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Feuilleton-Fan-Fiction: Obi-Wan Kenobi

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis: Edelfedern jeglicher Couleur konnten ihre Meinung offen niederschreiben. Da das in Wokistan nicht mehr möglich ist, erscheint diese Rezension der Serie "Obi-Wan Kenobi" anonymisiert. Dem Autor gebührt der Dank der gesamten freien Welt! 

Man (damit sei die Frau mitgemeint!) darf es schon prätentiös finden, wie der Mega-Medienkonzern Disney allgemach opportun, hierbei zwischen Gutdünken und Phantasmagorie changierend, hagiografische Portfoliodiversifizierung beitreibt. Da wird inmitten all der Kinofilme der Cineast auch noch zu Hause unterminiert: Serienprojekte bar jeder Vernunft zum Fraße vorgeworfen, sitzt der geneigte Konsument und detto oktroyierte Homo sapiens sakrosankt im Eames-Armchair, während er bräsig und wider besseres Wissen zum Audience Flow beisteuert, was DIE Währung im Digitalzeitalter zu sein scheint: "Views"! Wie schön war es doch seinerzeit in den Lichtspielhäusern der Alten Bundesrepublik. Den Machiavellisten unter uns möchte man an dieser Stelle zurufen: O tempora, o mores! Wie es das ungeschriebene Gesetz des seriellen Erzählens und, hiermit entlarvender Weise, das Distinktionsgebaren der filmproduzierenden Klasse nun einmal gebieten, ist der ganze Habitus der Serie klandestin. Sie stolpern über "filmproduzierend", obwohl ich hier eine Serie bespreche? Je nun, ich habe keinen Fehler gemacht. Vielleicht sollten Sie einfach besser nachdenken. Si tacuisses, philosophus mansisses!  

"Obi-Wan Kenobi" beginnt mit einem Rückblick zum Wendepunkt im "Star-Wars"-Universum: Zur "Order 66" – verantwortlich für den Tod der meisten Vasallen einer korrupten Republik, gefangen in spätkapitalistischer Beliebigkeit. Selbstjustiz, über deren Motivation sich trefflich streiten ließe. Doch heiligt nicht der Zweck am Ende die Mittel? Die osmotische Brechung der Sequenz: Anakin Skywalker schlachtet Jünglinge ab – freilich ein schon zu offensichtlicher Wink mit dem Zaunpfahl. Ich murmelte ebendort vor mich hin: "Ja, Frau Regisseurin Deborah Chow, ich weiß um das Bienensterben!" Wer nun einen Kaskadeneffekt erwartet, bekommt statt der herbeigesehnten Kraftmeierei antiquiertes Freund-Feind-Denken: Hauptcharakter Obi-Wan arbeitet in einer Fleischfabrik. Sein Chef ist ein Deep-Fake-Space-Clemens-Tönnies. Zufall oder Chiffre? Den moralischen Tidenhub der Szene in Dramolett-Form zu räsonieren, empfände ich als vergebliche Liebesmüh.  

Der ehemalige Jedi-Meister hat Patina angesetzt. Wir bekommen einen Mann gezeigt, der das Elaborat der eigenen Betaisierung wurde: Hauptdarsteller einer Köpenickiade, welche leider Gottes nicht durch sein betont ikonografisches Handeln (er gibt seinem Space-Kamel periodisch einen Happen Nahrung) per Ukas intrinsisch degoutant wird. Was Chow und ihr hochbezahltes Team zumindest nicht vermissen lassen, ist der Vorschlaghammer. So war es zu meiner Zeit gute Sitte, Unterhaltung eine ebensolche sein zu lassen. Stattdessen dominiert die sattsam delirierte Unart, zu politisieren, wo es nur geht. Die kleine Leia Organa, ein (CN: Feminismus) neunmalkluger Springinsfeld, "rennt" im alderaaner Mischwald vor einer Entführerbande davon. Sie tut dies derart langsam, dass die (wohl zu behäbige?) Bekämpfung des Klimawandels allgegenwärtig wird und somit den Spaß liquidiert. To whom it may concern: Cum grano salis! Diffundierte Kritik wird so schon im Vorfeld und fürderhin leiwand, verzeihen Sie das ulkige Wortspiel, dem Alderaanboden gleichgemacht. Möchte man sich denn wirklich mit dem (wohlfeil formuliert) desolaten Zustand des Westens auseinandersetzen, während man auf der Récamiere verweilt? Und die Beispiele für diese Pars-pro-toto-Indoktrination sind nachgerade mannigfaltig: Onkel Owen lehnt ein Geschenk für den jungen Luke ab, da es aus Plastik ist. Ironischerweise gibt es auf dem Wüstenplaneten Tatooine (bis auf das Dünenmeer) kein Meer! Doch zum Kanon gehört, dass Jabbas Sarlacc an einer Verschmutzung durch Mikroplastik leidet. Die Sandleute sind eine derart durchschaubare Metapher für die von Trockenheit drangsalierte Bevölkerung Norditaliens, dass der Plot schon keiner inneren Arithmetik mehr folgt. Denn: Ein Schlaglicht auf das Ende des Verbrennermotors wird ebenso geworfen (eine Mitfahrgelegenheit verrät Leia und Obi-Wan ans Imperium) wie eine deutliche Kritik an der 40-Stunden-Woche formuliert: Darth Vader ist zu faul, durch ein Feuer zu laufen. Das schreit geradezu "Burnout!"  

Wenn ich positive Aspekte pointieren müsste: Jar Jar Binks hat seinen stärksten und bildgewaltigsten Auftritt seit "Episode I". Sicherlich kann hier das Fan-Service-Argument aus der Mottenkiste der feuilletonistischen Filmkritik geholt werden. Doch: Warum sollte man den beliebten Charakterkopf und Hohepriester der jovialen Tollpatschigkeit nicht zurückbringen? Seit "Solo: A Star Wars Story" ist den Verantwortlichen kein Coup mehr gelungen. Dass die Miniserie "Obi-Wan Kenobi" kein solcher geworden ist, liegt an der augenfällig infernalischen Art des Figurenhandelns: Leia ist Richard David Precht, Vader ist Prechts leiblicher Vater Herbert David Precht, Obi-Wan ist Rainer Wendt, Luke ist ein junger Sascha Lobo und die Inquisitorin Reva ist WM-Held Miroslav Klose (sie schlägt unsinnige Salti). Höhepunkt des Parforceritts: Darth Vader stoppt mit der Macht ein abfliegendes Rebellenschiff. Dieses war aber nur ein "falscher Hase": Das richtige Shuttle startet ohne Probleme vom hinteren Parkplatz. Wer hier keinen Tadel der Verpackungspolitik der "Rügenwalder Mühle" erkennt (viel Grün sowohl bei Fleisch als auch bei Fleischersatz), dem sei ein Leben ohne Scheuklappen anempfohlen! In Conclusio erscheint Obi-Wans ehemaliger Vorgesetzter Qui-Gon Jinn als Machtgeist: Ja, in den USA werden Opiate missbraucht, we get it! Ich zitiere hier gern den Grandseigneur der Unterhaltung, Helge Schneider, was opportun und andererseits transzendierend wirken möge: "Ich versuchte, darin einen gewissen Stil zu erkennen. Es gelang mir nicht." Was bleibt a priori von diesem Wolkenkuckucksheim woker Prägung? Ich konsumierte das Werk selbstredend in der englischen Original-Audio. Nicht, weil ich weniger gebildete Menschen aus unteren Kasten verabscheue, sondern wegen der Vader-Stimme von James Earl Jones. Dessen "Standardvarietät" (Dax Werner, Kolumnist) sucht genauso ihresgleichen wie sein unverwechselbarer "Regiolekt" (ebd.). Welch eine Katharsis!  

Qui vadis, "Star Wars"? Ich prophezeie, dass das Franchise auf lange Sicht nicht gegen die Konkurrenz der Comic-Giganten Marvel, DC Comics und Ralph Ruthe bestehen kann. Mich trifft man hinkünftig wieder in der ARTE-Mediathek.  

Martin Weidauer

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
23.05.2024 Bielefeld, Theaterlabor Max Goldt
24.05.2024 Dresden, Buchladen Tante Leuk Thomas Gsella
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »POLO«
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Hans Traxler: »Die Dünen der Dänen«