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Nach "Tausend Zeilen": Das sind die nächsten History-Blockbuster

Gerade einmal vier Jahre ist es her, dass der im Beruf eines Journalisten gefangene Romancier Claas Relotius dem Spiegel wieder zu landesweiter Relevanz verhalf. Zum Dank wurde ihm gekündigt und zur noch größeren Demütigung ist sein Werk jetzt Stoff der neusten "bissigen Satire" von Bully Herbig. Die Verfilmung von jüngerer deutscher Zeitgeschichte wird damit zum neuen Megatrend im Kino: TITANIC bekam exklusiven Einblick in die Drehbücher des Kinojahres 2023.

Der Sturm auf den Reichstag als Verwechslungskomödie von Til Schweiger

Wir leben in polarisierten Zeiten: die Gräben zwischen Linken, Rechten, sehr Rechten und Hardcore-Rechten werden immer tiefer. Das zeigte sich 2020, als einige aufrechte Freiheitskämpfer nur friedlich die Reichskriegsflagge am Reichstag hissen wollten und deswegen direkt vom aufgebrachten Antifamob und verwirrten Polizisten ganz böse angepflaumt wurden. Til Schweiger, macht aus diesem dunklen Tag eine romantische Verwechslungskomödie mit Versöhnungsauftrag: In "Jetzt-reicht's-Tag" lässt er den sympathisch-tollpatschigen Polizisten Albrecht (Volker Bruch) auf die Demonstrantin Lotte-Esmeralda (Jella Haase) treffen. Albrecht hat den Auftrag das Reichstagsgebäude zu schützen, was bei seiner aus fünf Polizisten bestehenden Mannschaft etwas knifflig ist. Als plötzlich eine Gruppe schreiender Demonstrant:innen an ihm vorbei auf den Reichstag losstürmt, trifft es ihn wie der Schlag: Er ist schockverliebt in die gerade die Flagge hissende Lotte-Esmeralda. Kein Wunder, fühlt er sich im Herzen doch eigentlich auch eher dem Kaiserreich verpflichtet. Er stürmt auf sie zu, stolpert über seine Schnürsenkel, landet in ihren Armen, sie küssen sich. An dieser Stelle würde ein durchschnittlicher deutscher Film bereits enden, doch jetzt kommt der große Schweiger-Clou: Die kesse Dreadlockträgerin Lotte ist in Wirklichkeit eine Linksradikale, die sich undercover bei den Querdenkern eingeschlichen hat. Dies führt im Verlauf des Films zu vielen ulkigen Konflikten zwischen Lotte und dem Rechtspatrioten Albrecht. Von ihren Gefühlen überwältigt beenden aber beide ihren Polit-Aktivismus und sehen ein, dass links und rechts eigentlich nur zwei Seiten derselben Medaille sind und das einzige, wofür es sich zu kämpfen lohnt, die Liebe ist. Ein Happy End, dass das deutsche Publikum lieben wird!

Die Schlesinger-Affäre als Doku-Thriller

Schonungslos, nah und verstörend verspricht der Doku-Thriller "Die Schlesinger-Affäre" zu werden. Eine Art deutsches "The Wolf of Wallstreet", das das bizarre Luxusleben, den Aufbau eines Machtimperiums und den dramatischen Fall der ehemaligen Top-Journalistin nachzeichnet. Der Film wird nicht nur an Originalschauplätzen, mit den Original-Massagesesseln, sondern auch mit der originalen Patricia Schlesinger gedreht – da Maren Kroymann verhindert ist. Selbstverständlich wird die enorme Gage, die notwendig war, ausgeglichen und ein entsprechender Betrag an die karitative Tom-Buhrow-Stiftung gespendet.

Die Ahrtalflut als Heimatkrimi

Selbst in den größten Tragödien ist Platz für einen Funken Humor. Das hat Star-Regisseur Detlev Buck ("Bibi und Tina", "Wuff – Folge dem Hund") erkannt und bettet die Naturkatastrophe ein in einen vergnüglichen Heimatkrimi. Dabei ermittelt das im Mittelpunkt stehende Polizei-Team allerdings nicht, welche Politiker:innen die Flut mit einem Glas Champagner auf Mallorca begossen oder vorm schlechten Wetter nach Südfrankreich flohen. Stattdessen wird mit viel "trockenem" Humor nachgeforscht, welcher kaltblütige Kamerakiller Armin Laschet (gespielt von einem der "Unser Charly"-Darsteller) seine Kanzlerschaft gestohlen hat. Abgerundet wird dieser gefühlige Familienspaß mit dem Soundtrack der ARD-Hitnacht.

