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Männer in kurzen Hosen – Soziale Ächtung und Hauttransplantation

Sie gehören zum Sommer wie Wespen, Sonnenbrand oder mit den Beinen am Plastikstuhl kleben bleiben: Männer in kurzen Hosen. Das finden zumindest die einen. Die anderen sagen, dass Männer in Shorts verboten gehören. Zwei sehr vernünftige Meinungen, die beide genau den gleichen Diskursraum beanspruchen dürfen. Deswegen als Kompromiss der exklusive TITANIC-Ratgeber: Männer, so bekleidet ihr eure Beine im Sommer richtig!

Wenn im Sommer die Temperaturen so hoch werden, dass das Thermometer Burn-out bekommt, haben wir alle das gleiche Bedürfnis: uns in die dunkelste Ecke zurückziehen und uns dort totstellen, bis die Nachbarn wegen des Gestanks die Polizei rufen. Weil das kapitalistische Schweinesystem leider immer noch nicht gestürzt ist, müssen manche Menschen leider doch zur Arbeit gehen – auch, wenn es wärmer als 20 Grad ist. Ist es so weit, ist die Auswahl für die berufstätige Frau groß: Rock oder Kleid, Top oder T-Shirt, auf dem Rad oder zu Fuß blöd angemacht werden. Der Sommer ist für viele Frauen die Zeit, zu der sie die meisten Entscheidungen während ihrer ganzen Karriere treffen dürfen. Männer hingegen haben häufig nur die Auswahl zwischen Anzughose und wegen unförmiger Schweißflecken zum Thema für das ganze Großraumbüro zu werden oder kurzer Hose und sozialer Ächtung. Da fällt die Entscheidung nicht schwer. Bis es auf einmal 30 Grad hat. Was ist dann zu beachten?

1. Vorbereitung des Körpers

Körperhaare sind ein heikles Thema – bei Frauen. Sie können aber machen, was Sie wollen, ist das nicht schön? Da jedoch eine dichte Körperbehaarung als männlich gilt (Quelle: jeder James Bond vor 1990), können Sie nachhelfen. Kaufen oder borgen Sie sich einen Kajal und imitieren Sie so einen dichten Haarteppich auf Ihren Beinen ohne die Hitzewallungen, die dieser für gewöhnlich bringt. Verläuft dieser im Laufe des Tages, ist das kein Problem – schon haben Sie einen leichten Selbstbräunereffekt, der ganz natürlich entsteht. 

2. Wahl des Kleidungsstücks

Haben Sie Ihre Beine angemessen präpariert, geht es an die Auswahl des Beinkleides: Bis zum Knie oder bis zur Mitte des Oberschenkels? Bunt oder unifarben? Dolce oder Gabbana? Ach nee, Sie sind ein Mann, Sie müssen leider diese komischen knielangen khakifarbenen karierten Shorts tragen. So will es das Gesetz. Sorry, wir haben die Regeln nicht gemacht …

3. Der Weg zur Arbeit

Vorsicht beim Lösen der Oberschenkel von den U-Bahnsitzen, wenn Sie es bevorzugen, keine Hauttransplantation zu benötigen. Und die Hose am besten nicht irgendwo liegenlassen, man weiß nie, wann man sie mal braucht.

4. Auf der Arbeit

Falls Sie im Kundenkontakt arbeiten, kann es passieren, dass Ihre Aufmachung als „unseriös“ empfunden wird, als "nicht professionell" oder als "Hey, das ist ein Überfall! Stehen Sie langsam mit erhobenen Händen auf, mir ist egal, ob sich dabei Ihre Schenkel eklig vom Stuhl lösen!" So oder so: Machen Sie sich bewusst, dass auch Männer das Recht auf Sommerkleidung haben. Falls das nicht hilft, betätigen Sie den Alarmknopf, und kompensieren Sie, indem Sie die Figur Ihrer Kolleginnen kritisieren (Na, du brauchst bestimmt besonders viel Sonnencreme, oder? Weil du so viel Volumen hast). Falls Sie subtiler vorgehen möchten, können Sie ihnen auch erzählen, dass sie sich Ihretwegen keinen Stress machen müssen, weil Sie eh ungeschminkte und ungestylte Frauen am schönsten finden. Frauenherzen werden schmelzen, und zwar nicht nur wegen der Hitze. Und wann kommt endlich diese Polizei?
Wenn Sie Glück haben, schickt Ihr Chef Sie aber auch einfach empört wieder nach Hause, dann haben Sie früher Feierabend. Mit etwas Glück für immer, juchhu!

5. Zu Hause

Und jetzt? Um Ihre neugewonnene Tagesfreizeit zu füllen, können Sie daheim andere an Ihrem neuen Modebewusstsein teilhaben lassen. Und fleißig online posten, was "gar nicht geht". TITANIC Service wünscht Ihnen viel Spaß!

Laura Brinkmann

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Du warst der jüngste TITANIC-Chefredakteur aller Zeiten. Du warst der Einzige, der jemals eine klare Vorstellung davon hatte, wie das ideale Heft aussehen musste, und hast immer sehr darunter gelitten, dass sich Deine Utopie nur unzureichend umsetzen ließ. Aus Mangel an Zeit und an Mitarbeiter/innen, die bereit waren, sich Nächte um die Ohren zu schlagen, nur um die perfekte Titelunterzeile oder das richtige Satzzeichen am Ende des Beitrags auf Seite 34 zu finden.

Legendär der Beginn Deiner satirischen Tätigkeit, als Du Dich keineswegs über einen Abdruck Deiner Einsendung freutest, sondern Robert Gernhardt und Bernd Eilert dafür beschimpftest, dass sie minimale Änderungen an Deinem Text vorgenommen hatten. Das wurde als Bewerbungsschreiben zur Kenntnis genommen, und Du warst eingestellt. Unter Deiner Regentschaft begann die Blütezeit des Fotoromans, Manfred Deix, Walter Moers und Michael Sowa wurden ins Blatt gehievt, und manch einer erinnert sich noch mit Tränen in den Augen daran, wie er mal mit Dir eine Rudi-Carrell-Puppe vor dem iranischen Konsulat verbrannt hat.

Nach TITANIC hast Du viele, die ihr Glück weder fassen konnten noch verdient hatten, mit Spitzenwitzen versorgt und dem ersten deutschen Late-Night-Gastgeber Thomas Gottschalk humortechnisch auf die Sprünge geholfen. Und dass River Café, eine deutsche Talkshow, die live aus New York kam, nur drei Folgen erlebte, lag bestimmt nicht an Deinen Texten. Auf Spiegel online hieltest Du als ratloser Auslandskorrespondent E. Bewarzer Dein Kinn in die Kamera, und gemeinsam mit Tex Rubinowitz hast Du das Genre des Listenbuches vielleicht sogar erfunden, auf jeden Fall aber end- und mustergültig definiert, und zwar unter dem Titel: »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen«. Und diese eine Geschichte, wo ein Psychiater in ein Möbelhaus geht, um eine neue Couch zu kaufen, und der Verkäufer probeliegen muss, wo stand die noch mal? Ach, in der TITANIC? Sollte eigentlich in jedem Lesebuch zu finden sein!

Uns ist natürlich bewusst, dass Du auch diesen Brief, wie so viele andere, lieber selber geschrieben und redigiert hättest – aber umständehalber mussten wir das diesmal leider selbst übernehmen.

In Liebe, Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster