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"In Wirklichkeit hatte ich noch nie Haare!"

Er war das umstrittene Gesicht, der Kopf und die Glatze des WM-Turniers 2022 in Katar. Während der drei Wochen, in denen die Augen der Weltöffentlichkeit auf das kleine Scheichtum am Persischen Golf gerichtet waren, hat der vielgescholtene Schweizer gelobt, getobt, gefühlt und gezetert. Im TITANIC-Interview sprach FIFA-Chef Gianni Infantino über den Alltag im Wüstenstaat und ließ sich angesichts seines nächsten, mit Spannung erwarteten WM-Coups, exklusiv in die Karten schauen.    

TITANIC: Hallo, Herr Infantino. Wie fühlen Sie sich an Tag 1 nach der WM?  

INFANTINO: Ach, irgendwie leer. Kennen Sie den Song "The Thrill is gone" von B.B. King?  

TITANIC: Nein. Sie?  

INFANTINO: In der Regel mache ich mir nichts aus der Musik von unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen. Aber rein theoretisch müsste es sich so anfühlen, wenn der Ball ausgerollt ist, die Stadien abgebaut und im katarischen Fernsehen statt Fußball wieder Live-Kamelrennen übertragen werden. Sich nach dem brutal guten Abliefern von Höchstleistungen dem schnöden Alltag zuzuwenden, ist nämlich nicht so einfach. Da kann einen schon mal der Blues packen.  

TITANIC: Wie sieht Ihr Alltag denn gerade aus?  

INFANTINO: Im Prinzip wie bei jedem anderen Katari auch. Während wir hier sprechen, sind Billiglöhner aus Nepal gerade dabei, mein mondänes Anwesen in Doha zu tapezieren. Außerdem haben mir nach meiner fabulösen "Ich-bin-wie-Ihr"-Wutrede an jedem Tag der WM homosexuelle arabische Arbeitsmigranten mit Behinderung in den Pool gekackt. Da muss jetzt erst mal gründlich durchgewischt werden.

TITANIC: Ach ja, die Wutrede. Sind Sie über die angebliche Doppelmoral westlicher Politiker in ihrer 3000 Jahre langen Verbrecherkarriere noch immer erbost?  

INFANTINO: Erbost ist ein sehr starkes Wort, so würde ich es nicht nennen. Eher von Hass zerfressen, mordlüstern oder vom unbändigen Wunsch nach persönlicher Vendetta getrieben. Aber erbost? Ich bitte Sie! Dafür gefällt mir die Nachricht von den WM-Rekordeinnahmen in Höhe von 7,25 Milliarden Euro einfach zu gut. Außerdem gilt es schon bald, die Kandidaten für den Austragungsort der WM 2030 zu benennen. Da fällt mir bestimmt wieder was Schönes ein!  

TITANIC: Sie haben sich doch wohl nicht schon wieder auf die Suche nach zahlungskräftigen Autokratien mit homophober und/oder rassistischer Weltanschauung gemacht?  

INFANTINO: Aber sicher doch! Als die Tinte auf dem Vertrag mit Katar noch nicht trocken war, habe ich mich schon mit dem saudischen Prinzen getroffen. Unter uns: Wenn man nicht gerade Journalist von Beruf ist, ihn nicht schief ankuckt und immer ein paar Zeugen dabei hat, kann man mit Mohammed Bin Salman eine richtig gute Zeit haben. Außerdem hätte eine Fußball-WM in Gaudi-Arabien den Vorteil, dass die abgebauten Stadien aus Katar im benachbarten Scheichtum direkt wieder aufgebaut werden könnten. Die asiatischen Gastarbeiter stünden direkt wieder in Lohn und Brot, und bräuchten in den acht Jahren dazwischen noch nicht mal nach Hause zu fahren. So geht Nachhaltigkeit bei der FIFA!  

TITANIC: Und die Themen Homophobie, Menschenrechtsverletzungen, Folter und Ausbeutung wären natürlich auch wieder die gleichen …  

INFANTINO: Großartig, nicht wahr? Ich würde auf Pressekonferenzen einfach den hanebüchenen Quatsch aus Katar nochmal verzapfen und müsste mir noch nicht mal einen neuen Eröffnungstext überlegen. Kritische Fans dürften selbstverständlich ihre alten "One-Love"-Binden wieder mitbringen und sich die Dinger vor dem Stadionbesuch von der Scharia-Polizei abnehmen lassen. Und ein bis dahin 45jähriger Cristiano Ronaldo wäre Botschafter für den Saudischen Fußballverband. Da sehe ich für alle Beteiligten nur Vorteile.  

TITANIC: Mit "alle Beteiligten" meinen Sie doch wahrscheinlich überwiegend sich selbst, oder?  

INFANTINO: Nicht ausschließlich. Ich denke dabei natürlich auch an meine Kinder und künftigen Enkel, die den ganzen Wüstenschotter irgendwann erben werden. Natürlich nicht alles. Ich beabsichtige nämlich, eine beträchtliche Menge davon auszugeben.  

TITANIC: Aha. Wofür denn?  

INFANTINO: Zunächst einmal möchte ich gerne eine marode Tropenrepublik kaufen und mir als Dschungelkönig diplomatische Immunität gegen Strafverfolgung sichern. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass diesbezüglich in den nächsten Jahren was auf mich zukommt. Davon abgesehen träume ich schon seit Jahrzehnten von einem Kopfhautimplantat aus Blattgold.  

TITANIC: Das sieht doch bestimmt richtig scheiße aus!  

INFANTINO: Vermutlich. Allerdings würde ich als fleischgewordener Ballon d´Or (Preis in Form eines goldenen Balls, mit dem die weltbeste Fußballerin bzw. der weltbeste Fußballer geehrt wird, Anm. d. Red.) in die Geschichte eingehen und meiner Unsterblichkeit so ein ganzes Stück näherkommen. Als Kopf der FIFA habe ich übrigens verfügt, dass selbiger nach meinem Tod den bisherigen WM-Pokal ersetzen soll.    

TITANIC: Gruselig! Wollen Sie damit etwa Ihr Kindheitstrauma kompensieren, als Ihre Altersgenossen Sie wegen Ihrer roten Haare hänselten?  

INFANTINO: Blödsinn! Das habe ich frei erfunden, um den Eindruck zu erwecken, ich wüsste, wie diskriminierte Menschen sich fühlen. In Wirklichkeit hatte ich noch nie Haare.  

TITANIC: In den Statuten des Weltfußballverbands steht, man wolle die einzigartige Kraft des Sports dazu nutzen, um die Gesellschaft zum Positiven zu verändern und Kinder überall auf der Welt durch Bildung und die Vermittlung von Lebenskompetenzen zu fördern. Wie erschüttert ist Ihr Glaube daran in Kriegs- und Krisenzeiten?  

INFANTINO: Mein Glaube an die Schweizerische Nationalbank ist über jeden Zweifel erhaben.  

TITANIC: Letzte Frage: Bei Ihrer Wahl 2016 hatten Sie versprochen, die FIFA als glaubwürdige, vertrauenswürdige, moderne, professionelle und verantwortungsvolle Organisation zu etablieren. Müssen Sie nicht selbst lachen, wenn Sie heute an diese Worte zurückdenken?  

INFANTINO: Wieso? Das mit dem "modern" hat doch prima geklappt. 

TITANIC: Herr Infantino, vielen Dank für das Gespräch.  

INFANTINO: Bleiben Sie drin und schauen Sie Fußball.              

Patric Hemgesberg              

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Interessant, was Sie da sagten, Erling Haaland (Manchester City)!

»Die besten Spieler sind die besten in den einfachsten Dingen. Mit der rechten Hand berühren und mit der linken passen. Das ist das Wichtigste. Pep sagt das immer wieder zu mir.«

Mit welcher Hand man dann das Tor erzielt, ist egal, meint im Gedenken an Diego Maradona Titanic

 Gut gehobelt, Noemi Molitor (»Taz«)!

»Unser Handwerk im Journalismus ist die Sprache. Bei genau diesem Werkzeug lohnt es sich also, genau hinzuschauen und auch ethische Fragen an orthografische Regeln zu stellen.«

Die Sprache: Handwerk und Werkzeug in einem. Wird auch nicht besser mit dem Fachkräftemangel, wie?

Schaut genau hin: Titanic

 Tatütata, LKA Niedersachsen!

»Ganz viel Erfolg morgen bei der Prüfung, liebe Karin«, sagt angeblich das gesuchte ehemalige RAF-Mitglied Burkhard Garweg gut gelaunt in einem Video, das bei der Fahndung im Presseportal unter der Rubrik »Blaulicht« veröffentlicht wurde. Die Fahnder/innen erhofften sich dadurch, so heißt es, neue Hinweise, und richten sich deshalb mit den Fragen an die Bevölkerung: »Wer ist ›Karin‹ bzw. ›Carin‹?« und: »In welchem Zusammenhang steht sie zu Burkhard Garweg?«. Schön und gut, da möchten wir nach einem derartigen Cliffhanger nun aber auch die Frage hinzufügen: Wie ist Karins Prüfung denn nun eigentlich gelaufen?

Hinweise an Titanic

 Katsching, Todd Boehly!

Sie haben sich von Ihrem sauer Errafften den englischen Fußballverein FC Chelsea angelacht, der Titel holen soll, allerdings unter Ihrer Leitung lediglich einen einstelligen Tabellenplatz im nationalen Wettbewerb vorzuweisen hat. Zur Generalüberholung der in der Mittelmäßigkeit versackten Blauhemden sind auf Ihr Geheiß für über eine Milliarde Euro insgesamt 39 Fußballer verpflichtet worden, womit der aktuelle Kader mindestens 44 Spieler umfasst (darunter zehn Torhüter, von denen laut derzeit gültigem Regelwerk leider trotzdem nur einer das Tor hüten darf).

Zu dem über Ihrer Truppe ausgekübelten Spott tragen wir allerdings nicht bei, aus unserem Mund also keine Mutmaßungen über beengte Verhältnisse unter der Dusche oder die vollen Körbe am Trikotwaschtag. Denn selbstverständlich wird ein ausgebufftes Finanzgenie wie Sie, Boehly, seine Gründe haben, viermal elf Freunde mit Verträgen, die zum Teil bis ins nächste Jahrzehnt laufen, auszustatten. Denn wissen wir nicht alle, dass in diesen unsicheren Zeiten das Geld auf der Bank am besten aufgehoben ist?

Guckt eh lieber von der Tribüne aus zu: Titanic

 Wenn Sie, Micky Beisenherz,

als Autor des »Dschungelcamps« gedacht hatten, Sie könnten dessen Insass/innen mit einer Scherzfrage aus der Mottenkiste zu der Ihnen genehmen Antwort animieren, dann waren Sie aber so was von schief gewickelt; die RTL-»Legenden« wollten Ihnen nämlich partout nicht den Gefallen tun, auf die Frage, womit sich Ornitholog/innen beschäftigten, einfach und platterdings »mit Vögeln« zu antworten.

Stattdessen kamen: »Was ist das denn?« oder »What the fuck …?«. Dafür zu sorgen, dass so aus Ahnungslosigkeit ein Akt des Widerstands gegen Ihre idiotische Fangfrage wurde, das soll Ihnen, Beisenherz, erst mal jemand nachmachen.

Mit der Ihnen gebührenden Hochachtung: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Alle meine Aversionen

Was ich überhaupt nicht schätze:
»Mädchen, ich erklär dir ...«-Sätze.

Was ich nicht so super finde:
Bluten ohne Monatsbinde.

Was ich gar nicht leiden kann:
Sex mit einem Staatstyrann.

Den Rest, auch Alkoholkonzerne,
mag ich eigentlich ganz gerne.

Ella Carina Werner

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Im Unterzucker

Wenn man sich bei seinem Lieblingsitaliener keine Pizza bestellen kann, weil man nicht alle Vespas auf den Fotos gefunden hat – liegt das dann am nicht bestandenen Turin-Test?

Lara Wagner

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
23.10.2024 Karlsruhe, Tollhaus Max Goldt
23.10.2024 Berlin, Walthers Buchladen Katharina Greve
24.10.2024 Stuttgart, Im Wizemann Max Goldt
25.10.2024 Potsdam, Waschhaus-Arena Thomas Gsella