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Der Herr als mein Anker

In schweren Zeiten kann die Religion den Sinn stiften, der uns im hektischen Leben der Marktwirtschaft und Pandemien abgeht. Reporterin Babsi Ordinaireteur traf Metropolit Mark Arndt zum Stadtspaziergang.

Die Straßen leergefegt, nur die gelegentlich hastig umhereilende Ärztin, starrer Blick hinter der Atemmaske, und einige Polizist:innen, die Brust geschwollen von der eigenen empfundenen Wichtigkeit, stören die vollkommene Ruhe. Ungewöhnlich, dass ausgerechnet in solchen Zeiten sich jemand mit mir auf der Straße treffen will. Aber ich treffe auch keinen gewöhnlichen Mann von Welt. Neben einem geschlossenen Schmuckgeschäft wartet er auf mich, streng aufrecht stehend, die lange Robe perfekt gebügelt, auf seinem Kopf die graue Krone der Ehre (Spr, 16:31): Metropolit Mark Arndt, der heiligste Mensch der russisch-orthodoxen Kirche in Deutschland.

Als er mich sieht, hebt er die Hand und sagt “Gott zum Gruße!” Wir beginnen zusammen loszuspazieren und schon nach wenigen Metern kann ich mich nicht mehr zurückhalten: Ob der Virus nicht einem Mann in seinem Alter, irgendwo zwischen Adam und Methusalem, besonders Sorgen macht? Er sieht mich milde lächelnd an, wie Menschen auf Kaninchen schauen: "Wisse, eine Krankheit ist nur ein Ding der Welt. Mit dem Herrn hier und hier ...", er zeigt erst auf seinen Kopf, dann vage Richtung Brustbereich (auf die Lunge vielleicht?), "... kann kein Bazillum in unseren Seelenfrieden einbrechen". Er hustet so lange und stark, dass ich fast denke, dass mein Einwand, bei Covid-19 handle es sich um einen Virus, kein Bazillum, darin untergegangen sei. Doch da fängt er sich und sagt, jetzt wieder ganz streng: "Vor IHM sind alle gleich."

Er ist ein polarisierender Mensch. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte Arndt einen Brief, in dem er Corona als die gerechte Strafe für Abtreibungen, gleichgeschlechtliche Partner:innenschaften, Transgeschlechtlichkeit, Euthanasie, Nasebohren, sowie den Verzehr von Chicken Wings nannte. Die Öffentlichkeit reagierte mit Unverständnis, Spott und Ablehnung. Darauf angesprochen wird er leicht traurig: "Mein Kind, es ist, ganz besonders in diesen Tagen, nicht leicht, ein treuer Diener des Herrn zu sein. Insbesondere in der russisch-orthodoxen Kirche haben wir uns immer besonders bemüht, die Worte des Herrn strenger auszulegen, als der Herr es am jüngsten Gericht mit uns tun wird." Ein tiefes, rasselndes Atemholen, dann: "Aber der Westen ...", er verzieht das Gesicht, "... der Westen will unsere Rettung nicht.” Er zeigt auf die Geschäfte in der leeren Fußgängerzone: "Der Teufel hat seine Spielzeuge an jeder Straßenecke und die Menschen hier sind schwach im Geiste. Sie überfüllen die Innenstädte mit Sündenpfuhlen, mit Tempeln des Neids, der Gier und der Wollust und vergessen, was Christus ihnen sagte: 'Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken' (Mat11:28). Sie aber wollen nur Taschencomputer voll mit Minitönen und Drogendownloads, transsexuelle Kinos oder Sportschuhe, die ungeborenes Leben vernichten." Wir passieren einige Obdachlose, die sich um Lüftungsschacht gescharrt haben und kurz scheint es, als wolle sein Fuß zu einem Tritt ansetzen.

Dann fängt sich Arndt, streicht gedankenverloren durch seinen eindrucksvollen, langen Bart und starrt mit einer irren Nachgiebigkeit tief in meine Augen. Am meisten, lässt er mich dann wissen, leide er und die Schäfchen seiner Gemeinde dabei. Denn sie werden es sein, die im Himmel ohne die Sündigen, die ja auch ihre Brüder, Liebhaber oder brüderlichen Liebhaber gewesen seien, leben müssten. Es sei doch auch so einfach, sowohl die Erlösung, wie auch, vor allem, der Schutz vor Corona: ein Gebet morgens, ein weiteres zum Mittag, Abend und, zur Sicherheit, ein Kaffee- und Kuchengebet. Und natürlich, auch wenn das Herz des Herrn unbestechlich ist, soll auch die eine oder andere Spende an die Kirche ihr Wunder zur Abwehr des Killervirus tun: "Schon einige Hundert Euro und die Anzahl der Schutzengel ist Legion", lässt er mich wissen.

Konkurrenzlos ist Arndt in seinem Geschäft von Seelenheil und Virenschutz allerdings nicht. So berichtete auch Papst Franziskus neulich, Gott im Himmel höchstpersönlich bei einem gemütlichen Rosenkranz um ein Ende der Pandemie gebeten zu haben. Auch die Beichte wurde vorerst ausgesetzt, stattdessen eine lang vergessene Direktverbindung zwischen den Menschen und Gott reaktiviert, die gebührenfreie Gespräche zwischen beiden Parteien ermöglicht. Macht Arndt sich da keine Sorgen, dass die katholische Milde ihm seine Schäfchen abtrünnig macht? "Witzig, dass sie diese Worte wählen, denn ich halte Franziskus für ein Schaf", meint Arndt mit einem ungewohnten Grollen in der Stimme. "Er glaubt ein Mann Gottes zu sein, aber statt des heiligen Geistes erfüllt ihn nur der Weingeist. Kein Mensch wird den Weg in den Himmel vermittels dieses Heiden finden!" Bei den letzten Worten flammen seine Augen auf, es erinnert mich an die eindrücklichen Warnungen meiner Großmutter, was passiert, wenn ich mit den Händen unter der Decke schlafe. 

"Entschuldigen Sie, dürfen wir Ihren Passierschein sehen?" ertönt plötzlich eine Stimme hinter uns. Natürlich: die Polizei. Noch bevor ich ansetzen kann, dass der schmucke Geistliche und ich uns in einer auf Langfristigkeit angelegten Beziehung vermittels des Herrn befinden, greift dieser in seine Robe und zieht eine Bibel hervor: "Seheht und wisset, dies ist mein Passierschein", ruft er dazu, was ein Runzeln auf die Stirn der Streifenbeamtin zaubert. "Entschuldigen Sie, das ist kein gültiger Passierschein. Darf ich einmal Ihren Ausweis sehen?" Erneut verweist Arndt auf die Bibel: "Dies Wort sei, woran ihr mich erkennet." Ich trete vorsichtig einen Schritt zurück, als ich die Anspannung bemerke, die den Metropoliten erfüllt. Auch die Beamtin bemerkt es und legt die Hand an den Gürtel, doch da bricht es schon aus Arndt hervor: "Dein ist der König des Mannsweiber, der Homoehen und Jointspritzer, meiner der König der Könige, die Seele der Welt. Du willst wissen, wer ich bin? Sehe und erkenne!" Er reißt die Bibel hoch in die Luft, zum großen Entsetzen sowohl mir wie des Polizisten. Blindlings fange ich an zu rennen, während hinter mir das Zischen einer Pfefferspraydose zu hören ist. Ich verschwinde um die nächste Ecke, hinter mir, wie ein göttliches Mahnmal, die Stimme Arndts: "Preiset, ihr Nationen, sein Volk! Denn er rächt das Blut seiner Diener. Er nimmt Rache an seinen Drängern und entsündigt das Land seines Volks (5Moses, 32:43)."


Babsi Ordinaireteur

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Briefe an die Leser

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick