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Spaltpilz PEN
Seit Juni 2022 gibt es zwei deutsche PEN-Clubs (Berlin und egal) und weil die Mühlen des deutschen Literaturbetriebs langsam mahlen (Beispiel: Es wird immer noch Goethe gelesen, dabei ist der Mann schon seit Jahren tot), ist der Trend jetzt erst dort angekommen. Die Konsequenzen: immer mehr Betriebe und Kollektive der Kulturwelt trennen sich auf wie ein Buch, das man in der Mitte aufschlägt. TITANIC hat die feuilletonwürdigsten Fragmentalisierungen (Fremdwort) gesammelt.
Verlage
Der Duden steckt schon seit langem in einer Krise (Substantiv, feminin), weil sich viele gute deutsche Bürger wünschen, dass er etwas präskriptiver mit ihrer schönen Sprache umgeht. D. h.: Er soll mehr Regeln aufstellen und Grammatikfehler schärfer kritisieren. Der Verlag hat jetzt auf die Kritik reagiert, indem er sich in die Schwesterunternehmen "Duden soft" und "Duden hardcore" aufgespalten hat. Während ersterer den Sprachwandel liebevoll betrachtet und die schönsten Wortverdreher, Neuschöpfungen und grammatischen Annäherungen an die englische Sprache veröffentlicht und pädagogisch wertvoll kommentiert ("Wer kann schon wirklich sagen, dass etwas ein Feller ist?"), wirbt der zweite damit, das härteste Lexikon der DACH-Region zu sein. "Duden hardcore" hat die "vom Duden empfohlene Schreibweise" in "vom Duden erwartete Schreibweise" umbenannt, einen Verein für die Wiedereinführung der Prügelstrafe im Deutschunterricht gegründet und ein Scharfschützenkommado angeheuert, das jeden abknallt, der im Internet häufiger als zwei Mal "das/dass" verwechselt. Der Verein Deutsche Sprache hat den Verlag dafür mit dem renommierten "Sprachblockwart dass Jahres" (strike one!) ausgezeichnet.
KünstlerInnen und AutorInnen
Auch Einzelpersonen beugen sich immer häufiger der Modeerscheinung und spalten sich in zwei Künstleridentitäten auf. So hat beispielsweise Marc-Uwe Kling verkündet, in Zukunft Comics und Texte anzubieten, die einfache Lösungen behaupten, ohne dabei witzig zu sein. Doch neben seinen Arbeiten rund um das Känguru will der ehemalige Poetry Slammer auch eine neue Reihe launchen, in der die Nazis noch dümmer und fauler sind, das Bildungsbürgertum noch selbstgerechter auf seine Kosten kommen kann. "Ich freu mich schon drauf, bsssss", sagt der Eichenprozessionsspinner, der der Protagonist der neuen Werke werden soll, bevor er sich darüber informiert, welche Geräusche Eichenprozessionsspinner genau machen (keine?). Doch Kling ist nicht der Einzige, der sich der Strömung anschließt: So hat Jan Fleischhauer beschlossen, irgendwann mal etwas nicht Transphobes zu schreiben, und Cornelia Funke möchte endlich mal ein Buch verfassen, dass (strike two!) Kinderaugen nicht zum Leuchten bringt.
Veranstaltungsorte
Den meisten Literaturbegeisterten sind kleine Veranstaltungsorte, an denen man für geringes Geld talentierten Autorinnen und Autoren dabei zuhören kann, wie sie gekonnt aus ihrem neusten belletristischen Werk lesen, um ihnen danach im trauten Zwiegespräch interessante Details über ebenjenes abzuluchsen, absolut verhasst. Deswegen rüsten jetzt immer mehr Literaturhäuser und Eckkneipen auf und werben für Megabookevents: Horrende Eintrittspreise, SchriftstellerInnen, die man nur auf der überdimensionalen Videoleinwand sehen kann, zum Höhepunkt der Show dürfen Fragen gestellt werden, die Person, die die prätentiöseste stellt, wird rhythmisch zertrampelt. Um dem PEN-Geist gerecht zu werden, findet gleichzeitig in einer naheliegenden Besenkammer eine Lesung der aktuellen aspekte-Praktikantin aus ihrem Tagebuch statt, der Einlass ist begrenzt auf 3,5 Leute.
Onlineartikel
Auch vor dem schnellstlebigen Ort der Erde, dem Internet, macht der Trend nicht halt: Artikel über den Literaturbetrieb, die im wwworldwideweb erscheinen, sollen sich zukünftig in zwei Kategorien einordnen lassen: Solche, die auf eine unangenehme Art versuchen, selbstreferentiell und redundant Bezug auf das eigene Medium zu nehmen, um sich dadurch einen unverdienten intellektuellen Anstrich zu geben, und solche, die einfach ganz lieblos mitten im Satz
Laura Brinkmann