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Die queere Seuche

Menschen wie er sind eine Seltenheit in Deutschland geworden: Männer mit Meinung. Der Tageszeitungs-Journalist und Schwulenaktivist Fun Jeddersen erkennt Sprechverbote und spricht über sie. In einem bewegenden Thinkpiece erklärt er, warum er Angst um sich und sein Land hat.

Meine Damen und Herren,

ich wende mich heute mit einem dringlichen Anliegen an Sie. Sie müssen wissen, wir sind im Begriff etwas zu verlieren, etwas so Besonderes und Seltenes wie das Maggikraut. Die Meinungsfreiheit des Mannes ist bedroht. Lachen Sie nicht! Wenn ich sage, dass ich froh bin, schwul und nicht ein Mann in Frauenkleidern zu sein, werde ich dafür gleich zur Rede gestellt. Nicht in den Zeitungen, in deren Redaktion ich sitze, oder den Vereinen, in deren Vorstand ich bin, aber da draußen. Sie sehen: Wer schwul ist, wird verfolgt. Genau wie damals, nur ist es jetzt Adolfa Hitler – sie verstehen, Mann in Frauenkleidern?!

Das mit den Queeren ist ein Problem. Neulich habe ich in einer bekannten deutschen Tageszeitung, für deren Leserschaft ich als Schwuler etwas Aufregendes und Verbotenes, ein linksliberaler Wohlfühlschauer bin, wie ein Joint oder die Straßenbahn, bereits gute Worte gefunden: "'Queer' klingt parfümiert, uneigentlich. Sprachbereinigt insofern, als in 'queer' etwas verloren geht: das für die meisten heterosexuell orientierten Menschen Faszinierende, Drohende. 'Schwul' sind Leute, die die Nazis tausendfach töteten und die das deutsche Tätervolk gern an die Gestapo verpetzte." Guter Text von mir.

Ich möchte nicht parfümiert sein, nicht bereinigt. Ich gehe ungern duschen. Ich möchte ein Mann wie ein Wildschwein sein: Bepelzt, unparfümiert und glücklich in der Schlammpfütze. Das alles, das Parfümierte, die Fingernägel: All das ist nicht schwul. Schwul ist hart, männlich und macht mit öligem Oberkörper den Aufguss in der Bergwerkssauna oder spielt gedankenverloren Walther von der Vogelweide auf der Klampfe. Schwule werden von Nazis hingerichtet, während die Transgenderleute einfach an Armut oder Gewaltverbrechen sterben. Luschen.

Ich sage übrigens "Transgenderleute", denn ich bin zwar informiert, möchte aber dennoch beleidigen. Dieser Eindruck ist mir wichtig. Deshalb schreibe ich auch häufig, dass diese oder jener "früher mal" dieser oder jene war. Alles andere wäre Identitätspolitik. All diese englischen Worte: gender, queer, nonbinary – das soll doch nur die Bevölkerung verwirren, sie regierbar machen! Als Schwuler, aber vor allem als Mann, bin ich einfach froh, nicht queer zu sein. Das Problem aber ist: andere sind es. Früher war das anders. Ich rede von früher, denn ich war da. Als Männer nur beim Tennis spielen ein bisschen weiblich aussahen und sonst den ganzen Tag Stahl zurecht klopften. Als im Fernsehen die Bilder sprechen lernten und unsere Vorfahren ihre ersten Hütten am Rande des Waldes errichteten. Als Jugendliche noch verprügelt wurden, wenn sie Transgenderleute waren. Man rauft sich halt.

Deshalb sage ich gern und offen meine Meinung. Oder ich richte Vorträge aus, in denen ergebnisoffen über kritische Themen diskutiert wird. "Trans – ein Irrweg?", das war ein guter Titel. Vor allem das mit dem Fragezeichen. Man wird doch mal über die Existenzberechtigung von Leuten debattieren dürfen, ohne sie sich gleich abschaffen zu wollen. Wir Schwulen haben Grenzen gesprengt. Heute wollen andere Grenzen sprengen und mir sprengt es fast den (männlichen!!!) Körper auseinander, wenn ich daran denke.

Wo wir gerade beim Thema Grenzen sind: Es liegt mir noch etwas am Herzen: das schöne, gute Deutschland. Natürlich ist Deutschland bunt und das ist sehr gut so. Aber Deutschland soll es halt doch sein. Wir haben viel, worauf wir stolz sein können: Polizist*innen, Exporthühnchen, "Fack ju Göhte" und die GroKo. Ich will einen gesunden Patriotismus, wie zur WM, wo nach dem Public Viewing exotische Vögel noch bespuckt werden und wir mit den Fähnchen dazu wedeln. Ich hätte Xavier Naidoo gern beim CSD gesehen, warum auch nicht? Deshalb erinnere ich gerne an die Meinungsfreiheit. Wir brauchen eine Demokratie, die ihre Männer wehrhaft schützt. Was aber, wenn diese keine Männer mehr sein wollen – unvorstellbar für mich. Ich mag es, ein Mann zu sein. Was kommt als nächstes? Unisextoiletten, ein schwuler "Drag Race"-Moderator, Frank Thelen im Bundestag?

Es gibt nur noch eine Lösung: Wachen Sie auf! Die queere Seuche hat unseren Volkskörper ergriffen! Und da braucht es uns jetzt alle, Brüder und Schwestern, warm oder nicht, um die letzten Bastionen der Freiheit zu erhalten: Eigentlichkeit, Einheit, Strammheit – am Badesee, am Tönnieslaufband, im Promi-Big Brother-Haus. Lieben Sie Deutschland und seine Männer denn nicht? Handeln Sie, bevor sie uns Intellektuelle von unseren angesehenen Posten werfen. Sehen Sie nicht, wie das Land, die Verfassung, der gute Ruf des deutschen Geistes – Goethe, Schätzing, Jeddersen! – bedroht sind? Meinen Sie, ich bilde mir das nur ein und verhandle meine Abstiegsängste? Ich, der Mittelschichtskritiker? Das dachte ich mir. Mit letzter Kraft bitte ich Sie: Handeln Sie! Ich kann es schon bald nicht mehr.

Babsi De Le Ordinaireteur

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Puh, Lars Klingbeil!

Gerade wollten wir den Arbeitstag für beendet erklären und auch die SPD mal in Ruhe vor sich hin sterben lassen, da quengeln Sie uns auf web.de entgegen, dass es »kein Recht auf Faulheit gibt«. Das sehen wir auch so, Klingbeil! Und halten deshalb jeden Tag, an dem wir uns nicht über Ihren Populismus lustig machen, für einen verschwendeten.

Die Mühe macht sich liebend gern: Titanic

 Adieu, Hvaldimir!

Adieu, Hvaldimir!

Als Belugawal hast Du Dich jahrelang vor der norwegischen Küste herumgetrieben und Dich mit Kameraausrüstung am Leib angeblich als russischer Spion betätigt, was Dir viel mediale Aufmerksamkeit und Deinen Decknamen, Hvaldimir, beschert hat. Jetzt bist Du leider tot in der Risavika-Bucht gefunden worden, und da fragen wir uns, Hvaldimir: Hast Du nicht rechtzeitig die Flossen hochbekommen, oder warst Du einfach nicht geübt in der Kunst des Untertauchens?

Mit einem Gläschen Blubberwasser gedenkt Deiner heute: Titanic

 Katsching, Todd Boehly!

Sie haben sich von Ihrem sauer Errafften den englischen Fußballverein FC Chelsea angelacht, der Titel holen soll, allerdings unter Ihrer Leitung lediglich einen einstelligen Tabellenplatz im nationalen Wettbewerb vorzuweisen hat. Zur Generalüberholung der in der Mittelmäßigkeit versackten Blauhemden sind auf Ihr Geheiß für über eine Milliarde Euro insgesamt 39 Fußballer verpflichtet worden, womit der aktuelle Kader mindestens 44 Spieler umfasst (darunter zehn Torhüter, von denen laut derzeit gültigem Regelwerk leider trotzdem nur einer das Tor hüten darf).

