doch in seinem durchdringenden, tadelnden Blick blitzt kurzzeitig etwas durch, das mich beunruhigend an alte Fahndungsfotos von Charles Manson erinnert. Er kündigt ohne weiteren Kommentar an, dass wir, ganz wie im herkömmlichen Glücksunterricht, für die erste Übung in "psychodynamischen Dreiergruppen" eingeteilt werden. Ich überlege kurz, ob ich vielleicht wirklich bei einer fundamentalistischen Sex-Sekte gelandet bin, verkneife mir aber jegliche Kommentare in diese Richtung. Wie sich herausstellt, sollen wir lernen, uns gegenseitig zu "coachen". Also innerhalb eines 10-minütigen Gesprächs die Stärken und Schwächen der gesamten Persönlichkeit des Gegenübers zu erfassen. Die Einschätzung der anderen Gruppenteilnehmer*innen soll uns zu einem realistischeren und positiveren Selbstbild führen. 
Nach eingehender Prüfung wird mir großes Potential für eine Karriere als Clown bescheinigt. Mein "Aber ich bin der große Pagliacci"-Witz verhallt im Surren einer fernen Klangschale. 

 


Tag 2

Nach der emotional eher wenig aufbauenden Erkenntnis des ersten Tages, dass meine größte Stärke darin bestehe, "auf 'ne Art irgendwie ganz lustig" zu sein, freue ich mich heute, endlich in praktischen Übungen Endorphin-Schübe verpasst zu bekommen. Doch statt der erhofften, durch Extremmeditation herbeigeführten Out-Of-Body-Experience steht eine Bastelstunde auf dem Plan. Viel zu kleine Scheren, Prittstifte (leider lösungsmittelfrei) sowie bunte Pappen liegen bereit. Wir sollen unsere "Lebenspizza" basteln. Wieder eine Übung aus dem Schulunterricht.  Jedes Stück der Pizza soll den Anteil in unserem vergangenen Lebensjahr in Kategorien wie "Körper", "Materielle Sicherheit" oder "Selbstverwirklichung" symbolisieren. Wir sollen es so objektiv und ehrlich wie möglich gestalten. Eine äußerst demütigende Übung. Da ich wahrheitsgetreu drei Viertel der imaginierten Pizza durchstreiche und mit "innere Leere" überschreibe, bin ich als Erster fertig. Statt Lob für das schnelle Erledigen der Aufgabe bekomme ich ein Einzelgespräch mit Carsten, pardon, "dem Carsten". Er habe das Gefühl, ich nehme die Sache hier nicht ernst. Ich solle mir einen Ruck geben und mich realistisch auf die positiven Seiten meiner Arbeit und meines Privatlebens fokussieren. Als Strafarbeit soll ich auf einem Nagelkissen liegend so lange meditieren, bis mir einfällt, was mich heute WIRKLICH glücklich gemacht hat. Er sei sicher, da werde mir schon schnell etwas einfallen. Tatsächlich fällt mir bei der Tortur sehr schnell etwas ein: die Meldung über den gesprengten Geldautomaten in meiner Straße. Offenbar ist das aber nicht die Antwort, die mein Glückscoach hören wollte … 

 


Tag 3  

Mit geschundenem Rücken, aber freudig gespannt, schleppe ich mich zur Glücksabendschule. Heute ist nämlich die Zeugnisvergabe. Doch dann die Enttäuschung:  Ich bin durchgefallen und bekomme nicht das ersehnte Glückszertifikat mit dem süßen Schweinchen und dem Kleeblatt drauf. Glückscoach Carsten hat aber ermunternde Worte für mich: Ich könne mich trotzdem sehr glücklich schätzen. Die wichtigste Erkenntnis seines Glückstrainings sei es doch, dass in jeder Niederlage der Keim für einen künftigen Erfolg stecke. Diese Wahrheit müsse ich nur annehmen. Jeder sei seines Glückes Schmied, da man Glück erlernen könne. Wer A sage, müsse auch B sagen. Vorsicht sei aber besser als Nachsicht. Auf dem Weg nach Hause denke ich über seine weisen Worte nach und komme zu dem Schluss, dass ich durch die Glücksabendschule zwar nicht glücklicher geworden bin, aber immerhin jetzt weiß, wer für meine Misere verantwortlich ist: ich selbst. Mit nur ein bisschen mehr Anstrengung, die positiven Aspekte des Lebens zu sehen, könnte ich mich zum Beispiel freuen, eine so stabile Einnahmequelle für meinen Vermieter zu sein, statt mich über die ständigen Mieterhöhungen und Drangsalierungen zu ärgern. Da ich für diesen geistigen Kraftakt aber offenbar zu bequem und unempathisch bin, muss ich wohl mit anderen Methoden meinen Serotoninhaushalt in Schwung bringen. Vielleicht probiere ich es mal mit dem VHS-Kurs "Orgasmic Meditation" oder einer Ayahuasca-Astralreise. Den Erfahrungsbericht lesen Sie dann bald im kostenpflichtigen Titanic-Gold-FSK-18-Bereich.   

 

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz, ganz sicher, unbekannter Ingenieur aus Mittelsachsen,

dass Du Deine Verteidigungsstrategie nicht überdenken willst? Unter uns, es klingt schon heftig, was Dir so alles vorgeworfen wird: Nach einem Crash sollst Du einem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber handgreiflich geworden sein, nur um dann Reißaus zu nehmen, als der Dir mit der Polizei kommen wollte.

Die beim wackeren Rückzug geäußerten Schmähungen, für die Du nun blechen sollst, wolltest Du vor dem Amtsgericht Freiberg dann aber doch nicht auf Dir sitzen lassen. Weder »Judensau« noch »Heil Hitler« willst Du gerufen haben, sondern lediglich »Du Sau« und »Fei bitter«. Magst Du das nicht noch mal mit Deinem Rechtsbeistand durchsprechen? Hast Du im fraglichen Moment nicht vielleicht doch eher Deinen Unmut über das wenig höfische Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (»Kein Ritter!«) geäußert, hattest Deinen im selben Moment beschlossenen Abschied von den sozialen Medien (»Bye, Twitter!«) im Sinn, oder hast gar Deiner verspäteten Freude über die olympische Bronzemedaille des deutschen Ruder-Achters von 1936 (»Geil, Dritter!«) Ausdruck verliehen?

Nein? Du bleibst dabei? Und würdest dafür sogar ins Gefängnis gehen (»Fein, Gitter!«)?

Davor hat fast schon wieder Respekt: Titanic

 Damit hast Du nicht gerechnet, »Zeit online«!

Als Du fragtest: »Wie gut sind Sie in Mathe?«, wolltest Du uns da wieder einmal für dumm verkaufen? Logisch wissen wir, dass bei dieser einzigen Aufgabe, die Du uns gestellt hast (Z+), erstens der zweite Summand und zweitens der Mehrwert fehlt.

Bitte nachbessern: Titanic

 Keine Übertreibung, Mathias Richling,

sei die Behauptung, dass die Ampel »einen desaströsen Eindruck bei jedermann« hinterlasse, denn in den vielen Jahren Ihrer Karriere, so schilderten Sie’s den Stuttgarter Nachrichten, hätten Sie es noch nie erlebt, »dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst«.

Aber was bedeutet das? »Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen.« Nun beruhigt uns einerseits, dass Ihr Publikum, das sich an Ihren Parodien von Helmut Kohl und Edmund Stoiber erfreut, wohl immerhin weiß, wer Ricarda Lang ist. Als beunruhigend empfinden wir hingegen, dass offenbar Sie nicht wissen, dass Lang gar kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist.

Muss sich dazu nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen: Titanic

 Huhu, »HNA« (»Hessische/Niedersächsische Allgemeine«)!

Mit großer Verblüffung lesen wir bei Dir in einem Testbericht: »Frischkäse ist kaum aus einem Haushalt in Deutschland wegzudenken.«

Och, Menno! Warum denn nicht? Und wenn wir uns nun ganz doll anstrengen? Wollen wir es denn, HNA, einmal gemeinsam versuchen? Also: Augen schließen, konzentrieren und – Achtung: hui! – weg damit! Uuuund: Futschikato! Einfach aus dem eigenen Haushalt weggedacht. Und war doch überhaupt nicht schlimm, oder?

Es dankt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, einen kleinen Denkanstoß gegeben zu haben, wenn nicht gar einen Wegdenkanstoß: Titanic

 Sie, Romancier Robert Habeck,

Sie, Romancier Robert Habeck,

nehmen Ihren Nebenjob als Wirtschaftsminister wohl sehr ernst! So ernst, dass Sie durch eine Neuauflage Ihres zusammen mit Ihrer Ehefrau verfassten Romans »Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf« versuchen, fast im Alleingang dem darniederliegenden Literaturmarkt auf die Sprünge zu helfen. Könnten Sie sich als Nächstes das Zeitschriftensterben vorknöpfen?

Fragt Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Hellseherisch

Morgen ist einfach nicht mein Tag.

Theo Matthies

 Süße Erkenntnis

Für jemanden, der Pfirsich liebt, aber Maracuja hasst, hält die Welt viele Enttäuschungen bereit.

Karl Franz

 Dilemma

Zum Einschlafen Lämmer zählen und sich täglich über einen neuen Rekord freuen.

Michael Höfler

 3:6, 6:7, 0:6

Der Volontär in der Konferenz der Sportredaktion auf die Bitte, seine Story in drei Sätzen zu erzählen.

Ronnie Zumbühl

 Nachwuchs

Den werdenden Eltern, die es genau mögen, empfehle ich meinen Babynamensvorschlag: Dean Norman.

Alice Brücher-Herpel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
01.12.2023 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer
01.12.2023 Karben, Kulturscheune im Selzerbrunnenhof Pit Knorr & Die Eiligen Drei Könige
02.12.2023 Itzehoe, Lauschbar Hauck & Bauer
03.12.2023 Kassel, Studiobühne im Staatstheater Kassel Ella Carina Werner