Artikel
Sag's dem Smartphone-Doc

Wir leben in beunruhigenden Zeiten. Eine reichhaltige Auswahl an Ängsten vor Krieg, Seuchen, Blackouts und einem Wiedererstarken der CDU belastet unseren Alltag und triggert immer häufiger behandlungswürdige Verhaltensweisen. Da ausgerechnet jetzt so gut wie jeder Therapeut im 500km-Radius über Monate ausgebucht ist, können sich Anbieter von "digitalen Gesundheitsapps" dumm und dämlich verdienen. TITANIC hat mit Siegfreud Mund, CEO des Marktführers "ther-happy.de" über die Kosten, Chancen und Risiken einer Selbsttherapie auf dem Handy gesprochen.
TITANIC: Herr Mund, weil Hilfsbedürftige in Deutschland bis zu 20 Wochen auf einen Therapieplatz warten müssen, greifen derzeit viele Menschen auf digitale Alternativen zurück. Welche Beschwerden lassen sich mit Ihrer App überhaupt behandeln?
Mund: Kurz gesagt - alle. Von der obligatorischen Schrulle über eine leichte Profilneurose bis hin zu faustdickem Größenwahn sind wir uns grundsätzlich für nichts zu schade. Besonders unsere riesige Angebotspalette für Patienten mit Smartphone-Sucht kann sich im nationalen Vergleich sehen lassen. Bis Sie sich da durchgeklickt und runtergescrollt haben, vergehen in der Regel Monate.
TITANIC: Ist es ohne gesicherte Diagnose überhaupt sinnvoll eine Therapie zu beginnen?
Mund: Vor Start der Online-Sitzungen erfolgt zunächst einmal ein Gespräch mit einem Facharzt oder Psychologen, der einen Therapiebedarf feststellen muss. Hier leistet unser Partner-Callcenter in Kuala Lumpur hervorragende Arbeit. Unsere Nutzer werden rund um die Uhr von absoluten Top-Leuten und Spezialisten aus nahezu jeder medizinischen Disziplin beraten. Seltsamerweise heißen alle "Rajesh" mit Vornamen. Verrückt, oder?
TITANIC: Ja, total gaga. Wie sieht es denn mit persönlicher und professioneller Unterstützung im Therapieverlauf aus?
Mund: Uns ist sehr wichtig, dass man den Patienten mit seinen Sorgen nicht allein lässt, sondern ihm die Möglichkeit gibt, sich bei Bedarf jederzeit ein Feedback zu holen. Mobbing-Opfer oder Patienten mit Sozialphobie können ihre Probleme in unserem Forum schildern und um eine Rückmeldung aus der Community bitten. Da oft mehrere hundert User gleichzeitig online sind, fallen die Antworten mitunter sehr divers aus. Das kann sehr aufschlussreich sein und einen tollen Therapieeffekt haben.
TITANIC: Können Sie das bitte näher erklären?
Mund: Wenn jemand schreibt: "Du wertloses Stück Müll!" oder "Ich hasse Sie vom Grunde meines Herzens, Sie abstoßender, widerlicher Horst" kann das unter anderem den Prozess der Selbstreflexion beschleunigen und im besten Fall zu einer Spontanheilung führen. Zum Beispiel, wenn Sie unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden und denken, dass Sie der schönste und wundervollste Mensch auf Erden sind. Das kriegen wir hier relativ schnell in den Griff, glauben Sie mir.
TITANIC: Apropos "in den Griff kriegen". Wie sind denn die Chancen Ihrer User auf vollständige Heilung?
Mund: Ausgezeichnet! Unsere firmeninterne Erfolgsquote liegt bei sensationellen 104 Prozent. Der leichte Überschuss erklärt sich übrigens dadurch, dass wir, ohne es zu wissen, wahrscheinlich auch den ein oder anderen Roboter mittherapiert haben.
TITANIC: Sortieren Sie die nicht vorher mit diesem "Anti-Roboter-Test" aus?
Mund: Um Gottes Willen, nein! Wir hoffen, dass wir uns mit der Behandlung von Systemen mit Künstlicher Intelligenz bald ein zweites Standbein aufbauen können. Wenn die Entwicklung weiter so rasant voranschreitet, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Alexa und Co. so richtig einen an der Waffel haben und dringend Hilfe brauchen.
TITANIC: Laut Preisliste kostet eine Registrierung bei Ihnen für 90 Tage gut 600 Euro. Auf Ihrer Internetseite sprechen Sie auch noch von "kostenpflichtigen Zusatzleistungen". Worum handelt es sich dabei?
Mund: Gegen einen kleinen Aufpreis bieten wir über Bluetooth-Schnittstellen interessierten Dritten, die ein berechtigtes Interesse am Therapieverlauf des Patienten haben oder einfach nur neugierig sind, einen Real-Time-Zugang zu den Smartphone-Sitzungen an. Das können Ehepartner sein, aber auch der Chef, eine flüchtige Bekanntschaft vom Wochenende oder die Nachbarin von gegenüber. Wichtig ist, dass das komplette Umfeld im Sinne des Patienten am selben Strang zieht.
TITANIC: Mit Strang meinen Sie jetzt aber nicht …na, Sie wissen schon?
Mund: Also wirklich, einen hilfebedürftigen Menschen mit vereinten Kräften ins Unglück zu treiben, um beispielsweise eine Versicherungspolice oder Erbschaft unter sich aufzuteilen, das wäre doch das Allerletzte. Ich bin zutiefst empört, dass Sie mir überhaupt so eine Frage stellen. (Kaum hörbar flüsternd) Woher wissen Sie das?
TITANIC: Hörensagen. Welche Risiken haben digitale Therapieangebote sonst noch?
Mund: Das mit Abstand größte Risiko ist, dass sich unsere Nutzer die happigen Therapiegebühren plötzlich nicht mehr leisten können und wir auf unseren Unkosten sitzen bleiben. Dem versuchen wir entgegenzuwirken, indem wir, sollte sich eine Zahlungsschwäche andeuten, säumigen Kunden einige unserer Patienten mit Gewaltfantasien vorbei schicken.
TITANIC: Das hört sich ja alles nach einem ausgefeilten und gut miteinander verflochtenen Netzwerk an. Wer hat Ihre Anwendung eigentlich programmiert?
Mund: Die jahrgangsbesten Psychologie-Absolventen internationaler Elite-Universitäten haben sechs Monate in Klausur verbracht und sich Tag und Nacht mit der Frage beschäftigt: "Wie können wir Patienten, die vergeblich auf einen Therapieplatz warten, alternativ optimal versorgen?"
TITANIC: Und mit welchem Ergebnis?
Mund: Woher soll ich das wissen? Während der Zeit habe ich mit zwei anderen Studienabbrechern an dieser dämlichen App herumgedoktert.
TITANIC: Herr Mund, vielen Dank für das Gespräch.
Patric Hemgesberg