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Ratgeber zum zweiten Online-Semester

Liebe Studentinnen und Studenten!

Diejenigen von euch, die eh nur den ganzen Tag "an der Matratze horchen", haben es wahrscheinlich noch nicht mitbekommen, deswegen hier noch mal schriftlich: Dieses Semester ist alles anders. Und dieses Mal handelt es sich nicht um die Lüge, die ihr euch Halbjahr für Halbjahr wieder selbst erzählt, sondern um die Konsequenzen einer globalen Pandemie. Was heißt das? Wie betrifft euch das? Und könnt ihr mich überhaupt hören, eure Bilder sind alle eingefroren, hallo? Titanic hat die wichtigsten Ratschläge rund ums Onlinesemester gesammelt.

Seminare und Vorlesungen

Seminare und Vorlesungen, Hochschulsport und in der Mensa essen, dieses Semester findet alles im Internet statt. Außer die Labore, weil die Naturwissenschaftler wieder mal denken, sie wären was Besseres. Alle anderen müssen dafür nicht mit fleischfressenden Bakterien arbeiten, das ist auch was wert. Für diejenigen, die von den Onlineseminaren betroffen sind (NaWis können sich jetzt wieder auf ihre tollen Karriere- und Aufstiegschancen konzentrieren, danke), gelten einige Regeln: So muss zum Beispiel am Ende jeder Sitzung in die Kamera gewinkt werden, damit die Dozenten überprüfen können, ob man die letzten sehr zähen 90 Minuten auch überlebt hat.

Die Glücklichen, die ihre Kamera nicht anmachen müssen, weil ihr narzisstischer Prof sich gern mit seinem Spiegelbild unterhält, sind dazu verpflichtet, alle 10 Minuten ins Mikro zu rascheln, um ihre Anwesenheit zu bestätigen. Viele Lehrende fordern auch, dass sich alle schon 5 Minuten vor Beginn des Seminars einwählen, damit man sich noch 300 Sekunden stumm anstarren kann. So soll das unverwechselbare Neues-Seminar-Feeling gewährleistet werden. Ist man an eine pfiffige und junge Lehrperson geraten, kann es im Verlauf des Seminars sogar zu Gruppenarbeit kommen! Dabei ist es wichtig, dass alle Mitglieder der Gruppe sich erst einen Moment anstarren, um dann gleichzeitig anzufangen zu reden. Durch diese Synchronisation wird das Gruppengefühl so sehr gestärkt, dass man nicht mehr nach den Handynummern fragen muss, sondern die Infos zum Referat in Zukunft einfach telepathisch austauschen kann. 

Kontakt mit den Profs

Vorbei die Zeit, wo man den Dozenten nach Seminarende einfach am Jackett festhalten konnte, um ihm schnell noch eine Frage zur Prüfungsleistung ins Ohr zu brüllen, während er aus Angst, seinen Zug zu verpassen, hektisch mit den Armen rudert. Jetzt wird man einfach stummgeschaltet und auf Zoomsprechstunden, Mailadressen, Telefonnummern verwiesen. Und den Zug verpasst auch keiner mehr, weil alle zu Hause sind. Schreibt man einem Prof eine Mail, antwortet er entweder nach 30 Sekunden oder nach seiner Emeritierung. Dazwischen gibt es nichts. Das ist gesetzlich festgelegt, damit sich Studierende nicht zu große Hoffnungen machen. Zoomsprechstunden sind aber super, weil man sehen kann, wie der Prof in seinem Büro arbeitet, während man selbst unterm Sofa sitzt, weil das der einzige Ort ist, wo das WLAN einigermaßen geht. Das regt zum Nachdenken an, nicht nur PoWi-Studis.

Kontakt zu anderen Studierenden

Andere Leute kennenlernen ist gerade sehr schwer. Das ist super ärgerlich, jetzt hat man völlig umsonst das gesamte Kapital gelesen, nur weil man gehört hat, dass an der Uni manchmal auch die schlauen Mädchen hübsch sind. Zum Glück gibt es immer noch Zoomseminare, wo man anderen Teilnehmerinnen in die Chats sliden kann. Hier gibt es viele Möglichkeiten, das Gespräch zu eröffnen: Ob man die Gemeinsamkeiten betont ("Na, sitzt du gerade auch zu Hause?"), etwas humorvoll ist ("Du lässt dir das Seminar also auch einfach nach Hause liefern? Haha XD") oder einfach ein wenig creepy ("Psst, wo wohnst du?") – dem Flirt sind keine Grenzen gesetzt, solange sie nicht beim Dozenten petzt. 

Von zu Hause arbeiten

Oha, da hast du dir aber was vorgenommen! Viel Erfolg! Wir versuchen alle, sehr still zu sein, während du es dir unter dem Sofa bequem machst.

Laura Brinkmann

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Also echt, Hollywood-Schauspieler Kevin Bacon!

»Wie wäre es eigentlich, wenn mich niemand kennen würde?« Unter diesem Motto verbrachten Sie mit falschen Zähnen, künstlicher Nase und fingerdicken Brillengläsern einen Tag in einem Einkaufszentrum nahe Los Angeles, um Ihre Erfahrungen als Nobody anschließend in der Vanity Fair breitzutreten.

Die Leute hätten sich einfach an Ihnen vorbeigedrängelt, und niemand habe »Ich liebe Dich!« zu Ihnen gesagt. Als Sie dann auch noch in der Schlange stehen mussten, um »einen verdammten Kaffee zu kaufen«, sei Ihnen schlagartig bewusst geworden: »Das ist scheiße. Ich will wieder berühmt sein.«

Das ist doch mal eine Erkenntnis, Bacon! Aber war der Grund für Ihre Aktion am Ende nicht doch ein anderer? Hatten Sie vielleicht einfach nur Angst, in die Mall zu gehen und als vermeintlicher Superstar von völlig gleichgültigen Kalifornier/innen nicht erkannt zu werden?

Fand Sie nicht umsonst in »Unsichtbare Gefahr« am besten: Titanic

 Hände hoch, Rheinmetall-Chef Armin Papperger!

Laut einem CNN-Bericht lagen deutschen und US-amerikanischen Geheimdiensten Hinweise zu russischen Plänen für einen Angriff auf Sie vor. So etwas nennt man dann wohl »jemanden mit seinen eigenen Waffen schlagen«!

Mörderpointe von Titanic

 Diese Steilvorlage, Kristina Dunz (»Redaktionsnetzwerk Deutschland«),

wollten Sie nicht liegenlassen. Die Fußballnation hatte sich gerade mit der EM-Viertelfinalniederlage gegen Spanien angefreundet, der verlorene Titel schien durch kollektive Berauschtheit an der eigenen vermeintlich weltoffenen Gastgeberleistung sowie durch die Aussicht auf vier Jahre passiv-aggressives Gemecker über die selbstverständlich indiskutable Schiedsrichterleistung (»Klarer Handelfmeter!«) mehr als wiedergutgemacht, da wussten Sie einen draufzusetzen. Denn wie es Trainer Julian Nagelsmann verstanden habe, »eine sowohl fußballerisch als auch mental starke National-Elf zu bilden«, die »zupackt und verbindet«, hinter der sich »Menschen versammeln« können und der auch »ausländische Fans Respekt zollen«, und zwar »auf Deutsch« – das traf genau die richtige Mischung aus von sich selbst berauschter Pseudobescheidenheit und nationaler Erlösungsfantasie, die eigentlich bei bundespräsidialen Gratulationsreden fällig wird, auf die wir dank des Ausscheidens der Mannschaft aber sonst hätten verzichten müssen.

Versammelt sich lieber vorm Tresen als hinter elf Deppen: Titanic

 Augen auf, »dpa«!

»Mehrere der Hausangestellten konnten weder Lesen noch Schreiben« – jaja, mag schon sein. Aber wenn’s die Nachrichtenagenturen auch nicht können?

Kann beides: Titanic

 Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Du warst der jüngste TITANIC-Chefredakteur aller Zeiten. Du warst der Einzige, der jemals eine klare Vorstellung davon hatte, wie das ideale Heft aussehen musste, und hast immer sehr darunter gelitten, dass sich Deine Utopie nur unzureichend umsetzen ließ. Aus Mangel an Zeit und an Mitarbeiter/innen, die bereit waren, sich Nächte um die Ohren zu schlagen, nur um die perfekte Titelunterzeile oder das richtige Satzzeichen am Ende des Beitrags auf Seite 34 zu finden.

Legendär der Beginn Deiner satirischen Tätigkeit, als Du Dich keineswegs über einen Abdruck Deiner Einsendung freutest, sondern Robert Gernhardt und Bernd Eilert dafür beschimpftest, dass sie minimale Änderungen an Deinem Text vorgenommen hatten. Das wurde als Bewerbungsschreiben zur Kenntnis genommen, und Du warst eingestellt. Unter Deiner Regentschaft begann die Blütezeit des Fotoromans, Manfred Deix, Walter Moers und Michael Sowa wurden ins Blatt gehievt, und manch einer erinnert sich noch mit Tränen in den Augen daran, wie er mal mit Dir eine Rudi-Carrell-Puppe vor dem iranischen Konsulat verbrannt hat.

Nach TITANIC hast Du viele, die ihr Glück weder fassen konnten noch verdient hatten, mit Spitzenwitzen versorgt und dem ersten deutschen Late-Night-Gastgeber Thomas Gottschalk humortechnisch auf die Sprünge geholfen. Und dass River Café, eine deutsche Talkshow, die live aus New York kam, nur drei Folgen erlebte, lag bestimmt nicht an Deinen Texten. Auf Spiegel online hieltest Du als ratloser Auslandskorrespondent E. Bewarzer Dein Kinn in die Kamera, und gemeinsam mit Tex Rubinowitz hast Du das Genre des Listenbuches vielleicht sogar erfunden, auf jeden Fall aber end- und mustergültig definiert, und zwar unter dem Titel: »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen«. Und diese eine Geschichte, wo ein Psychiater in ein Möbelhaus geht, um eine neue Couch zu kaufen, und der Verkäufer probeliegen muss, wo stand die noch mal? Ach, in der TITANIC? Sollte eigentlich in jedem Lesebuch zu finden sein!

Uns ist natürlich bewusst, dass Du auch diesen Brief, wie so viele andere, lieber selber geschrieben und redigiert hättest – aber umständehalber mussten wir das diesmal leider selbst übernehmen.

In Liebe, Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster