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Lenker, Visionär, Patriarch – die Ära Kemmerich ist zu Ende. Ein Abgesang.

Nun ist er gegangen. Seit dem gestrigen Nachmittag ist Thomas Kemmerich nicht länger geschäftsführender Ministerpräsident von Thüringen. Als er vor einem guten Monat, am 8. Februar 2020, mit wenigen Worten seinen Rücktritt verkündete, hatte er ein letztes Mal Geschichte geschrieben.

Geht das überhaupt: Thüringen ohne Kemmerich? Das eine scheint ohne das andere nicht denkbar, bildet eine unteilbare Einheit. Kaum vorzustellen, dass er, der dieses Land geprägt hat wie kein zweiter, einst als frisch gebackener Jura-Absolvent aus dem fernen Rheinland in den Osten zog. Mit der Übernahme eines Dienstleistungskombinats begann seine erstaunliche Laufbahn. Kemmerichs Geschichte ist auch die von einem, der sich von ganz unten hocharbeiten musste, er, der Sohn einer Hausfrau und eines einfachen Immobilienmoguls. Bald folgte der Eintritt in die FDP und ein schwindelerregender Aufstieg. Mit harter Hand führte der neue Ministerpräsident  das sich nach Führung sehnende Volk Thüringens aus der Krise. 

Von allen geliebt wurde er deshalb nicht. Teils erbitterte Kämpfe lieferte sich "die Glatze vom Hohen Venn" mit dem politischen Gegner. Dass er sich mit Stimmen von Rechtspopulisten hatten wählen lassen, mochten ihm einige Ewiggestrige nicht verzeihen. Für sie war er zur persona non grata geworden, zum fils de pute. Eine wutschnaubende Alt-Kommunistin warf ihm den "Blumenstrauß der Schande" vor die Füße und wurde prompt von ihm als "ziemlich unfreundlich" abgekanzelt. Es ist die gefürchtete Kemmerich-Klappe, gegen die niemand gefeit war.

Nun geht der Lotse von Bord. Als kühler Strippenzieher reichte Kemmerichs Einfluss weit über Thüringen und Deutschland hinaus. Emanuel Macron, sein jahrelanger Intimus, soll seinen Rücktritt noch zu verhindern versucht und an seine Bedeutung für Europas appelliert haben. Doch da hatte sich "die Erfurter Bowlingkugel" längst entschieden. 

In Zeiten der zunehmenden nationalen Abschottung war er stets ein Leuchtturm, ein Fels in der Brandung. Kemmerich, der Anti-Trump. Bleibt abzuwarten, wohin Thüringen und der Westen ohne seinen Kompass steuern werden. Sein einziger Fehler, so sagt man in FDP-Kreisen, sei es, keinen ebenbürtigen Nachfolger gefunden zu haben. Kemmerichs Fußstapfen, sie sind zu groß.

Wie es mit ihm selbst weitergeht, steht hingegen fest. Nach seiner Verabschiedung samt Großem Zapfenstreich will sich der nimmermüde Aachener seinen Memoiren widmen und die Erinnerung an sein beachtliches Wirken für die Nachwelt festhalten. Kemmerich, dieser Urvater der thüringischen Liberaldemokratie, war stets mehr als nur Politiker, ein Romancier, der Weltgeist zu Pferde.  

"Kein Augenblick ist je verloren, wenn er im Herzen weiterlebt", sang einst der Graf von Unheilig.
Einer der ganz Großen ist abgetreten. Sein Vermächtnis wird überdauern.

Leo Riegel

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg