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Aargauer Bush People

Die deutsche Gründlichkeit macht selbst vor dem Emigrieren nicht halt. Statt den Abflug in die große weite Welt zu planen, nehmen die meisten Bundesbürger ihre Auswanderung wörtlich und marschieren auf direktem Weg zu Fuß in Anrainerstaaten wie die Schweiz.
Rund 309 000 Schwiitzerdütsche zählte das Statistische Bundesamt Anfang 2021. Einer von ihnen ist der Baden-Württemberger Willi Braun. Gemeinsam mit seiner Frau Amelie, den fünf Söhnen Noah, Gabriel, Matthias, Bär und Joshua, genannt Plem Plem, sowie seinen beiden Töchtern Schneevogel und Regen hat er den Sprung vom deutsch-schweizerischen ins schweizerisch-deutsche Grenzgebiet gewagt. Weitab der Zivilisation in der Wildnis des Kartons Aargau leben sie ihren teutonischen Auswandertraum vom selbst errichteten Dörfli. Der Privatsender DMAX („Fernsehen für die tollsten Menschen der Welt: Migranten“) hat der neunköpfigen Hydra Großfamilie eine eigene Doku-Serie gewidmet. TITANIC präsentiert exklusiv die ersten Folgen der Pilotstaffel:
Folge 1: Grüezi mitenand!
Willi Braun macht sich auf und davon. Seine Zelte im Mittelzentrum Waldshut-Tiengen am Rande des Schwarzwalds abzubrechen und ein paar Hundert Meter weiter in der Schweiz wieder aufzuschlagen, erledigt der ehemalige und zuletzt obdachlose Daimler-Bandarbeiter mit ein paar routinierten Handgriffen. Unfern der Heimat lässt er sich mit Sack (Altkleider) und Pack (Familie) in einem der urwüchsigen Auengebiete entlang des Aargauer Hochrheins nieder. Hier soll einmal das entstehen, wovon viele Deutsche, die nicht ins benachbarte Österreich ausgewandert sind, bereits ihr ganzes Leben lang träumen: ein eigenes Braunau.
Folge 2: Vitamine und Naschen
Die Brauns leben von der Hand in den Mund. Besteck wird ihnen beim Dreh qua Vertragsklausel aus dramaturgischen Gründen nicht zugestanden. „Das Leben in der Schweizer Wildnis ist kein Zuckerschlecken“, gibt Bär Braun (Spitzname: Brauner Bär) zu und schiebt sich klammheimlich ein Stückchen Toblerone in den Mund. Er und seine Familie sind auf das angewiesen, was ihnen Mutter Natur bietet. Der erfahrene Jäger weiß: „Tarnung ist alles!“ Bevor er auf die Pirsch geht, greift er beherzt in einen gusseisernen Fonduetopf und schmiert sich die goldgelbe Pampe ins Gesicht. Unbemerkt schleicht sich Bär an einen kleinen Jungen am Rheinufer heran und schießt ihm einen Apfel direkt vom Kopf. So geht gelebte Integration!
Folge 3: Ein dicker Fang
Bei einem morgendlichen Rundgang entdeckt Schneevogel im CERN, Pardon! Kern des Braunschen Zeltlagers in feuchter Erde fremde, nach Appenzeller müffelnde Spuren. Alarmiert wird Tüftler Noah damit beauftragt, mit Ästen, etwas Laub und einigen Röstis als Köder aus der familieneigenen Sickergrube eine Falle zu konstruieren – sobald alle ihr Geschäft erledigt haben. Und tatsächlich machen die Brauns fette Beute, die verspricht, die Selbstversorger gut durch den nächsten Winter zu bringen. Bei dem kapitalen Bock, der sich am nächsten Tag in der unappetitlichen Mocke windet und um seine Freilassung bettelt, handelt es sich um den Aufnahmeleiter der VOX-Sendung „Goodbye Deutschland! Die Auswanderer“.
Folge 4: Unbezähmbare Natur
Die Familie ist auf dem Weg nach Zürich, um dringend benötigte Werkzeuge der Marke „Victorinox“ für die serieneigene Produktplatzierung zu kaufen. Beim Anblick der Betonbauten fällt es den ADHS-gestörten Naturburschen und -mädels bei aller Helvetophilie jedoch schwer, ihre Neutralität zu wahren. Als Gabriel, Matthias und Plem Plem auf dem Zürichberg umgehend mit der Renaturierung der FIFA-Zentrale beginnen, werden sie vom Sicherheitsdienst wegen Wildpinkelns vorübergehend verhaftet. Bei ihrer Rückkehr erwartet den Clan eine echte Überraschung: Braunau steht! „Ich kann kaum glauben, dass das real ist“, zitiert Mutter Amelie beim Anblick der von einem Kulissenbauer mit einem „Victorinox“-Taschenmesser zusammengezimmerten Bretterverschläge die gescriptete Reality. Die Brauns sind sich einig: In der Schweiz stimmt die No-Work-Life-Balance noch.
Folge 5: Adieu!
Welch ein Schock: Willi Braun ist tot! Sein plötzliches Ableben erschüttert nicht nur seine Angehörigen, sondern überrascht auch viele Zuschauer. Die Reaktionen reichen von „Wer?“ bis „Hoffentlich wird der freie Sendeplatz jetzt nicht wieder mit neuen Folgen der drei noch verbliebenen Ludolfs besetzt.“ Der Patriarch war infolge eines Kehlkopfkrampfes zusammengebrochen, nachdem er zum ersten Mal seit seiner Auswanderung versucht hatte, die typischen Krächzlaute der Eidgeborenen nachzuahmen. Beim Leichenschmaus (Bircher Müsli) beschließt die Familie, im Sinne ihres Vaters dennoch weiterzumachen. Der Programmchef gibt dafür grünes Lämpli, sodass demnächst auf DMAX die neue Serie mit den Brauns anlaufen wird: „Nazigoldrausch in Aargau“.
Daniel Sibbe