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Kliemannsland muss werben, damit wir leben können

Fynn Kliemann ist Youtube-Star, Agenturchef, "Musiker" (Kliemann) und leidenschaftlicher Tier- und Menschenquäler mit Bioresonanz. Als Tim Taylor der Generationen Y und Z führt er auf seinem Channel unschuldige Jugendliche in die Abgründe der Heimwerkerszene ein. Ein Hausbootbesuch
Montag morgen, 14. Januar. Es sind 2 Grad über Null. Wir stehen an einer verlassenen Bushaltestelle im niedersächsischen Rüspel, besser bekannt als Kliemannsland. Fynn Kliemann, Heimwerkerking des Kliemannslands und Duzfreund von Paul Ziemiak, kommt uns auf einer Motocross-Maschine entgegen. Selbstgebaut versteht sich, aus einem Longboard und einem Stück Draht. "Heimwerkerking halt", grinst Kliemann in die Kamera des ihn ständig begleitenden Praktikanten: "So, jetzt schmeiß die Kamera nochmal runter, wirkt authentisch!"
Wir setzen uns zu dritt auf die Maschine, die Kliemann vergeblich zum Start zu bewegen versucht: „Scheiße, ey! Der 38er Rinkler ist im Arsch! "Doch kein Problem für den schlaksigen Freigeist. Mit einem Cuttermesser – für zehn Euro in Kliemanns Webshop erhältlich – zerkleinert er einen seiner Schnürsenkel - für sechs Euro in Kliemanns Webshop erhältlich – und verschweißt ihn zusammen mit einem Huhn mit der Hand des Praktikanten. Wir schauen überrascht, Kliemann bemerkt das und beruhigt uns: "Keine Sorge, wir haben im Stall noch genug Praktikanten."
Das Schweißen muss bei Kliemann immer mit langwierigem Fluchen einhergehen. Die Kamera nimmt alle Emotionen auf und wir sie ihm nach dem dritten Take auch ab. Stolz zeigt er uns, seiner Handykamera und ein paar umstehenden Fremden, die er bittet mitzufilmen, das Endergebnis. "Hab ich mir letzte Woche selbst beigebracht. Ich kann jetzt auch schweißen!" erzählt er stolz. Sein kindliches Streben nach Anerkennung (Klicks) löst den dringenden Wunsch aus, ihn dafür mit einem "Fein!" oder "Klasse!" zu belohnen oder ihm wenigstens mal ein Leckerli (Geld) hinzuwerfen. Dann geht die wilde Fahrt ins Kliemannsland los.
Dort angekommen wird uns seine Gefolgschaft vorgestellt. "Das sind meine Jungs und das ist meine auf 450-Euro-Basis festangestellte Freundin, für die ich auch mal ein Lied geschrieben habe." Er schnappt sich eine Gitarre, selbst gebaut aus einem Stock (Eiche) und einer Gitarre und fängt an zu krächzen. Mittendrin hört er auf, die Musik aber läuft weiter. "Dolby Surround 5.1, 24/7 auf dem ganzen Hof!" sagt er und wir nicken anerkennend. "Für das Musikvideo habe ich 43 Freunde tätowiert. Mega verrückte Idee, aber schade, dass ich deswegen den Job in der Grundschule verloren habe." Wir nicken wieder anerkennend und lauschen weiter den lyrischen Gegensätzen in Kliemanns Lied: "jung"/"alt", "warm"/"kalt". Gänsehaut. Der eingefleischte "Freiwild"-Fan erklärt aber, damit nicht live auftreten zu wollen, aus Angst das Playback zu vermasseln.

Upcycling deluxe: Aus diesem rostigen Blechtrichter macht Kliemann im Handumdrehen ein schillerndes Pissoir für sein Hausboot
"So, dann lass uns mal was bauen!" ruft Kliemann plötzlich und gibt seinen Freunden, die er neckisch "Lohnarbeiter 1 und 2" nennt, ganz so als würden sie wirklich Lohn bekommen, zu verstehen, dass sie Bretter bringen sollen. "Franzi!" ruft Kliemann seiner Freundin zu. "Du darfst auch mal im Video vorkommen! Halt mal! Motz mich zwischendurch auch mal ein bisschen an, das kommt gut!" Mit Frauen könne er immer schon gut, erzählt er uns und gibt Franzi zur Verdeutlichung des gerade gesagten im Vorbeigehen einen (!) leichten (!) Klaps auf den Po.
Um das Phänomen Kliemann, den hier alle oft Bittetumirnichtwehauaaua nennen, zu verstehen, muss man begreifen, dass der 16jährige bereits seine eigene Werbeagentur aus dem Boden stampfte, als seine unbezahlten Praktikanten noch bei anderen Firmen unbezahlte Praktika absolvierten. Einen Jump-Cut und vermehrtem unbeabsichtigtem Umfallen der Kamera später sind wir auch schon da. "Mit 'herrlich media' betreuen wir viele internationale Kunden, von Gazprom bis Bolsonaro ist alles dabei." sagt der Vermögensberater Gerhard Schröders. Zwei Tage die Woche ist er als leitender Angestellter (Chef) im Pausenraum der Agentur. "Das ist mir persönlich sehr wichtig, auch um halt Sachen zu delegieren" betont er.
"Wollten wir nicht was bauen?" fragen wir in den Raum. "Ja! Lass uns was bauen! Komm, wir bauen was!" jauchzt Kliemann mit vor Baulust sprühenden Augen. Zur Ideenfindung setzen wir uns in ein Hausboot, das auf einem selbst gebuddelten Teich schwimmt. Das Boot, früher im Besitz Gunter Gabriels, kaufte er zusammen mit dem Liedermacher Olli Schulz. Nun wollen die beiden eine Künstlerwerkstatt daraus machen.
Wir sprechen Kliemann auf Gunter Gabriel und seine manchmal etwas schwierige Beziehung zu Frauen an. "Wir sind nicht so. Klar, Frauen nerven manchmal echt, aber dann zitiere ich einfach Olli und sage: Halt die Fresse, krieg 'n Kind." Kliemann lacht und erklärt weiter: "Ich muss aber schon sagen, dass mich so Gewalt gegen Frauen schon fasziniert. Und außerdem sind wir Männer beim Heimwerkeln ja eh unter uns, abgesehen davon, dass Franzi mir mal ein Brett reichen kann." Und da wir genauso unkritisch sind, wie alle anderen, die ihn bisher interviewen durften, geben wir uns mit dieser Antwort zufrieden.
Es ist Abend geworden im Kliemannsland, was von den Dorfbewohnern heimlich als "deutsches Jonestown" gehandelt wird. Ein anstrengender Tag liegt hinter uns, der mit einem Feierabendbier auf dem Hof beendet wird, wo wir uns das heute gebaute Werk anschauen. Wir wissen zwar selbst nicht genau, was es ist, aber fest steht: Es bringt Klicks und ist authentisch, so wie Fynn Kliemann.
Lukas Herrmann / Niklas Hüttner