Das Malle-Martyrium

Kaum ein Schicksal berührte Deutschland in den letzten Jahren mehr als das einer auf Mallorca im Gefängnis festsitzenden Kegelgruppe. Nur weil sie mutmaßlich einen Brand legten, mussten acht westfälische Frohnaturen in den "Knallhart-Knast" (Bild) der bekanntermaßen gesetzlosen Partyinsel. Diese Tragödie der jüngeren Zeitgeschichte bekommt nun die Aufmerksamkeit, die sie verdient: Der für seine einfühlsamen und realitätsnahen Doku-Dramen bekannte Regisseur Uwe Boll inszeniert, wie man es von ihm gewohnt ist, faktenbasiert, lässt aber Spielraum für kleine künstlerische Eigeninterpretationen: So werden in "Das Malle-Martyrium" Mallorquiner:innen ausnahmslos als blutdurstige Nazi-Vampire dargestellt, deren Leibspeise die Tränen deutscher Ballermanntouristen sind. Der ausschlaggebende Restaurantbrand wird bei Boll zur Sprengung der gesamten Schinkenstraße. Diese wird von Deutschland hassenden Terroristen herbeigeführt und zu allem Überfluss den unbescholtenen Keglern in die Schuhe geschoben. Am Ende siegt die Gerechtigkeit: Ein GSG-9-Kommando marschiert in die abtrünnige Insel ein und stellt nach diversen Zombie- und Vampirschlachten die alte (Sauf-)Ordnung wieder her.

Der Dammbruch von Erfurt als emotionales Politiker-Porträt

Keine drei Jahre sind vergangen und trotzdem ist der "Dammbruch von Erfurt" medial praktisch vergessen – bis jetzt. Damals wandelte der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich auf den Spuren der Weimarer Republik und veranlasste mit Hilfe der AfD die Machtergreifung in Thüringen. Der braune Traum hielt zwar nur wenige Tage, trotzdem könnte ein Film, der detailliert beleuchtet, wie es so weit kommen konnte, interessant sein. Den wird es selbstredend nicht geben. Dafür werden im intimen Kinoporträt "Thomas – drei Tage Ministerpräsident" die wirklich wichtigen Fragen gestellt: Was war es für ein Gefühl, so überraschend der mächtigste Mann Thüringens zu sein? Wie emotional belastend war der Medientrubel um seine Person? Was gab es am Tag der Wahl in der Landtagskantine zu essen? Und welche Rolle spielte die Cancel Culture bei Kemmerichs Rücktritt? Bald im Kino!

Conor Körber

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Augen auf, »dpa«!

»Mehrere der Hausangestellten konnten weder Lesen noch Schreiben« – jaja, mag schon sein. Aber wenn’s die Nachrichtenagenturen auch nicht können?

Kann beides: Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Diese Steilvorlage, Kristina Dunz (»Redaktionsnetzwerk Deutschland«),

wollten Sie nicht liegenlassen. Die Fußballnation hatte sich gerade mit der EM-Viertelfinalniederlage gegen Spanien angefreundet, der verlorene Titel schien durch kollektive Berauschtheit an der eigenen vermeintlich weltoffenen Gastgeberleistung sowie durch die Aussicht auf vier Jahre passiv-aggressives Gemecker über die selbstverständlich indiskutable Schiedsrichterleistung (»Klarer Handelfmeter!«) mehr als wiedergutgemacht, da wussten Sie einen draufzusetzen. Denn wie es Trainer Julian Nagelsmann verstanden habe, »eine sowohl fußballerisch als auch mental starke National-Elf zu bilden«, die »zupackt und verbindet«, hinter der sich »Menschen versammeln« können und der auch »ausländische Fans Respekt zollen«, und zwar »auf Deutsch« – das traf genau die richtige Mischung aus von sich selbst berauschter Pseudobescheidenheit und nationaler Erlösungsfantasie, die eigentlich bei bundespräsidialen Gratulationsreden fällig wird, auf die wir dank des Ausscheidens der Mannschaft aber sonst hätten verzichten müssen.

Versammelt sich lieber vorm Tresen als hinter elf Deppen: Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster