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Götterdämmerung in Burladingen

Wolfgang Grupp (180) ist in Baden-Württemberg weltberühmt und einer der profiliertesten Unternehmer des Zollernalbkreises. Doch sein kantiges Äußeres soll hier keine Rolle spielen. TITANIC trifft den "Jürgen Drews der Baumwollveredelung".  

Ein warmer Frühlingstag im Januar 2023: Schon um 06:00 Uhr lässt Patriarch Wolfgang Grupp die Weihnachtsdekoration abbauen, da sie die Näherinnen von der Arbeit ablenke. Bevor ich den "König von Burladingen" (Grupp über Grupp) kennenlerne, werde ich von seiner Tochter Bonita gebrieft. Sie folge mir auf Mastodon, bis dato hat sie meine Tröts aber weder besternt noch retrötet. Fair: Wir alle sind am Ende des Tages auch nur Menschen. "Sie müssen sich umziehen!" sagt sie mit Blick auf meine Jogginghose. Sodann darf ich, gewandet in Bundfaltenhose und Poloshirt, den nächsten Raum betreten.

 

Kultalarm

Bonita Grupp richtet meine Frisur und stellt mir "eine Beispiel-Näherin und einen Beispiel-Abteilungsleiter" vor, diese sagen gleichzeitig "Herr Grupp ist ein fantastischer Arbeitgeber und uns allen ein Vorbild." Eine Sonnenbank öffnet sich wie von Geisterhand und aus ihr steigt das Trigema-Mastermind empor. Er trägt Maßanzug und ich erkenne, dass er nur Gesicht und Hände bräunt. Ich führe die mir anempfohlene Verbeugung aus, er soll mich keinesfalls für einen ungehobelten Taugenichts halten. Wolfgang Grupp mustert mich und nimmt den Handkuss entgegen. In seinem typischen halbgebückten Gang geht er voraus. Grupp wurde seinerzeit durch eine TV-Werbung bekannt, die ihn im Gespräch mit dem "Trigema-Affen" zeigt. Kultalarm! Da der Schimpanse zu sehr mit der Marke assoziiert wurde, galt er branchenintern als verbrannt. Er starb einsam und mittellos bei einem Feuer im Grupp'schen Lagerhaus. Bevor ich den Boss etwas fragen kann, stellt er mir Frau Z. vor: "Wir haben die Gute von der Straße geholt. Jetzt hat sie einen sicheren Job als Putzkraft!" Z. murmelt: "Ich war verbeamtete Straßenbauingenieurin." Grupp schreit: "Wie bitte?" Die Situation ist angespannt wie ein zu enger Badeschlüpfer. Frau Z. erwidert: "Herr Grupp ist ein fantastischer Arbeitgeber und uns allen ein Vorbild." Er wünscht ihr knapp "einen produktiven Tag für den Industriestandort Deutschland".  

 

Unentschuldbar

Wir schlendern durch die Produktionshallen. Wolfgang Grupp erzählt, wie sehr die Nachfolgediskussion die Firma befruchtet habe. Wer die Geschäftsführung in Zukunft übernehme, sei nach wie vor offen. Momentan tendiere er zu einer künstlichen Intelligenz "aus der Forschung beim Daimler", welche schon heute die Trigema-Tankstellen leite. Wir treffen Grupp Junior, sein Vater ohrfeigt ihn ohne ersichtlichen Grund und schickt ihn auf sein Zimmer in der gegenüberliegenden Familienvilla. "Der Bub hatte ein Unterhemd von H&M an! Unentschuldbar." Vor allem, weil die eigenen Produkte so gut seien: "Unsere Faserkombinationen sind zäh wie Leder und hart wie Gruppstahl. Mit G, verstehen Sie?" Ich frage irritiert: "Fasergombinationen?" Mein Gastgeber kneift mich fest in die linke Wange und betitelt mich als "saubers Äffle".  

 

Aus gutem Hause

Szenenwechsel: Am Mittagstisch sitzt neben Wolfgang seine Ehefrau Elisabeth, der Stubenarrest des Sohnemanns wurde aufgehoben. Bonita Grupp stellt den Eltern heute ihren neuen Freund vor, den sie zeitnah in der Hauskapelle zu ehelichen plane. Er habe wie sie an der London School of Economics and Political Science studiert und stamme aus gutem Hause. Als er sich ein Glas Rotwein zum Müsli bestellt, schlägt Bonita die Hände vors Gesicht. Ihr Vater erklärte einst, wer einen besoffenen Partner anschleppe, könne nie die Firma übernehmen. Der Fauxpas führt zur sofortigen Trennung. Dann wird endlich gegessen. Die Uniformen der fröhlichen Hausangestellten erinnern an die Crew des ZDF-Traumschiffs. Ich quäle mir eine Schüssel Birchermüsli anstelle des erhofften Fünf-Gänge-Menüs runter. Immerhin muss ich danach fünf Gänge zum Klo unternehmen (Laktoseintoleranz).  

 

Ein fantastischer Arbeitgeber!

Auf dem Weg zurück in die Firma piesacken mich die jungen Grupps. Erst, als ich glaubhaft versichere, kein Interesse am Posten des Geschäftsführers zu haben, umarmen sie mich erleichtert. Wolfgang Grupp stößt nach dem Mittagsschlaf im Solarium zu uns. Er erklärt mir, dass er keinen Computer benutze: "An diesen Dingern verlustiert man sich nur!" Sie seien Luxus und diesen brauche er nun wirklich nicht. Hernach machen wir uns auf zu seinem Hubschrauber, den er für Filialbesuche benötige. Er würde öffentliche Verkehrsmittel nutzen, doch fehle ihm die Zeit. Da ich meine Flugangst vorschützen kann, soll ich zur Filiale laufen. Ich traue meinen Ohren nicht: Es sind nur 250 Meter. Nach einem kurzen Spaziergang stehe ich eine halbe Stunde vor dem Flagshipstore, dann landet der Helikopter, der zunächst noch auf die Flugerlaubnis aus Stuttgart warten musste. Der wütende Grupp steigt ungelenk aus und betritt schnurstracks die Außenstelle. Drinnen dreht er mit dem Lineal eine Runde und spricht mehrere Abmahnungen für unsauber zusammengelegte Textilien aus. Eine Verkäuferin flüstert mir hinter vorgehaltener Hand zu: "Herr Grupp ist ein fantastischer Arbeitgeber und uns allen ein Vorbild." Der Entrepreneur weist darauf hin, dass die Kinder seiner Arbeiter:innen ein Anrecht auf einen Trigema-Job hätten. Meine Recherche im Vorfeld ergab indes, dass es sich nicht um ein Anrecht, sondern um eine Pflicht samt Abiturverbot handelt. Ich konfrontiere Grupp, dieser ringt um Worte. Kaum zu glauben, dass er 2005 für seine rhetorischen Fähigkeiten den Cicero-Rednerpreis in der Kategorie Wirtschaft erhielt. Dann spreche ich den Elefanten im Raum an: Die Skulptur stellt sich als Geschenk des Zoos Unteruhldingen heraus. Wir flanieren zurück zur Zentrale.  

 

Ein fantastischer Arbeitgeber!!!

Wolfgang Grupp fragt mich, ob ich "vom Amerikaner gesteuert" werde. Bevor ich bejahen kann, springt er zum nächsten Thema: Das Kind, welches nicht die Firma erbe, werde mit den Ländereien seiner Frau in Österreich bedacht. Als ich sage, dass das fair klingt, nennt er mich "Sozialschmarotzer". Wie gerufen kommt Bonita hinzu: "Vater ist ein fantastischer Arbeitgeber und uns allen ein Vorbild. Ich würde unseren Gast hinausbegleiten, so das für Sie in Ordnung wäre, Herr Papa!" Sie gesteht mir unter Tränen, dass sie lieber in der Steiermark Alpakas züchten möchte, "als diese Klitsche zu leiten." Doch ihr hinterlistiger und gestellt dusseliger Bruder sei ihr da voraus. Wahnsinn, denke ich, keine von diesen verzogenen Gören will wirklich arbeiten. Ich akzentuiere meine Enttäuschung und laufe grußlos zur Bushaltestelle.  

Martin Weidauer

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallo, Literaturkritik!

Was ist los mit Dir? Alt geworden? Müde? Wir waren doch so gut aufeinander eingespielt: Du liest ein neues Werk von Raphaela Edelbauer (»Das flüssige Land«, 2019 / »Dave«, 2021), gerätst aus dem Häuschen, schreibst irgendwas wie »sprachlich souverän« und »Raffinesse« und »Kafka« und »enorme Sprachmächtigkeit« und abermals »Kafka«, und wir schauen uns das schwergelobte Werk etwas genauer an und finden lauter wundersame Stellen, die Du wahrscheinlich überlesen hast: »Der ganze Raum zitterte glückselig vor Neid wie ein trotziger Block Aspik« zum Beispiel. Oder: »Selbst wenn jemand bloß geschäftig und zielgerichtet den Gang hinunterging, war sein Streben vom Habitus eines Handgemenges«. Oder: »Da richtete sich Pawel jäh auf, und die Lider waren wie von transparenten Seilen an der Stirn aufgerafft.«

So weit, so gewohnt. Aber jetzt? Erscheint »Die Inkommensurablen«, Edelbauers dritter Roman in knapp dreieinhalb Jahren – und Du, Literaturkritik, versagst plötzlich. Mäkelst rum! Erstmalig! Hältst das zwar alles weiterhin für »glänzend« und »klaren Stil«, meinst aber, dass sich »da und dort kleine Fehler eingeschlichen« hätten; findest das Buch stur »faszinierend«, aber auch »faszinierend misslungen«; attestierst auf einmal »Manierismus«, ja stellst (mit dem Spiegel) die ganz großen bangen Fragen: »Mist oder Musil?«

Heißt das, dass Dir allmählich was schwant? Dass Du Lunte gerochen hast? Verdacht schöpfst? Dass Dir an Sätzen wie »Dessen Reaktion produzierte eine ungeheure Diskrepanz« oder »Junge Charmeure in Militäruniform liefen ein paar Mädchen nach, die sich beim Kaufen einer Brezel aus der Auslage eines groben Böhmen kokett umdrehten« irgendwas auf-, irgendwas missfällt – Du weißt nur noch nicht, was genau?

Und also R. Edelbauer bloß noch sieben oder acht Romane schreiben muss, bist Du in zehn oder elf Jahren auf dem Laufenden bist, was die Sprachmächtigkeit dieser Art von Literatur betrifft?

Na dann – durchhalten!

Wünscht Titanic

 Nice one, Ted Cruz!

Sie sind US-Senator und mittlerweile auch hierzulande als rechter Hardliner und Schwurbelkopf der Republikaner halbwegs bekannt. Derzeit setzen Sie sich für die Begrenzung auf zwei Amtszeiten für Senator/innen ein. Und wollen gleichzeitig für eine eigene dritte kandidieren.

Diesen Ansatz finden wir sehr vielversprechend, um die Anliegen Ihrer Partei durchzubringen. Sie sollten ihn unbedingt auch auf andere Themen anwenden! Unsere Vorschläge: Waffenniederlegungen gegen schärfere Waffengesetze, Abtreibungskliniken gegen Abtreibungen und offene Grenzen gegen Einwanderung.

Für weitere Tipps stehen jederzeit zur Verfügung:

Ihre Snowflakes von Titanic

 Bssssssssssssss, Bienen!

Bssssssssssssss, Bienen!

In den USA ist gerade ein Impfstoff für Euch freigegeben worden, nämlich gegen die Amerikanische Faulbrut, die Euch seit einer Weile dahinrafft. Nun wollten wir schon höhnen: »Haha, jetzt wird zurückgestochen! Da merkt Ihr mal, wie unangenehm das ist«, doch dann lasen wir die entsprechende Meldung genauer und erfuhren, dass das Vakzin gar nicht injiziert, sondern dem Gelée Royale für Eure Königinnen beigemengt wird. Erschreckend, wie sich wieder einmal die Impfgegner/innenlobby durchgesetzt hat!

Zeichnet somit erst mal keine Beeontech-Aktien: Titanic

 Gute Idee, Porsche-Vorständin Barbara Frenkel …

Sie haben Ihre Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die Regierung das (zufälligerweise auch von Porsche produzierte) synthetische Benzin, also E-fuels, subventionieren und somit billiger machen müsse. Denn: »Der Kraftstoff, den wir herstellen, ist viel zu teuer, als dass wir ihn so verwenden könnten.«

Dieser Superidee schließen wir uns gerne an: Wir tippen jetzt jedes Heft auf unseren eigens entwickelten »E-tools« (Kryptotinte), aber weil das doch aufwendiger ist als die Arbeit am PC, fordern wir dann gemeinsam mit Porsche Geld vom Staat, um die Heftkosten zu drücken, ja? Nein? Dann sehen Sie bitte endlich ein, dass Sie sich mit Ihrer ineffizienten Deppentechnologie auf dem Markt nicht durchsetzen werden, und sagen Sie Ihren peinlichen Brummbrumms Lebewohl.

Wünscht Ihnen keine gute Fahrt: Titanic

 Ach, »Welt«,

wohl mangels Materials bewarbst Du online einen sieben Jahre alten Artikel aus dem Archiv, und zwar mit den Worten: »Wenn ihr diese Wörter benutzt, wirkt ihr intelligenter.« Dazu ein wahlloses Foto einer jungen Frau.

Nun wollen wir Dich nicht enttäuschen, müssen aber doch auf einen wichtigen Umstand hinweisen, der Dir anscheinend entgangen ist. Man muss nämlich nicht nur bestimmte Wörter benutzen, um intelligent zu erscheinen, sondern diese auch noch in eine komplizierte Reihenfolge bringen, die oft ganz entscheidend ist.

Dumm für oft Welt hält Journalist/innen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Beim mittelmäßigen Zahnarzt

»Bitte weit aufmachen! Nicht erschrecken, meine Mundhöhlentaschenlampe ist mir vorhin ins Klo gefallen, ich muss eine Wunderkerze benutzen.«

Torsten Gaitzsch

 It’s not a Bug

Als Gregor Samsa, Programmierer, eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett erfreulicherweise zu einem ungeheueren Feature verwandelt.

Christian Kroll

 Medienkritik

Ich kann diese Parfum-Influencer auf Youtube einfach nicht riechen.

Fabian Lichter

 Post vom Mediator

Beigelegt: ein Streit.

Andreas Maier

 Marktregeln

Leuten, denen es in der Supermarktschlange nicht schnell genug geht und die deshalb eine unschuldige Mitarbeiterin ankeifen, fehlt das nötige Kassenbewusstsein.

Viola Müter

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 24.02.:

    Die Deutsche Welle über das Krieg-Spezial im aktuellen Heft und andere themenverwandte Titel (Artikel in russisch, aut. Übersetzung).

  • 10.02.:

    Spiegel berichtet: "EU-Untersuchung Russland soll Fake-'Titanic'-Titelseiten verbreitet haben"

  • 10.01.: "Der Teufel vom Dachboden" – Eine persönliche Pardon-Geschichte in der Jungen Welt von Christian Y. Schmidt.
  • 13.12.:

    Anlässlich des 85. Geburtstages Robert Gernhardts erinnert Christian Y. Schmidt in der Jungen Welt an den Satiriker und Vermieter.

  • 26.10.:

    Chefredakteurin Julia Mateus spricht über ihren neuen Posten im Deutschlandfunk, definiert für die Berliner-Zeitung ein letztes Mal den Satirebegriff und gibt Auskunft über ihre Ziele bei WDR5 (Audio). 

Wenzel Storch: "Die Filme" (gebundene Ausgabe)
Renommierte Filmkritiker beschreiben ihn als "Terry Gilliam auf Speed", als "Buñuel ohne Stützräder": Der Extremfilmer Wenzel Storch macht extrem irre Streifen mit extrem kleinen Budget, die er in extrem kurzer Zeit abdreht – sein letzter Film wurde in nur zwölf Jahren sendefähig. Storchs abendfüllende Blockbuster "Der Glanz dieser Tage", "Sommer der Liebe" und "Die Reise ins Glück" können beim unvorbereiteten Publikum Persönlichkeitstörungen, Kopfschmerz und spontane Erleuchtung hervorrufen. In diesem liebevoll gestalteten Prachtband wird das cineastische Gesamtwerk von "Deutschlands bestem Regisseur" (TITANIC) in unzähligen Interviews, Fotos und Textschnipseln aufbereitet.
Zweijahres-Abo: 117,80 EURSonneborn/Gsella/Schmitt:  "Titanic BoyGroup Greatest Hits"
20 Jahre Krawall für Deutschland
Sie bringen zusammen gut 150 Jahre auf die Waage und seit zwanzig Jahren die Bühnen der Republik zum Beben: Thomas Gsella, Oliver Maria Schmitt und Martin Sonneborn sind die TITANIC BoyGroup. In diesem Jubiläumswälzer können Sie die Höhepunkte aus dem Schaffen der umtriebigen Ex-Chefredakteure noch einmal nachlesen. Die schonungslosesten Aktionsberichte, die mitgeschnittensten Terrortelefonate, die nachdenklichsten Gedichte und die intimsten Einblicke in den SMS-Speicher der drei Satire-Zombies – das und mehr auf 333 Seiten (z.T. in Großschrift)!
Titanic unterwegs
23.03.2023 Köln, Comedia Max Goldt
23.03.2023 Neuruppin, Kulturhaus Martin Sonneborn mit Gregor Gysi
25.03.2023 Meinerzhagen, Stadthalle Martin Sonneborn
02.04.2023 Fürstenfeldbruck, Kunsthaus Greser und Lenz