Zu dem über Ihrer Truppe ausgekübelten Spott tragen wir allerdings nicht bei, aus unserem Mund also keine Mutmaßungen über beengte Verhältnisse unter der Dusche oder die vollen Körbe am Trikotwaschtag. Denn selbstverständlich wird ein ausgebufftes Finanzgenie wie Sie, Boehly, seine Gründe haben, viermal elf Freunde mit Verträgen, die zum Teil bis ins nächste Jahrzehnt laufen, auszustatten. Denn wissen wir nicht alle, dass in diesen unsicheren Zeiten das Geld auf der Bank am besten aufgehoben ist?

Guckt eh lieber von der Tribüne aus zu: Titanic

 Bitte schön, Annika Stechemesser!

Sie sind Klimaforscherin in Potsdam, wurden in der Frankfurter Rundschau am Tag nach den brisanten Landtagswahlen zum Thema »effektiver Klimaschutz« interviewt, und da wir heute auf keinen Fall Witze mit Namen machen wollen, lassen wir das einfach mal so stechen, äh, stehen!

Ganz lieb grüßt Ihre Titanic

 Philipp Bovermann (»SZ«)!

Früher hatten Sie Angst vor der Klimakatastrophe. Heute sind Sie Mitte dreißig und haben dazugelernt: »Ich kann heute nur noch darüber staunen, wie wenig tief mich die Tatsache bekümmert, dass der Planet überhitzt, dass Arten verschwinden, Ökosysteme kollabieren, Regenwälder brennen, Meeresböden sich in Wüsten verwandeln. Menschen werden sterben, Menschen sterben schon heute, das Leid der Tiere sprengt alle Vorstellungskraft – aber jetzt stehe ich auf meinem Balkon, habe mir ein Leben aufgebaut, mit einem tollen Job, einer tollen Frau, einer tollen Tochter, unten auf dem Teich schwimmt eine Entenfamilie vorbei, und geblieben ist nur die sanfte Sorge, dass ich mir zu wenig Sorgen mache. Ich grusele mich vor mir selbst. Aber nur ein winziges bisschen.« Denn »vielleicht ist es rational, wegen des Klimawandels ruhig zu bleiben und sich auf das Leid im Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die Welt wird schon nicht gleich untergehen.«

Nein, Kollege Bovermann, wird sie nicht, jedenfalls Ihre nicht. An den Menschen in Südostasien oder Osteuropa, betroffen von einem exemplarischen Regen aus der neuen Klimagegenwart, schwimmen derweil keine Entenfamilien, sondern ihre toten Töchter vorbei, während Sie sich so arg auf das Leid im Hier und Jetzt konzentrieren, dass es alle Vorstellungskraft sprengt.

Vorm ewigen Jungspießer gruselt’s da ein bisschen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Alle meine Aversionen

Was ich überhaupt nicht schätze:
»Mädchen, ich erklär dir ...«-Sätze.

Was ich nicht so super finde:
Bluten ohne Monatsbinde.

Was ich gar nicht leiden kann:
Sex mit einem Staatstyrann.

Den Rest, auch Alkoholkonzerne,
mag ich eigentlich ganz gerne.

Ella Carina Werner

 Aus der militärgeschichtlichen Forschung

Feldjäger sind auch nur Sammler.

Daniel Sibbe

 Mitläuferin? Ganz im Gegenteil!

Meine Oma fuhr im Widerstand Motorrad.

Andreas Maria Lugauer

 Obacht!

Die Ankündigung von Mautgebühren ist furchterregend, aber so richtig Gänsehaut bekomme ich immer erst, wenn bei Google Maps als »Warnhinweis« auftaucht: »Diese Route verläuft durch Österreich.«

Norbert Behr

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
23.10.2024 Karlsruhe, Tollhaus Max Goldt
23.10.2024 Berlin, Walthers Buchladen Katharina Greve
24.10.2024 Stuttgart, Im Wizemann Max Goldt
25.10.2024 Potsdam, Waschhaus-Arena Thomas Gsella