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Gary Gitters heißer Herbst

Um die Zeit bis zum Dreifachwumms zu überbrücken, begleitet TITANIC Menschen, die sich trotz "harter Zeiten" (D. Bohlen) nicht unterkriegen lassen. Denn: Es ist nicht alles schlecht! Diesmal treffen wir einen Gitter-Verleiher.  

Ein typischer Montag in der Stadt der Friedlichen Revolution: Verdachtsunabhängige Polizeikontrollen, Hubschrauberlärm, Rentner:innen, die mit Balkongießkannen brennende Barrikaden löschen. Doch wir können nicht in Connewitz bleiben, da die von LINKE-MdB Sören Pellmann angemeldete Demo gegen den Hass auf Sahra Wagenknecht auf dem Augustusplatz stattfindet. Wir sind dort mit Gerhard Guntermann verabredet, seines Zeichens Verleiher der als Hamburger Gitter bekannten Absperrgitter. "Durchbruch am Gewandhaus!" brüllt Guntermann zur Begrüßung. Er nimmt sich die Zeit, uns den offensichtlichen Unterschied zwischen "Durchbruch" und "Ausbruch" (Stichwort Gefängnis) zu erklären. Dann verschwindet er in einem Pulk aus Polizist:innen, die "ein paar freche Antifanten einnorden", wie ein älterer Herr die Situation trefflich beschreibt. Später sitzen wir mit Gerhard im Barfußgässchen. "Unmut kann man nicht monokausal erklären. Wenn ich die mit meinem Soli aufgehübschte Innenstadt sehe, kommt mir die Galle." Das Solarium habe er kurz nach der Wende eröffnet, heute werfe es kaum noch Gewinn ab. Lautstark schnauzt er das Barpersonal an, der Heizpilz sei nicht warm genug. Er greift zum Bier: "Dann muss es eben ein Heizpils sein, mit S!" Der schlaksige Emporkömmling im Camp-David-Kurzarmhemd gefällt sich in der Rolle des gewitzten Lebemanns.  

Am nächsten Morgen fahren wir im Firmenwagen der Gary Gitter Gitterverleih GmbH nach Salzgitter, wo Guntermann mit seiner Familie lebt. Die einzige CD im Handschuhfach ist "The Best of Glam Rock", sie läuft während der zweistündigen Fahrt in Dauerschleife. Er habe heute frei, bevor es morgen nach Berlin ginge, wo eine Autonomen-Demo gegen Mietwucher und das Existenzrecht Israels auf dem Plan stehe. Wenn sein Job einen Nachteil habe, dann dass Niedersachsen protesttechnisch ein klassischer Fly-Over-State sei. Als die Volkswagen-Kantine den Kraftriegel streichen wollte, hoffte er vergeblich auf lukrative Aufträge vor der Haustür. Wir passieren ein Plakat der Kampagne "Das Handwerk". Auf diesem steht "Studierende? Arrogante Fatzkes!" Gerhard Guntermann nickt wissend.  

Im Vorsaal der Villa erblicken wir zwei geschwungene Treppen aus Marmor. "Alle Heizungen auf fünf", sagt er, als er sich den Schweiß von der Stirn wischt. Heißer Herbst – das höre man jetzt öfters. Und so solle es werden: "Hier wird nicht gefroren, dafür verbürge ich mich." Weil wir kurz warten müssen, schaltet uns Gerhard seine Lieblingsserie "Hinter Gittern – Der Frauenknast" ein. Er kenne Katy Karrenbauer von einer Zaunmesse persönlich, sei aber nicht religiös. Wir dürfen den Geschäftsmann in seine "Schaltzentrale" begleiten. In dem schlecht ausgeleuchteten Raum befinden sich vier Monitore, alles wirkt wie in einer ZDF Info-Doku über Computerhacking. Neben leeren Energydrinkdosen und speckigen Pizzakartons steht ein Soundsystem, aus welchem "Doch die Gitter schweigen" von den Puhdys wummert. Wir blicken auf die Desktop-Versionen von Facebook, Twitter, V-Kontakte und Instagram. "Kein Business ohne Social Media!" Guntermann beginnt seine "Communitypflege". Nach unserer Zählung bespielt er auf Twitter zehn Profile, auf Facebook sieben und auf V-Kontakte zwei. Derweil er Sätze wie "Die Grünen sind die neuen Nazis" oder "Sachsen ist Mordor" mit den verschiedenen Accounts postet und kopiert und erneut postet, schaut er wiederholt Reels seiner "Muse" Louisa Dellert auf Instagram. Ob es ihn nicht störe, dass wir seine Fakeaccounts nun kennen? "Nein", sagt er mit bebender Stimme, er tue nichts Verbotenes. Hernach schreibt er noch zwei Googlebewertungen für sein Unternehmen: Mit dem Name "FCKNZS1312" tippt er "Scheisz Bullen, stabile Gitter. Gerne wieder!" Dann wechselt er zu "EchterKommissarMüller88" und schreibt "Gitter trotzten Wellenbewegungen linksextremer Störer. Netter Kontakt. Fünf Sterne!" Eine solch virtuose Medienpraktik haben wir nicht erwartet. Bezeugen wir hier gelebte Ambiguitätstoleranz oder die Monetarisierung der Hufeisentheorie?  

Gitter-Gerhard geleitet uns zum Badezuber. Bei nasskalten zehn Grad steigen wir in das 36 Grad warme Wasser. Es ist schön, mal nicht über Stromkosten, Gaspreise oder Winfried Kretschmanns Waschroutine nachzudenken. Guntermann reicht uns Met in selbstgetöpferten Krügen und lässt die Hosen runter: "Ich bin Multimillionär!" Dann zieht er seine Shorts aus und steigt nackt zu uns ins Becken. Wochenend-Aufträge wie Konzerte lehne er ab. Lieber mache er unter der Woche ein paar Demos. "Wenn alle Gewerke wie Polizei, Rechtsextreme, Linksextreme und Rathaus gut zusammenarbeiten, ist es eine wahre Freude." Den Film über die Polizeiarbeit bei G20 ("Hamburger Gitter") kenne er nicht, erklärt er auf Nachfrage. Allerdings habe er schon Polizeigewalt erlebt: "Ein Polizist pfefferte sich selbst, trat dann vor Wut gegen mein Gitter." Ein laufendes Verfahren. Apropos Gitter, er kommt ins Schwärmen: "Die Hamburger Gitter kippen nicht!" Früher habe er auch Mannesmanngitter im Portfolio gehabt, dann sei er jedoch zu E-Plus gewechselt, scherzt er selig. Wir fragen ihn, ob ihn Zukunftsängste umtreiben. "Kein Grund zur Verbitterung, zur Vergitterung hingegen schon, hihi!" Ob er denn nicht zumindest den angekündigten Wut-Winter mit Sorge sieht? "Nein, ich mache mir einen Glut-Winter!" sagt er mit stoischer Gelassenheit und roten Wangen.  

Sodann bekommen wir den Weg zum Gästeflügel erklärt, Gerhard werde "die Nacht durchtippen". Tags darauf verabschiedet sich der fleißige Tausendsassa knapp und übergibt uns üppige Lunchpakete. Als wir später im ICE anstelle des erhofften Gitterkuchens nur Bentheimer Moppen darin finden, endet die Recherche. Mit einem gittersüßen Nachgeschmack.  

Martin Weidauer

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg