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Alles wieder einsteigen, bitte!

Weil viele Fahrgäste wegen der Pandemie aus Angst vor Ansteckung noch immer öffentliche Transportmittel meiden, wollen Verkehrsverbünde ihre Kund*innen im Frühjahr mit einer kreativen Angebots-Offensive zurück an Bord holen. Eine ganze Palette von schicken Innovationen und wohltuenden Sonder-Dienstleistungen soll die Nutzung von Bus und Bahn wieder deutlich attraktiver machen. Auf diese Neuerungen können sich ÖPNV-Kunden in Kürze freuen:

Wertschätzung und Mitgefühl

Waren Mitteilungen über bahntechnische Pannen bisher bloß auf das stocknüchterne und wenig empathische Herunterleiern von Zeiteinheiten beschränkt, hat man sich im PR-Zentrum der Bahn nun endlich eines Besseren besonnen: Zugausfälle und Verspätungen werden ab sofort von professionellen Schauspielern mit tränenerstickter Stimme und scheinbar aufrichtiger Trauer im Schlechte-Nachrichten-Ton durchgesagt ("Verehrte Bahnkunden, die RB 48 von Bad Godesberg-Mehlem nach Wuppertal-Oberbarmen hat es nicht geschafft"). Danach wird meist ein rühriges Trompetensolo für die beim Warten auf eine Anschlussverbindung erst langsam vergreisten und später an Altersschwäche verstorbenen Fahrgäste gespielt, deren Namen ein Vertreter der Bahnhofsmission mit würdevoll gesenktem Kopf verliest, während Mitglieder des Fahrgastverbands Rosen ins Gleisbett werfen. Die Zeremonie endet jedes Mal abrupt, sobald ein über Tage vermisster Regionalzug einläuft und im gesamten Bahnhofsbereich sambaartige Partystimmung aufkommt.

Persönlicher Kontakt

Die bisher von gegenseitigem Misstrauen und zuweilen offener Feindschaft geprägte Interaktion zwischen Mitarbeitern und Kunden im ÖPNV soll nach dem Willen des Bundesverkehrsministers eine soziale Frischzellenkur bekommen und auf lange Sicht toleranter, wertschätzender und respektvoller werden. Dazu will sich das Service-Personal der Verkehrsverbünde ihrem Klientel gegenüber deutlich aufgeschlossener und nahbarer präsentieren. Als erster Schritt in diese Richtung darf bereits jetzt mit allen Busfahrern im kompletten Regionalnetz zu jeder Fahrtminute einschließlich der Kaffeepausen gesprochen werden. Die Shuttle-Lenker haben im Vorfeld eine sechsmonatige gesprächstherapeutische Ausbildung erhalten und stehen auf kurvigen Gefällestrecken selbst hochaggressiv herumfuchtelnden Fahrgästen mit einem Maximum an Geduld und individueller Aufmerksamkeit zur Verfügung. Übrigens: Ein 2-3maliges Greifen ins Lenkrad pro Fahrt und Kunde generiert das Gefühl von öffentlicher Teilhabe und ist nach den neuen Verkehrs-Regularien ausdrücklich erwünscht.

Erhöhung & Aufwertung des Platzangebots

Als unbürokratische Sofortmaßnahme gegen überfüllte Pendlerzüge in Ballungszentren dürfen DB-Fahrgäste nach indischem Vorbild nun auch die luftigen Panorama-Bereiche zwischen den Waggons und auf dem Dach gratis nutzen. Bei finaler Auslastung besteht zudem die Möglichkeit, innerhalb des Tarifgebiets zuzahlungsfrei per Hechtsprung auf Güterzüge und durchrasende Triebwagen umzusteigen. Nervende Sauberkeits-Schikanen, die hungrigen Kunden das genussvolle Verzehren von heißen und fettigen Speisen in Abteilen oder Großraumwagen über Jahrzehnte madig machten, werden im Sinne von Fahrkomfort und Kundenfreundlichkeit demnächst sogar komplett entfallen. So ist es ab Frühjahr nicht nur möglich, Döner, Eis und Pommes Rot-Weiß mit in den Zug zu nehmen, am Platz kann man sogar Grillen oder in gemütlicher Runde sitzend bei Schokofondue und Stockbrot nach Herzenslust auf die Sitze kleckern. Feinschmecker-Tipp: Wild, Geflügel oder Lamm flambiert der Schaffner am Tisch auch gerne persönlich!

Zusätzliche Gimmicks

Während der täglichen Bahnnutzung sorgt eine Vielzahl von duften Zusatzfunktionen für ein sattes Extra an Bequemlichkeit und Fahrspaß. Hier ein Auszug aus der DB-Broschüre:

"Total abgehetzt und den Zug trotzdem verpasst? Egal! Mit dem 'Second-Chance-Mode' legt Ihre Regionalbahn auf lautes Nachpfeifen eine Vollbremsung ein, fährt rückwärts in den Bahnhof zurück und öffnet für Sie erneut die Türen (bei ausreichend Pendler-Nachschub beliebig oft wiederholbar).

Sie sind leidenschaftlicher Hater einer Stadt, Region oder eines Landkreises? Das hochmoderne 'Delayed-Dumping-System' auf unseren Zugtoiletten ermöglicht es Ihnen, per Vorab-Programmierung den Sitzungsinhalt auch noch Stunden nach Ihrem Ausstieg als persönlichen Gruß über Ihrem Wunschort zu verklappen.

Oder wie wäre es mit dem 'Instant-Breeze-Regulator' (IBR)? Bei defekter Klimaanlage im Sommer oder bis zum Anschlag wummernder Heizung im Winter sind während voller Fahrt spontan aufspringende Abteiltüren der Garant für herrlich erfrischenden Luftaustausch und einen sexy 'Wehende-Haare-Effekt'.

Schon gewusst? Falls Sie während der Fahrt eine Pause brauchen, können Sie jederzeit straffrei die Notbremse betätigen, sofern eine der folgenden Voraussetzungen für Sie zutrifft:

A) Sie haben eine Panikattacke
B) Sie möchten einen Muttertags-Blumenstrauß pflücken
C) Sie wollen einmal um den Zug herumlaufen, um zu sehen, wie lang er ist
D) Sie werden im Nichtraucherzug vom unwiderstehlichen Drang nach Pfeifentabak und/oder kubanischen Zigarren überwältigt
E) Sie möchten bloß einige Abteile weiter hinten wieder einsteigen, um einen Freund zu treffen oder dem Fahrkarten-Kontrolleur aus dem Weg gehen. Achtung! Gilt nicht, wenn ihr Freund der Fahrkartenkontrolleur ist (unzulässiges Paradoxon mit Endlosschleifen-Risiko!)"

Strukturförderung im ländlichen Raum

In seiner neuen Ausrichtung will der ÖPNV mehr soziale Verantwortung übernehmen und auch in dünn besiedelten und traditionell wirtschaftsschwachen Provinz-Gebieten Präsenz zeigen. Z.B. sollen in Absprache mit dem örtlichen Vereinswesen an abgelegenen und ländlichen Haltestellen pompöse Blaskapellen in regionaltypischer Tracht die siebenstündigen Abstände zwischen den Takten verkürzen und versprengte Wandertouristen mit leichter Unterhaltungsmusik verwöhnen. Darüber hinaus werden als Schienenersatzverkehr statt Fahrten in muffigen Ziehharmonika-Bussen landschaftlich reizvolle Gruppenwanderungen durch gottverlassene Mittelgebirge bis zum 50 km entfernten Zielort angeboten (querfeldein, teils durch Sümpfe und militärisches Sperrgebiet - Kompass, Landkarte, Verköstigung sowie Teilnahme am bäuerlichen Heiratsmarkt nur gegen Aufpreis). Zusatz-Kick: Auf Wunsch kann man sich beim Stapfen durch unwegsames Gelände wahlweise auch von Mistgabeln und Fackeln schwingenden Dorfbewohnern, Wolfsrudeln oder Neonazis verfolgen lassen (Mehrfachnennungen möglich).

Patric Hemgesberg

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Herzogin Kate!

Hello, Herzogin Kate!

Ihr erster öffentlicher Auftritt seit Bekanntmachung Ihrer Krebserkrankung wurde von der Yellow Press mit geistreichen Überschriften wie »It’s just Kate to see you again« oder »Kate to have you back« bedacht.

Und bei solchen Wortspielen darf unsereins natürlich nicht fehlen! Was halten Sie von »Das Kate uns am Arsch vorbei«, »Danach Kate kein Hahn« oder »Das interessiert uns einen feuchten Katericht«?

Wie immer genervt vom royalen Kateöse: Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

 Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Du warst der jüngste TITANIC-Chefredakteur aller Zeiten. Du warst der Einzige, der jemals eine klare Vorstellung davon hatte, wie das ideale Heft aussehen musste, und hast immer sehr darunter gelitten, dass sich Deine Utopie nur unzureichend umsetzen ließ. Aus Mangel an Zeit und an Mitarbeiter/innen, die bereit waren, sich Nächte um die Ohren zu schlagen, nur um die perfekte Titelunterzeile oder das richtige Satzzeichen am Ende des Beitrags auf Seite 34 zu finden.

Legendär der Beginn Deiner satirischen Tätigkeit, als Du Dich keineswegs über einen Abdruck Deiner Einsendung freutest, sondern Robert Gernhardt und Bernd Eilert dafür beschimpftest, dass sie minimale Änderungen an Deinem Text vorgenommen hatten. Das wurde als Bewerbungsschreiben zur Kenntnis genommen, und Du warst eingestellt. Unter Deiner Regentschaft begann die Blütezeit des Fotoromans, Manfred Deix, Walter Moers und Michael Sowa wurden ins Blatt gehievt, und manch einer erinnert sich noch mit Tränen in den Augen daran, wie er mal mit Dir eine Rudi-Carrell-Puppe vor dem iranischen Konsulat verbrannt hat.

Nach TITANIC hast Du viele, die ihr Glück weder fassen konnten noch verdient hatten, mit Spitzenwitzen versorgt und dem ersten deutschen Late-Night-Gastgeber Thomas Gottschalk humortechnisch auf die Sprünge geholfen. Und dass River Café, eine deutsche Talkshow, die live aus New York kam, nur drei Folgen erlebte, lag bestimmt nicht an Deinen Texten. Auf Spiegel online hieltest Du als ratloser Auslandskorrespondent E. Bewarzer Dein Kinn in die Kamera, und gemeinsam mit Tex Rubinowitz hast Du das Genre des Listenbuches vielleicht sogar erfunden, auf jeden Fall aber end- und mustergültig definiert, und zwar unter dem Titel: »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen«. Und diese eine Geschichte, wo ein Psychiater in ein Möbelhaus geht, um eine neue Couch zu kaufen, und der Verkäufer probeliegen muss, wo stand die noch mal? Ach, in der TITANIC? Sollte eigentlich in jedem Lesebuch zu finden sein!

Uns ist natürlich bewusst, dass Du auch diesen Brief, wie so viele andere, lieber selber geschrieben und redigiert hättest – aber umständehalber mussten wir das diesmal leider selbst übernehmen.

In Liebe, Deine Titanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster