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Aufschwung Ost: Connewitz calling

ZEIT im Osten, "Wir sind der Osten", COMPACT-Magazin – Das Erzählen ostdeutscher Erfolgsgeschichten hat Konjunktur im bundesdeutschen Gesamtgebiet. Klar, dass auch TITANIC die neuen Bundesländer melken will, solange sie Milch geben (Kühe, Brandenburg, haha). Diesmal begleite ich einen professionellen Graffiti-Entferner durch den Leipziger Extremismushort Connewitz.  

Knuthilf Goboldin wohnt in Wurzen und pendelt werktags nach Leipzig. "Wir sind ein Ein-Mann-Unternehmen, welches exklusiv im Szeneviertel operiert." "Operieren" – so nennt er die sensible Tätigkeit an den mannigfaltig verzierten Altbaufassaden. Behutsam wird der "entarteten Kunst" (Sachsens Ministerpräsident Kretschmer) mithilfe von Sand- oder Partikelstrahlern zu Leibe gerückt. Überstreichen bringe nichts, Graffiti könne "durchbluten". Es ist die Art Erfolgsgeschichte, welche man in Filmen so gern sieht: Vom Tellerwäscher zum Graffitivernichter. Obschon dieser von seiner Zeit als Spülhilfe im "Gasthof Rommelssruh Brandis" nichts erzählen möchte.  

Unter den gestrengen Augen einer Antifagruppe beginnt Goboldin sein Tagewerk: "Gut gemaltes Piece, na ja." Mit den Spezialwerkzeugen legt er los. Es ist so unspektakulär, wie man es sich vorstellt. "Lass Dich von der Kiezmiliz nicht ärgern, die sind alle vernünftig!" sagt er, als ein sportlicher junger Mann (der sich als "M5Tk89_StYlEzZz" vorstellt) auf uns zukommt. Der fetzig in "The North Face" gekleidete Graffitiartist spricht Knuthilf Goboldin höflich an: "Wir haben gestern Nacht gemalt, Auerbachstraße 2. Könnten Sie das noch bis Mittag lassen? Wir brauchen gutes Licht für Insta!" Wie in Trance wirft er dabei einen Farbbeutel auf die Polizeiwache. Ich wundere mich: Stehen sich hier nicht natürliche Feinde gegenüber? Das frage ich hernach meinen Begleiter. "Wir leben in Symbiose. Die Künstler machen ihre Arbeit, ich mache meine. Und die schönsten Werke fotografiere ich mit der Leica. Im Keller habe ich eine Männerhöhle: Von mir kuratierte Streetart in Petersburger Hängung. Da tanke ich Kraft!" Rückschläge gibt es: Neulich hielt er eine an ein Gebäude geklebte Aktivistin von "Letzte Generation" für Sprühkunst. Nach Anwendung der üblichen Chemikalien landete die junge Frau im Krankenhaus und er beim Optiker.  

Goboldin entfernt nicht nur Sachbeschädigungen, sondern auch Vorurteile. Er berichtet sichtlich stolz von seinem sozialen Engagement: "Als Social Entrepreneur gebe ich dem Viertel, das meinen Wohlstand sichert, etwas zurück." Er habe schon drei Bauprojekte mit Luxuseigentumswohnungen realisiert, so habe jeder etwas vom Aufschwung. Dieser sei ein sehr persönlicher, da "Kollegen wie Dietmar Manson und Josh Hagebutt an oder mit Corona starben. Dem Herrn hat es gefallen, meine Konkurrenz zu sich zu holen!" Einfach da sein als Unique Selling Point – im Osten geht das noch! Knuthilf Goboldin versprüht Optimismus, als er von der Übersterblichkeit infolge der niedrigen Impfquote in Sachsen rapportiert. Die Sprayer seien "Gott sei Dank" im Durchschnitt jung und kaum gestorben, das helfe der Auftragslage und "somit der gesamten ehemaligen DDR." Der Handwerker duckt sich routiniert vor ein paar fliegenden Pflastersteinen weg.  

Von den Crews mag niemand mit mir reden. Um meine Recherche voranzutreiben, bleiben mir nur zwei Optionen: Wikipedia und die Polizei. Der freien Internet-Enzyklopädie entnehme ich, dass "Graffiti" der Plural von "Graffito" ist. Erstaunlich! Dann landet schon einer der immerzu über Connewitz kreisenden Hubschrauber auf dem Gelände des "Conne Island". Dort bin ich mit Hauptkommissar Korbinian Knoten-Plötz zum Interview verabredet. "Das Island, wie man hier sagt, wurde nach Conny Island benannt, einer Leipziger Kommunistin!" teilt er mir ungefragt mit. Ich lasse mich nicht beirren und lenke das Gespräch auf das Thema Graffiti. Knoten-Plötz hebt an: "Wir heben ab! Unsere Taskforce 'SoKo Pix' verfügt über acht Helikopter, von denen zu jeder Tages- und Nachtzeit vier in der Luft sind." Die Überwachung des "Vandalismus-Brennpunkts" koste Leipzig und Sachsen circa 250 Millionen Euro pro Monat. An Erfolgen mangele es bis dato, "da man aus der enormen Flughöhe kaum erkennen kann, was am Boden passiert. Die Bürger sehen von da oben aus wie Ameisen!" Der Ermittler zeigt sich dennoch siegesgewiss: "Das Beschaffungsamt hat Ferngläser bestellt. Wegen der unsicheren Wirtschaftslage werden diese allerdings erst im Haushaltsplan 2023 veranschlagt und eingekauft."  

Dass es kreativere Wege gibt, sich der Problematik zu nähern, beweist der "Verband westdeutscher Hauseigentümer und Investoren Ostdeutschland". Der gemeinnützige Verein lancierte kürzlich die Kampagne "Wholetrain for Future". Im Flyer postuliert Schirmherr Dr. h. c. Hademar Baron von Klumppen: "Du bist Aerosol-Junkie und malst gern? Fett! Aber warum sprayst Du stationäre Gebäude voll? Versuch Dich lieber im Plane- und Trainbombing. So sehen Deine Werke die Welt und viel wichtiger: Die Welt sieht Deine Werke!"  

Gegen Ende des Tages treffe ich Knuthilf Goboldin wieder. Wir trinken ein Pils in  der "Kult-Kneipe Betten Költzsch" (Stadtteilmarketing). Der Leipziger Süden sei für seine Branche einer der Hotspots in der D-A-CH-Region. "Apropos: Schau mal da oben!" Goboldin zeigt hinauf zu den bunten Schiefern, welche das Jungendstilgebäude gegenüber bedecken. Die Sonne steht schon tief, als wir uns nach neun Bieren vom Fass verabschieden: "Tschüss Fass!" Dann sagen wir uns Lebewohl. Fürderhin verspricht mir der gebürtige Österreicher, mich bei Gelegenheit in seinen Keller einzuladen.

Martin Weidauer 

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg