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Der Rechtsschreiber

Der Journalist Rafaelo Teebeudl lebt vom Erfolg der Partei (AfD). Seine Methode: die Reportage. Was bleibt, wenn sich darüber bald niemand mehr aufregt?

Text MORITZ HÜRTGEN  Fotos INTERNET  Reportagepreis AUSSTEHEND

Er sitzt am Schreibtisch. Eine Kaffeetasse mit Uli-Stein-Aufdruck steht neben seinem Laptop. Seit der Abifahrt träumt er davon, seinen Namen über die längsten und straffsten Reportagen zu setzen. Im November 2015, einige beschwerliche Jahre auf elterlichem Studienkredit später, ist es soweit. Seine erste Reportage über Björn Höcke.

Rafaelo Teebeudl lässt den Blick über die Doc-x-Datei schweifen, sieht 75 000 Zeichen, die sich auf 18 Manuskriptseiten drängen. Es geht um Deutschlandfahnen und Merkel am Galgen, um Hass auf Multikulti und um ihn, der all dies in sich eint und deshalb so faschisi fasziniert: Höcke. Teebeudl schließt die Datei "Der Volkslehrer". Zwei Jahre hatte er Höcke auf eigene Faust und ohne Presseausweis begleitet, zwei Nachmittage lang alles aufgeschrieben. Er schickt die E-Mail ab, im CC-Feld stehen Dutzende Redaktionen.

Am nächsten Tag wird sein Text gedruckt. Im "Spiegel" war kurzfristig Platz für den "Volkspädagogen". Den Titel haben sie ihm geändert und auch im Text einige echt gute Passagen gestrichen. "Hamburger Wichser", murmelt er, das Münchner Vorstadtkind, das von einer Redakteursstelle bei der "Süddeutschen Zeitung" träumt, seit er Fan des FC Bayern ist. Trotzdem will er seine Veröffentlichung heute feiern. Er öffnet die Tür eines Kiosks und betritt den begehbaren Kühlschrank. Teebeudl sagt zum Kioskbesitzer: "Ich hätte gerne ein Bier, cremig, nicht zu stark, neunzig Minuten Trinkdauer und alle Hopfen aus deutschen Landen."

Sein Aufstieg ist raketenhaft, wie der der AfD, die innerhalb von fünf Jahren in alle Länderparlamente und den Bundestag einzog. Teebeudl veröffentlichte in der gleichen Zeitspanne noch mehrmals im "Spiegel", in der "Zeit", in der FAZ, in "Geolino" und vielen weiteren Blättern. Für seine Reportagen begleitete er noch fünfmal Björn Höcke, außerdem Alice Weidel, Lutz Bachmann, Götz Kubitschek, Reinhold Beckmann, Frank Plasberg, Martin Sellner, Alexander Gauland jr. und besuchte Anders Breivik im Gefängnis. Warum er seine Zeit mit diesen fragwürdigen Menschen aus dem ultrarechten Lager verbringt? Es sei besser, er mache es, als ein Betrüger wie Relotius. Irgendeiner, so Teebeudl, müsse die Reportagepreise ja auch künftig noch einheimsen.

Rafaelo Teebeudl: Ein Mann, der die Verantwortung ziehen lässt.

Mit dem Cutter schneidet er die Spitze einer Zigarre ab, brennt sie an, pafft einmal schweren Rauch in den Raum, geht auf die Knie und reicht sie Markus Frohnmaier: "Bitte, Herr." Seit Monaten begleitet Teebeudl den ehem. Vorsitzenden der Jugendorganisation der AfD (HJ) und heute Bundestagsabgeordneten. Diese Geschichte soll endlich "das ganz große Ding" werden, wie es Teebeudl nennt. "Ich will zeigen, dass Frohnmaier irgendwo auch zwei Arme und zwei Beine, ja sogar Eltern hat", erklärt er. "Adoptiveltern!" ergänzt der AfD-Mann, er habe es früher nicht leicht gehabt. Teebeudl hat Tränen in den Augen. Wegen Frohnmaiers rührender Geschichte, aber auch, weil bald sein großer Traum in Erfüllung gehen soll: seine Geschichte groß in der Wochenend-SZ.

Ein Berufsberater habe in der Oberstufe einmal sein Gymnasium in Oberhaching ­bei München besucht, da habe Teebeudl von seinem Wunsch vom Texten für die SZ erzählt. Seine Mitschüler hätten ihn ausgelacht und der Berufsberater so etwas gesagt wie: "Da gibt es den BMW, und da kann man Vorstand werden. Das ist gerade gut genug für einen wie dich."

Fünfzehn Jahre später, im Februar 2019, wartet Teebeudl auf eine E-Mail aus der Münchner Redaktion. Als sie kommt, werden seine Gesichtszüge hart vor Enttäuschung: "Die haben meine Frohnmaier-Story nur im scheiß Magazin gebracht! Das verfickte Beilageheftchen, das jedem zweiten Käufer schon am Kiosk aus der Zeitung fällt! Was fällt diesen linksversifften Schweinen ein?" Teebeudl zückt sein Smartphone, scrollt durch Twitter und Facebook. Viele regen sich dort über seinen Artikel auf: Es sei falsch, Nazis zu besuchen und ihnen faire und ausgewogene Porträts zu schreiben. Man müsse Grenzen ziehen und Faschisten ausschließen, wo es geht. Hunderte Kommentare dieser Art finden sich nach wenigen Stunden im Netz. Rafaelo Teebeudl ist fassungslos: Beim letzten Mal, als er über Höcke schrieb, waren es noch Tausende binnen Minuten. "Das darf doch alles nicht wahr sein!"

Ende März lässt Teebeudl das letzte von zwanzig Treffen mit TITANIC zu. An seiner Wohnungstür steht auf einem neu angebrachten Schild "Sie betreten das Deutsche Reich, Gau München-Oberbayern". Er hat hier die "Süddeutschen Nachrichten" gegründet, ist bisher einziges Mitglied der Redaktion. An den Wänden hängen unzählige geladene Jagdgewehre. Darf man sich mit so einem Menschen für eine Reportage treffen? Ja. Der Mann ist wie eine DNS-Probe: Hat man ihn eingehend betrachtet, kennt man den ganzen Organismus Reportage-Journalismus viel genauer, seine Erfolgsmethoden, seine Schwachköpfe.


 

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Philipp Bovermann (»SZ«)!

Früher hatten Sie Angst vor der Klimakatastrophe. Heute sind Sie Mitte dreißig und haben dazugelernt: »Ich kann heute nur noch darüber staunen, wie wenig tief mich die Tatsache bekümmert, dass der Planet überhitzt, dass Arten verschwinden, Ökosysteme kollabieren, Regenwälder brennen, Meeresböden sich in Wüsten verwandeln. Menschen werden sterben, Menschen sterben schon heute, das Leid der Tiere sprengt alle Vorstellungskraft – aber jetzt stehe ich auf meinem Balkon, habe mir ein Leben aufgebaut, mit einem tollen Job, einer tollen Frau, einer tollen Tochter, unten auf dem Teich schwimmt eine Entenfamilie vorbei, und geblieben ist nur die sanfte Sorge, dass ich mir zu wenig Sorgen mache. Ich grusele mich vor mir selbst. Aber nur ein winziges bisschen.« Denn »vielleicht ist es rational, wegen des Klimawandels ruhig zu bleiben und sich auf das Leid im Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die Welt wird schon nicht gleich untergehen.«

Nein, Kollege Bovermann, wird sie nicht, jedenfalls Ihre nicht. An den Menschen in Südostasien oder Osteuropa, betroffen von einem exemplarischen Regen aus der neuen Klimagegenwart, schwimmen derweil keine Entenfamilien, sondern ihre toten Töchter vorbei, während Sie sich so arg auf das Leid im Hier und Jetzt konzentrieren, dass es alle Vorstellungskraft sprengt.

Vorm ewigen Jungspießer gruselt’s da ein bisschen: Titanic

 Bitte schön, Annika Stechemesser!

Sie sind Klimaforscherin in Potsdam, wurden in der Frankfurter Rundschau am Tag nach den brisanten Landtagswahlen zum Thema »effektiver Klimaschutz« interviewt, und da wir heute auf keinen Fall Witze mit Namen machen wollen, lassen wir das einfach mal so stechen, äh, stehen!

Ganz lieb grüßt Ihre Titanic

 Und Du, »Braunschweiger Zeitung«,

hast uns mit Deiner Überschrift »Diese beiden tödlichen Keime bekämpfen Forscher aus Braunschweig« einen kleinen Schrecken eingejagt. Viel lieber wäre uns in eh schon schweren Zeiten die Headline »Forscher aus Braunschweig bekämpfen diese beiden tödlichen Keime« gewesen.

Bitte auf uns arme Seelen achten, wünscht sich

Deine Titanic

 Sie wiederum, André Berghegger,

haben als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes nach dem Einsturz der Dresdner Carolabrücke eine »Investitionsoffensive für die Infrastruktur« gefordert, da viele Brücken in Deutschland marode seien. Diese Sanierung könnten jedoch Städte und Gemeinden »aus eigener Kraft kaum tragen«, ergänzten Sie. Mit anderen Worten: Es braucht eine Art Brückenfinanzierung?

Fragt Ihre Expertin für mehr oder weniger tragende Pointen Titanic

 Ho ho ho, Venezuelas Präsident Nicolás Maduro!

Ho ho ho, Venezuelas Präsident Nicolás Maduro!

Mitten im Streit um das wohl von Ihnen manipulierte Wahlergebnis bei der Präsidentschaftswahl haben Sie wieder einmal tief in die politische Trickkiste gegriffen: »Es ist September, und es riecht schon nach Weihnachten«, frohlockten Sie in einer Fernsehansprache. »Als Dank an das kämpferische Volk werde ich daher Weihnachten per Dekret auf den 1. Oktober vorziehen.«

Wir haben sogar eine noch bessere Idee, Maduro: Könnten Sie nicht per Dekret Weihnachten von Anfang Oktober bis Ende Dezember stattfinden lassen? Im Gegensatz zum Kanzler in seinem kapitalistischen Schweinesystem können Sie doch sicher bestimmen, dass die planwirtschaftliche Lebkuchen-Vanillekipferl-Produktion schon im Juni anläuft. So können Sie sich nicht nur ein paar Tage, sondern ganze drei Monate Ruhe zum Fest schenken!

Rät Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Im Unterzucker

Wenn man sich bei seinem Lieblingsitaliener keine Pizza bestellen kann, weil man nicht alle Vespas auf den Fotos gefunden hat – liegt das dann am nicht bestandenen Turin-Test?

Lara Wagner

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Kurzzeitgenossen

Bei der Meldung zu Anton Bruckners 200. Geburtsjubiläum (4. September) und dem tags darauf sich jährenden Geburtstag Heimito von Doderers (5. September) mit Interesse bemerkt, dass beide Herren im Jahr 1896 kurz gleichzeitig am Leben waren: nämlich fünf Wochen und einen Tag lang, von Klein-Heimitos Entbindung bis zu Bruckners Tod am 11. Oktober. Solche ganz knapp verpassten Möglichkeiten der Seelenwanderung faszinieren mich. Was wäre gewesen, hätte man Doderer etwas später zur Welt gebracht, wäre Bruckners Geist schon ein paar Wochen früher »frei« gewesen? Hätte Wien / Ansfelden ein reinkarniertes Doppeltalent Heimtoni von Brucknerer überhaupt ausgehalten, hätte die literarisch-musikalische Welt unter dem Eindruck der »Strudlhofsinfonie«, des »Rondo in c-Moll für Streichquartett und einen Merowinger« (Alternativtitel: »Die tonale Familie«) oder der kurzen vierstimmigen Motette »Die Peinigung der Orgelpfeifelchen« vor Entzücken und Überwältigung alle viere von sich gestreckt, aufgegeben und ihren Kulturbeutel auf immerdar zusammengepackt? – Dass das Spekulieren über solche vergeigten Leider-nicht-Seelenwanderungen nur sehr ausnahmsweise Sinn ergibt, dämmerte mir aber, als ich ad notam nahm, mit welchen Gruselgestalten und potentiellen Reinkarnationsgefäßen seinerseits Doderer seine allerletzten Tage im Herbst 1966 verbringen musste: Stefan Raab (*20.10.66), David Cameron (*9.10.66), Caroline Beil (*3.11.66) und sogar noch haarscharf David Safier (*13.12.66, »Miss Merkel – Mord am Friedhof«; »Der kleine Ritter Kackebart«). Dann schon lieber die Seele mit in die Hölle nehmen.

Michael Ziegelwagner

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
15.10.2024 Tuttlingen, Stadthalle Hauck & Bauer und Thomas Gsella
16.10.2024 München, Volkstheater Moritz Hürtgen mit Max Kersting und Maria Muhar
16.10.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
16.10.2024 Frankfurt, Buchmesse TITANIC auf der Frankfurter Buchmesse