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Bluterguss statt Schulausschluss
Bis heute gibt es in den USA 19 Staaten, in denen Gewalt an Schulen theoretisch erlaubt ist (Amokläufe ausgenommen). Zu Besuch an einer Junior High School in Cassville, Missouri, wo die körperliche Züchtigung nun nach 21 Jahren ganz praktisch wiedereingeführt wurde, damit störende Schüler nicht mehr vor die Tür geschickt werden müssen.
Seit 1973 ist die Prügelstrafe in Deutschland verboten, in Bayern immerhin seit 1983. Gewalt an Schulen, die nicht von Schülern ausgeht, ist hierzulande undenkbar. Noch! Denn unser transatlantisches Gesellschaftsvorbild geht voran respektive zurück. Es kann nicht mehr lange dauern, bis Promis wie Kristina Schröder oder Jörg Pilawa sich fürs Kinderklopfen einsetzen.
Junglehrer John Johnson Jr. unterrichtet an der Mike Tyson Junior High School in Cassville, Missouri. Auch für ihn kam die Ankündigung, seine Schützlinge künftig schlagen zu dürfen, überraschend: "Am Anfang habe ich mich schon gefragt, ob ich Gewalt gegen Minderjährige mit meinem christlichen Menschenbild in Einklang bringen kann", erzählt der 33jährige: "Aber jetzt muss ich sagen: Das Unterrichten klappt jetzt richtig gut und macht mir und den Schülern auch total viel Spaß! Jesus hat ja auch gesagt, man soll ruhig mal die ein oder andere Wange hinhalten."
Kritik, dass derlei schwarze Pädagogik längst aus der Zeit gefallen sei, weist Johnson zurück: "Sie kommen doch aus Deutschland, oder? Hören Sie sich das mal an!" sagt er und trägt uns in theatralischer Pose einen Gedichtauszug vor:
"Von Birken eine Rute,
gebraucht am rechten Ort,
befördert oft das Gute
mehr als das beste Wort"
"Das ist von Wilhelm Busch!" Unseren Einwand, Busch sei bereits 1908 gestorben, will er nicht glauben. Stattdessen stimmt er lautstark die US-amerikanische Nationalhymne an. Die Frage, ob er eigentlich wisse, dass die Melodie von "Star-Spangled Banner" aus dem Trinklied "To Anacreon in Heaven" stamme, welches einem Säufer huldigt, hört er daher nicht.
Mitten hinein in seinen Gesang in der Schulaula unter der großen USA-Flagge platzt plötzlich ein Schüler und fällt seinem Lehrer ins Wort: "Ey, Mister Johnson, müssen wir die Hausi echt bis morgen machen oder reicht auch noch Donnerstag?" brüllt der Halbstarke mit einem Skateboard unterm Arm. Der Pädagoge fackelt nicht lange und haut dem 15jährigen mit der Faust in die Fresse. "Alles klar, bis morgen", wimmert der Junge und zieht von dannen.
Wiedereingeführt wurde das Verdreschen der Kleinen übrigens auf Wunsch der Elternvertretung, um eine Strafalternative zu den in den letzten Jahren vermehrt verhängten Unterrichtsverweisen möglich zu machen. Die Initiative "Bluterguss statt Schulausschluss" erfreut sich inzwischen großer Beliebtheit. Nur nicht bei den Schülern beziehungsweise nur bei den perversen. Johnson betont jedoch, dass ausschließlich Kinder gezüchtigt werden, deren Eltern zuvor zugestimmt haben. Wie viele das sind? Johnson wirft einen Blick in seine Unterlagen: "In meiner Klasse sind 28 Kids. In diesem Ordner hier sammle ich die schriftlichen Bestätigungen, mit denen mir die Eltern erlauben, ihrem Kind eine zu schmieren. Davon habe ich jetzt 31 Stück. Manche Eltern haben es mir auch bei Kindern erlaubt, die gar nicht auf unsere Schule gehen."
Zu diesen Eltern zählt etwa Nicole Wallace, die wir treffen, als sie ihre Tochter Pepsi Crystal abholt, eine pfiffige Einserschülerin mit geschwollenem Auge, die später einmal Hausfrau und Soldatenmutter werden will. "Ich war am Anfang gegen die Prügelstrafe", erzählt die junge Mutter, "aber meine Tochter quengelte in einer Tour und meinte, dass die Eltern der anderen Kinder es auch erlauben würden, da stand ich dann unter Druck."
Dass Schläge aber nur das allerletzte Mittel sind, versteht sich auch in Missouri von selbst. "Wenn ein Kind den Unterricht stört, indem es zum Beispiel während des Unterrichts zu laut atmet oder den Kapitalismus kritisiert, verwarne ich erstmal mündlich", erklärt Johnson. "Nur, und wirklich nur, wenn es daraufhin nicht aufhört – dann scheppert's."
Doch nicht alle Lehrkräfte haben positive Erfahrungen mit den neuen Bestrafungsmöglichkeiten gemacht. Johnsons Kollegin Erica Nutbush klagt über Schwielen an den Fingern: "Der Alltag einer Lehrerin ist ohnehin schon ziemlich anstrengend und in den USA sehr schlecht bezahlt. Wenn ich dann abends bei McDonalds meinem Zweitjob nachgehe, tun mir vom vielen Züchtigen oft die Hände weh, sodass ich den Grillwender kaum noch halten kann. Manchmal sehe ich an den Tischen auch Kinder mit roten Wangen, denen ich am Morgen noch eine Respektschelle verpasst habe. Aus Rache äußern die dann bei der Bestellung meist irgendeinen Spezialwunsch, Cheeseburger ohne Gürkchen oder so eine Scheiße. Da würde ich denen am liebsten gleich wieder eine schallern, aber anders als in der Schule darf ich das hier natürlich nicht, McDonald’s besteht da auf seine humanistisch geprägte Personalpolitik. Auf das Bildungswesen haben die Wertvorstellungen eines Fast-Food-Konzerns aber zum Glück noch keinen Einfluss."
Der Direktor der Schule, Joseph McCarthy, führt uns derweil in einen eigens für die Züchtigung der Problemkinder eingerichteten Raum, er nennt ihn liebevoll "die Klatschkammer". Im etwa 20 Quadratmeter großen Zimmer zeigt uns McCarthy das neu angeschaffte Waffenarsenal der Schule: Vom klassischen Holzpaddel für Klapse auf den Po über die Pennälerpeitsche bis zu kleinen kindergerechten Daumenschrauben ist alles dabei. Unser Blick fällt auf eine schwere Axt in der hinteren Ecke des Raums. McCarthy bemerkt das und ruft: "Aaah, da ist unsere Axt, die hat der Hausmeister schon gesucht, hat er wohl nach der Gartenarbeit hier abgelegt!"
Während sich Eltern und Schulleitung hochzufrieden mit der neuen Erziehungsmethode zeigen, regt sich unter einigen Schülern Widerstand, wie McCarthy erzählt. "Ein paar Chaoten protestieren halt. Wie immer. Sie bezeichnen unsere pädagogischen Maßnahmen als Misshandlung. Wahrscheinlich Einwandererkinder. Eine besonders aufgebrachte Schülerin sagte, sie wäre lieber gar nicht geboren worden als so zu leben. Aber Abtreibungen haben wir ja jetzt zum Glück auch verboten. God bless America."
Dabei ist dem Patrioten sehr wohl klar, dass derlei gesellschaftliche Rückschritte auch Gefahren bergen: "Ich habe Angst, dass das Image der USA darunter leiden könnte. Vor allem wird das in Zukunft auch eine argumentative Challenge, wenn wir bald mal wieder irgendwo einmarschieren, um dortige Kinder von einer Gewaltherrschaft zu befreien."
Als wir die Schule am späten Nachmittag verlassen und in unseren Miet-Jeep steigen wollen, spricht uns eine Gruppe von Schülern auf dem Parkplatz an. Hinter ihnen steht Direktor McCarthy mit einem langen Stock in der Hand. Die Schülersprecherin Lizzy tritt vor und bekräftigt, wie schön und entspannt das gemeinsame Lernen seit Wiedereinführung der Prügelstrafe geworden sei: "Es ist viel ruhiger, es herrscht mehr Disziplin, deshalb kann man sich viel besser konzentrieren. Bitte schreiben Sie das noch auf!" stottert sie, zuckt mit dem Mundwinkel und zwinkernd uns nervös zu. McCarthy räuspert sich gut hörbar. Hastig fügt Lizzy hinzu: "Ach ja, das wollte ich auch noch sagen: Eine gelegentliche Tracht Prügel ist für uns wirklich kein Problem, Kommunismus und Rock’n’Roll sind die viel größere Gefahr für uns Jugendliche." Als wir die Fahrertür schließen, ruft Lizzy uns noch hinterher: "Außerdem steht für uns fest, dass Donald Trump der eigentliche Sieger der letzten Wahl ist! Kein Sex vor der Ehe! Jesus ist die Antwort! Waffen sind Freiheit! Es gibt nur zwei Geschlechter!" Den Rest hören wir nicht mehr, das Autoradio spielt "Be true to your school" von den Beach Boys.
Cornelius W.M. Oettle