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Mutter, der Mann mit den Jobs ist da!

Der schwedische Modekonzern H&M kündigt an, 800 Stellen in Deutschland zu streichen – vor allem bei Müttern. Kritik wurde schnell laut, der Konzern versucht zu erklären. Ein Protokoll.

Thorsten Mindermann ist besorgt. Er ist Deutschland-Chef bei H&M und sieht sich derzeit von Seiten der Belegschaft und der Gewerkschaften in der Kritik. 800 Stellen wolle er in Deutschland kürzen, vor allem bei Müttern. Den Aufruhr kann er nicht verstehen. Wir besuchen ihn in seinem bescheidenen Haus. Nach einem vierstündigen Gang durch die verwinkelten Flure der mittelständischen Villa kommen wir in einem seiner Büros an. Mindermann versucht zu erklären: "Wir sind doch kein Ausbeuter-Betrieb. Also doch, schon, aber nicht nur von deutschen Müttern, sondern auch von Tausenden Müttern in asiatischen Ländern – und ihren Kindern! Da wir hierzulande ausbeuten, ist es für mich nur ein Akt der Gleichberechtigung, wenn wir auch in Fernost für ein paar mickrige Cent täglich Leute für uns nähen lassen!"

Besonders Mütter fallen öfter aus, können selten die besonders ertragreichen Abend- und Wochenschichten übernehmen, wollen sich teils ernsthaft um ihr Kind kümmern, können so also auch keine volle Arbeitskraft vorweisen, so die Begründung des Konzerns. Klar, dass das vielen nicht gefällt. Es gibt aber auch Mütter, die dem Ganzen positiv gegenüberstehen. Zum Beispiel Renate. Sie ist 85 Jahre alt und hocherfreut über diese Meldung. "Als Mutter weiß ich, dass ich dadurch am Ende des Monats mehr Geld habe. Zumindest, wenn man wie ich die Mutter von H&M-Deutschlandchef Thorsten Mindermann ist. Da weiß ich, dass ein paar Zehntausende monatlich in meine Tasche wandern, und das ist doch toll", erklärt sie im fünf Kilometer entfernten Wohnzimmer des Mindermann-Hauses.

Ihr gegenüber steht Saskia, 32 Jahre, aus Halle an der Saale. Seit drei Jahren arbeitet sie jetzt schon für den Modekonzern und hat ihr dreijähriges Kind in dieser Zeit nicht ein einziges Mal gesehen. Im Gespräch versucht sie die positiven Seiten herauszustellen: "Klar, es gibt Schlimmeres. Meiner Mutter ging es ähnlich. Sie hat ihren Vater auch mehrere Jahre nicht gesehen, als der in russischer Kriegsgefangenschaft war. Ich finde, das ist vergleichbar." Ein wenig plagen sie aber doch Zukunftsängste. Gelegentlich spielt sie mit dem Gedanken, sich selbstständig zu machen: "Ich habe Talent zum Nähen und ein gutes Auge für Mode. Also will ich jetzt meine eigene kleine Boutique in der Innenstadt eröffnen. Ich freue mich schon mit Großkonzernen und ihren Milliardenumsätzen zu konkurrieren! Als Mutter scheut man ja keine schwierigen Aufgaben." Auch weiß sie, dass vor allem der Standort für einen eigenen Betrieb wichtig ist: "Gerade hier im strukturstarken Halle wird sich genügend Kundschaft finden, die nicht darauf angewiesen ist, T-Shirts für 4,99 zu kaufen, sondern für gute Qualität gerne auch mal tiefer in die Tasche greift."

"Dem Konzern geht es schlecht", wischt Thorsten Mindermann jede Kritik vom Tisch. Noch bevor er weiter reden kann, erinnert ihn sein Handywecker an die tägliche 15-Uhr-Massage. Ein paar kurze Worte in das Haustelefon und schon kommen drei Masseure, die er alle mit Achmed anspricht, in den Raum und beginnen Mindermanns Rücken mit sanften Bewegungen zu entkrampfen. Erst jetzt findet er die Entspannung, um weiter zu reden: "Wo waren wir? Ach ja, durch die Corona-Krise haben wir von November 2019 bis Dezember 2020 gerade mal 187 Milliarden Umsatz gemacht. Okay, das klingt jetzt erst mal viel, aber das sind schwedische Kronen. Umgerechnet bleiben uns gerade einmal 18,3 Milliarden Euro." Bei diesen Aussagen wird die Situation verständlicher. Er trage mittlerweile nur noch einen zweitklassigen Anzug, eine billige Maßanfertigung für 1400 Euro.

Um diesen Trend umzukehren, wolle man zukünftig weiter das Online-Geschäft ausbauen. Mindermann erklärt: "Der Vorteil ist, dass wir so weniger Miete für unsere Geschäfte zahlen müssen und uns weitere Mitarbeiter sparen können, die sich am Ende noch gewerkschaftlich für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen einsetzen. Im Online-Geschäft wird das nicht passieren, denn unsere Tausende Kilometer entfernt sitzenden Computer-Inder wissen nichts davon, äh, ich meinte, unsere IT-Spezialisten werden so fair entlohnt, dass sie rundum zufrieden sind mit ihrem Job."

Während wir gehen, kommt uns auf dem Flur Thorsten Mindermanns Mutter Renate entgegen. Von ihrem Wohnzimmer wird sie auf einem Golf-Cart gerade zum Büro ihres Sohnes gefahren. "Schneller, Achmed!" ruft sie. Uns fällt ein, dass wir versprochen hatten, uns noch mal bei Saskia zu melden. Ihr gehe es gut, erklärt sie uns: "Meine Boutique ist leider nach einem Tag schon gescheitert und jetzt habe ich mehrere zehntausend Euro Schulden. Aber alles halb so wild, ich habe nämlich eine neue Stelle: Bei C&A! Die brauchten noch Leute für die Abend- und Wochenendschichten."

 

Niklas Hüttner

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Briefe an die Leser

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt