Artikel

Wissings Himmelfahrt

Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt, Andreas Scheuer – bisher war es stets der Dümmste im Kabinett, der Verkehrsminister wurde. Jetzt ist es Volker Wissing. Wer ist der Mann und was geht in ihm vor?

Volker Wissing ist auf dem Land aufgewachsen, es war sogar: Landau. Landau in der Pfalz. In Landau sind die Straßen gerade gebaut, Kurven gibt es keine, nur rechte Winkel. In der Stadt leben fast 50000 Quadratschädel und sie besuchen elf verschiedene evangelische Kirchengemeinden. Aber eine davon ist besonders: In St. Guido hat sich der kleine Volker in Kindheitstagen für die so sehr Kirchenorgel begeistert, dass er später eine Ausbildung zum Organisten absolvierte. Seitdem ist die Orgel sein ständiger musikalischer Begleiter. Und ist nicht auch die FDP ein Instrument mit vielen Pfeifen? Kein Tag vergeht, den Volker Wissing nicht mit dem Kirchenlied "Danke für diesen guten Morgen" begrüßt. 

Aber nicht nur ewige Dankbarkeit gehört zu Wissings Werten, sondern auch die Freiheit. Die wurde ihm nämlich in die Wiege gelegt, und zwar schon lange bevor er per Kirchglockengeburt auf die Welt kam. Zwischen 1680 und 1815 gehörte Landau die meiste Zeit zu Frankreich. Die Ideen der französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – liegen einem Landauer schon räumlich nahe, so steht es jedenfalls auf Wissings Website. Historiker wollen das demnächst prüfen. Seit 1998 vertritt Wissing mit seiner FDP jedenfalls die Marktliberté, Steueregalité und noch irgendetwas drittes.

Das tägliche Orgelspiel ist dem kreuzbraven Liberalen in politischen Alltag eine wichtige Inspirationsquelle. Im Berliner Büro spielt er auf seiner Bontempi-Orgel aus Gründen des Laizismus jedoch ausschließlich weltliche Stücke. Besonders "Freiheit" von Marius Müller-Westernhagen hat es ihm angetan. Manchmal ist der Politiker so in seinem Element, dass er Computertastatur und Orgel-Klaviatur verwechselt – dann kommen neuerdings verkehrspolitische Gesetze heraus. Oder, davon ist der gläubigste aller Liberalen felsenfest überzeugt, es entstehen quasi durch göttliche Fügung grundliberale Plakatsprüche wie: "Mehr Freiräume, mehr Flexibilität, mehr Freiheit." Mit diesem Claim bewarb er sich 2020 als Generalsekretär seiner Partei – und Gott sah, dass es gut war. Seitdem trägt er den Text wie einen Talisman immer bei sich, graviert auf das Case seiner Airpods Pro von Apple.

Fragt man Volker Wissing, ist alles im Leben Volker Wissings ein Beweis für einen Plan, den Gott für ihn hat. Als er im Jahr 2016 nach jahrelanger Übung endlich in der Lage war, auf der Orgel sein Lieblingslied "Eine Muh, eine Mäh, eine Täterätätä" zu spielen, wurde er über Nacht Minister für Landwirtschaft und Weinbau in Rheinland-Pfalz. Wissing ist heute überzeugt, dass dies auch ein gutes Geschäft für den lieben Gott war, schließlich entstammt der Politiker einer echten Winzerfamilie. Am Blut Christi fehlt es den Landauer Kirchengemeinden jedenfalls nie, Wissing schickt allen elf wöchentlich eine Kiste und rechnet zwölf ab (wegen der Apostel). 

Nur selten hadert Wissing mit Gott und seinen Wegen. Nachdem er im Sommer 2021 bei einem Wahlkampfauftritt das Lied "Hier kommt die Flut" intoniert hatte, lief die Ahr in seiner rheinland-pfälzischen Heimat über die Weinstraßen. Doch Wissing klagte nicht, weil er wusste, was der Herr ihm damit sagen wollte. Bald machte er sich in einem Interview für Klimaschutz stark und empfahl CO2-Zertifikate. So ein Handel mit Scheinen, kurz: Scheinhandel, passt nicht nur gut zur FDP, sondern huldigt den kirchlichen Ablasshandel. Hier zeigt Wissing, dass er auch katholisch kann, dass er letztlich ein Mann der Ökumene ist, der das gespaltene Land vereinen wird.

Und heute? Heute hat Wissing, der Traktor, Auto und als erster Mensch in Rheinland-Pfalz E-Scooter fahren kann, als Verkehrsminister eine echte Reformation vor. Der Pfälzer begreift sich als gütiger Hirte des Verkehrswesens – und gütig heißt: Gebote statt Verbote. Wer so fährt, dass er niemanden umbringt, wie es dem sechsten Gebot entspricht, und keinem etwas wegnimmt (zum Beispiel Parkplätze), wie das achten Gebot fordert, macht schon alles richtig.

Wie jeder Verkehrsminister vor ihm möchte Wissing bauen: Brücken aufbauen, Landschaften verbauen und Straßen ausbauen. In Bayern, wo die Bundesstraße 17 schon lange zur Autobahn ausgebaut werden soll, will der Liberale vollenden, wofür sein Vorgänger Scheuer zu blöd war. Acht Spuren sollen bald vorbeiführen an der Wieskirche in Steingaden, die Wissing zur wichtigsten Autobahnkapelle des Landes machen möchte. In diesem Gotteshaus, das mit vollständigen Namen "Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies" heißt, ist nämlich eine Rokoko-Orgel mit 42 Registern und 2892 Orgelpfeifen zu finden. Zur Einweihung der neuen Fahrspuren will der Minister höchstpersönlich in die Tasten zu greifen und das Lied spielen: "Viel Glück und viel Segen auf all Deinen Wegen".

Günter Flott

 

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt