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Invasion aus dem Stall

Während die menschliche Zivilisation gehend vor die Hunde schleicht, klettern Waschbären munter die Leiter der Evolution herauf. Während Wissenschaftler sich noch Erklärungen ausdenken, überholen uns die putzigen Bärchen mit links. 

Es war der hiesigen Presse in den vergangenen Wochen nur eine Randmeldung wert: Waschbären, so steht es in einem Bericht der Bundesregierung, stellen eine Bedrohung für die Artenvielfalt in Deutschland dar, besonders Sumpfschildkröte und Gelbbauchunke seien von dem Neozoen bedroht. Für die Schildkröte ist das blöde, und den Unken wird schon mal gewunken. Ihr Widersacher jedoch erlebt die Blütezeit seiner Durchbeiß- und scheißgeschichte in Deutschland, die mit dem von Reichswaschbär Hermann Göring gebilligten Aussetzen der landesfremden Pelzwuschel ihren Anfang nahm – Nationalsozialismus einmal anders. Doch handelt es sich bei dem Aussterben einheimischer Arten durch den Amibär wirklich um einen ökologischen Unfall oder folgt das Verhalten des Waschbären einem Muster, steckt dahinter gar eine Absicht? Hunger kann, muss aber nicht die einzige Jagdtriebfeder sein. Schildkröten beispielsweise werden oft nicht getötet, sondern weisen nur schwere Verletzungen auf, als habe ihr Angreifer sie peinigen wollen. Seit wann verfolgt der Watschbär diese Taktik? Gibt es frühere Anzeichen für gezieltes Spezies-Bullying? In der Tat: 2017 meldete „Spiegel online“: „Schon lange leben Waschbären in Deutschland, obwohl die Art eigentlich eingewandert ist. Doch die Tiere breiten sich rasant aus – und gefährden immer mehr seltene Vögel.“ Einige Jahre zuvor, 2010, hieß es hingegen noch lapidar bei Welt.de: „Der Waschbär kann der sehr seltenen und im Lebensraum anspruchsvollen Wildkatze in die Quere kommen.“ Als Eierräuber wird lediglich der Marderhund benannt, während der Waschbär sich ungeschoren ausbreiten konnte. Inzwischen ist er, so scheint es, aus der Deckung gekommen und pflastert seinen Watschelpfad mit Artenleichen. Nach den Vögeln sollen nun auch die Amphibien der Gebietssucht des kleinen Rackers weichen.

Die Angewohnheit, Tiere just zum Zeitvertreib auszurotten, kennen wir sonst nur vom (nach Wölfen) gefährlichsten Raubtier des Planeten: dem Menschen. Werden wir gerade Zeuge einer analogen Entwicklung des Waschbären zu einem superintelligenten Umweltzerstörer? Fakt ist: Der Waschbär macht immer wieder mit Eigentümlichkeiten von sich reden, die sonst vom Menschen bekannt sind. Rücksichtslose Ausrottung anderer Spezies ist dabei nur die augenfälligste Gemeinsamkeit. So scheint es im Geist der Waschbären bereits so etwas wie ein primitives Selbst- und Schuldbewusstsein zu geben. Wie in unserer menschlichen Gesellschaft gleichen einige besonders naturverbundene Exemplare die zerstörerische Lebensweise ihrer Artgenossen aus, indem sie nachts Abfalltonnen nach Verwertbarem durchwühlen, „containern“, wie es im Szenejargon heißt. Selbst verdorbene Speisen werden dabei per Pfotencheck als „echt noch gut“ oder wenigstens „total ok“ bewertet und qua Verzehr „gerettet“. Hygienehandlungen sind den pelzigen Gesellen indes, auch hier uns gleich, ein fast zwanghaftes Bedürfnis – sie waschen nämlich (daher auch der Name) alle Nahrung vor dem Essen sehr behände und nachlässig, und werden deshalb ständig krank.

Leider kein seltener Anblick mehr: Minderjähriger Täter beim Containern ("Raccoontainering")

Diese Ähnlichkeiten sind freilich alle keine Beweise für eine rasante Evolution des Waschbären zu einer intelligenten Herrenbärenart, auch bei größter äußerer Übereinstimmung mit uns Menschen heißt es genau hinschauen. Von den 100 Naturgesetzen sprechen immerhin 99 gegen eine solche High-Speed-Optimierung. Und doch ist da dieses eine Naturgesetzschlupfwurmloch, das diese einzigartige Entwicklung zulassen würde. Dem Anschein nach haben uns die munteren Gesellen mit dem lustigen Kassengestell im Gesicht in wichtigen Bereichen der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung bald eingeholt. Die flexiblen Arbeitszeiten in der Waschbärwäscherei sprechen ebenso dafür wie der differenzierte Umgang mit Geruchssignalen. „Urin, Kot und Drüsensekrete, die zumeist mit der Analdrüse verteilt werden, kommen dabei als Duftmarken zum Einsatz.“ Unter Menschen nehmen olfaktorische Botschaften dieser Art immerhin eine Schlüsselfunktion in der zwischenmenschlichen Kommunikation ein – erfolgreiche Meetings beruhen nicht selten auf einer intensiven persönlich durchströmten Atmosphäre, der jeder geruchssensible Mensch schnellstmöglich entfliehen möchte. Nicht zuletzt konnten Forscher eine schier unglaubliche Veränderung am Bärenkörper beschreiben. In einer Studie aus dem Jahr 2010 heißt es: „Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass in jüngerer Vergangenheit im südlichen Nordamerika (Oklahoma & Texas) einige vollständig haarlose Waschbären dokumentiert wurden. Räudemilben konnten in diesen Fällen als Ursache ausgeschlossen werden. Um was es sich letztendlich bei diesem Phänomen handelt, konnte noch nicht endgültig geklärt werden.“ Der Gedanke drängt sich auf, die Tiere legten ihr Fell ab, um modisch größeren Spielraum zu gewinnen, doch sind vorschnelle Schlüsse hier fehl am Platz. Gewiss, es wurden in einigen Habitaten primitive Jeans mit zahlreichen Löchern an den Beinen aufgesammelt, auch waschbärkopfgroße Pelzmützen aus Wildkatzenfell sind angeblich bereits gefunden worden. Feuerstellen, an denen Waschbären wilde Kriegstänze aufführen und etwas rufen wie: „Menschen, Menschen, seid die näkschten“, wollen Wanderer schon mehrmals gesehen haben. Hier besteht Klärungsbedarf.

Noch handelt es sich um bloße Spekulation, doch sollten die Vermutungen sich bestätigen, gäbe es handfeste Beweise für den Griff zur Weltenkrone von kleinen, feuchten Waschbärpfoten. Bislang gibt es lediglich Indizien, diese lassen sich jedoch schwer von der Hand weisen. Und Beruhen Indizien am Ende nicht auf Fakten, sind Fakten nichts anderes als die Bausteine von Beweisen, und Beweise die Wahrheit? Die Vernichtung der Menschheit durch die Waschbären – sie könnte Hitlers späte Rache sein.

Valentin Witt

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt