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Politics goes Art!

Das Ende der Merkel-Ära, gewaltige Einbrüche der CDU in der Wählergunst, eine mögliche Ampelkoalition im Bund und ein gerade noch verhinderter Nichteinzug der Linken in den Bundestag: Die Wahl 2021 war so einschneidend, dass einige Parteien beschlossen haben, die Dramatik des Augenblicks als Neuinterpretationen großer Meisterwerke auf Leinwand bannen zu lassen. TITANIC durfte die monumentalen Gemälde zuerst sehen und berichtet hier exklusiv:

Das Abendmahl (Leonardo Da Vinci)

Ein echter Hingucker für das Büro des Chefs im Bundeskanzleramt. Im Kreise der an einem Tapeziertisch sitzenden zukünftigen Kabinettsmitglieder segnet ein mittig platzierter und mit hüftlangem Haar beschenkter Messias (Olaf Scholz) erhaben stehend Sprudelwasser und Schnittchen sowie den gerade unterschriebenen Koalitionsvertrag. Doch Vorsicht: Derweil Grüne und Liberale sich über Parteigrenzen hinweg unkeusche Blicke zuwerfen und Karl Lauterbach einsteinesk die Zunge herausstreckt, lauert am linken Rand Judas Kevin Kühnert auf seine Stunde zum Verrat.

Die Freiheit führt das Volk (Eugène Delacroix)

Rauch und Angstschweiß von erbittert geführten Wahlkampfschlachten liegen noch über der Stadt, da erscheint Christian Lindner als "the worlds sexiest liberal Crossdresser" in heroischer Pose auf den Barrikaden. Anstelle seines verrutschten Dekolletés wabern kapitale "man-boobs" auf dem Brustkorb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. In der rechten Hand das schwarz-rot-goldene Banner emporstreckend, mit der linken die noch rauchende Anti-Verbots-Wumme fest umklammernd, peitscht er die Säbel und Musketen schwingende Armee von Erstwählern über die gefallenen Unionisten hinweg zum Marsch auf Berlin. Rechts im Bild: Der Porsche, mit dem er sie alle gleich überholen wird.

Der Minus-Acht-Prozent Schrei (Edvard Munch)

Der Moment des Entsetzens für die Ewigkeit festgehalten. Das Licht im Gebäude verschmilzt zum apokalyptischen Rot-Grün-Gelb der ersten Hochrechnung. Mit hohlen Augen, eingefallenen Wangen, im Schock kahl geworden und mit unappetitlich weit geöffnetem Mund legt CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak seine Hände in Erwartung des eigenen trommelfellzerfetzenden Aufschreis schützend auf die Ohren. Gleichsam als Warnung und als Mahnung für die bitter nötige Erneuerung und Modernisierung der Partei soll das Gemälde mit der bemalten Seite zur Wand dauerhaft im Heizungskeller des Konrad-Adenauer-Hauses ausgestellt werden.

Das Floß der Medusa (Théodore Géricault)

Als Spielball der Wellen in tosenden Wahlkampffluten zerrieben, von Stürmen und zahllosen Flauten gebeutelt, dümpelt das winzige aber dennoch mit einer maximalen Zahl an Verdammten überfüllte Wrack - dank eines lauen Lüftchens aus drei Direktmandaten - gerade noch dem rettenden 4,9 Prozent-Ufer entgegen. Die Besatzung: Mehr tot als lebendig. Entkräftet übereinander liegende und seekranke Politprominenz-Körper künden von realitätsfernen Salzwasserbesäufnissen und fortschreitendem Stammwähler-Skorbut. Während Janine Wissler in beleidigter Denkerpose dem Geschehen den Rücken zuwendet und den bewusstlosen Dietmar Bartsch nur halbherzig davon abhält, auf den letzten Metern vom Floß ins Wasser zu gleiten (oder schiebt sie ihn sogar?), halluzinieren Henning-Wellsow und Kipping zum Horizont deutend aufgeregt die Küste des Gelobten Landes in den Silberstreif. Sind es die ostdeutschen Gestade zu Zeiten der DDR? Kuba? Nordkorea? Die Sowjetunion? Man nähme sogar Loddin auf Usedom – wenn die AfD dort nicht 23 Prozent hätte!

Ich, der Hund des Führers und der Führer (Tino Chrupalla)

Die neuerdings komplett tiefbraun und mäßig ordentlich gestrichene Rückseite der AfD-Parteizentrale in Berlin wirft Fragen auf. Neben "Was für ein Führer?", "Tino wer?" und "Warum sieht das so kacke aus?" stellt sich auch die nach der Intention des Künstlers. Dass der Oberlausitzer Chrupalla tatsächlich bloß Malermeister und nicht Meistermaler ist, könnte hingegen als einer von vielen Belegen für die völlige Sinnfreiheit dieses Werkes gedeutet werden (muss es aber nicht).

 

Patric Hemgesberg

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

 Deine Fans, Taylor Swift,

Deine Fans, Taylor Swift,

sind bekannt dafür, Dir restlos ergeben zu sein. Sie machen alle, die auch nur die leiseste Kritik an Dir äußern, erbarmungslos nieder und nennen sich bedingt originell »Swifties«. So weit ist das alles gelernt und bekannt. Was uns aber besorgt, ist, dass sie nun auch noch geschafft haben, dass eine der deutschen Stationen Deiner Eras-Tour (Gelsenkirchen) ähnlich einfallslos in »Swiftkirchen« umbenannt wird. Mit Unterstützung der dortigen Bürgermeisterin und allem Drum und Dran. Da fragen wir uns schon: Wie soll das weitergehen? Wird bald alles, was Du berührst, nach Dir benannt? Heißen nach Deiner Abreise die Swiffer-Staubtücher »Swiffties«, 50-Euro-Scheine »Sfifties«, Fische »Sfischties«, Schwimmhallen »Swimmties«, Restaurants »Swubway« bzw. »SwiftDonald’s«, die Wildecker Herzbuben »Swildecker Herzbuben«, Albärt »Swiftbärt« und die Modekette Tom Tailor »Swift Tailor«?

Wenn das so ist, dann traut sich auf keinen Fall, etwas dagegen zu sagen:

Deine swanatische Tayltanic

 Ach, welt.de!

Die Firma Samyang stellt offenbar recht pikante Instant-Ramen her. So pikant, dass Dänemark diese jetzt wegen Gesundheitsbedenken vom Markt genommen hat. Und was machst Du? Statt wie gewohnt gegen Verbotskultur und Ernährungsdiktatur zu hetzen, denunzierst Du Samyang beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, wo Du fast schon hämisch nachfragst, ob das Produkt vielleicht auch hierzulande verboten werden könne.

Das Amt sekundiert dann auch sogleich bei der Chilifeindlichkeit und zählt als angebliche »Vergiftungssymptome« auf: »brennendes Gefühl im (oberen) Magen-Darm-Trakt, Sodbrennen, Reflux bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Bauch- und Brustraum. Bei hohen Aufnahmemengen können zudem Kreislaufbeschwerden auftreten – beispielsweise Kaltschweißigkeit, Blutdruckveränderungen und Schwindel«. Hallo? Neun von zehn dieser »Nebenwirkungen« sind doch der erwünschte Effekt einer ordentlich scharfen Suppe! Erbrechen müssen wir höchstens bei so viel Hetze!

Feurig grüßt Titanic

 Gemischte Gefühle, Tiefkühlkosthersteller »Biopolar«,

kamen in uns auf, als wir nach dem Einkauf Deinen Firmennamen auf der Kühltüte lasen. Nun kann es ja sein, dass wir als notorisch depressive Satiriker/innen immer gleich an die kühlen Seiten des Lebens denken, aber die Marktforschungsergebnisse würden uns interessieren, die suggerieren, dass Dein Name positive und appetitanregende Assoziationen in der Kundschaft hervorruft!

Deine Flutschfinger von Titanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster