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Grab Nummer 20 – Ein Spiegel-Krimi

(Alle kursiven Passagen entstammen Texteinstiegen von "Spiegel"-Artikeln der letzten Wochen)

Große Kriminalfälle nehmen mitunter an merkwürdigen Orten ihren Lauf. In Annaberg-Buchholz ist es ein grau geschotterter, staubiger Platz gleich neben dem Polizeirevier. Hier parken die Mitarbeiter des örtlichen Finanzamts. In zweiter Reihe, dort, wo jetzt ein weißer Skoda in der Sonne steht, stießen Kommissarin Lucretia Kruse und ihr Partner Dieter Pösch voriges Jahr auf ein Grab, dem sie die Nummer 20 gaben.

Lucretia Kruse ist nicht mehr die jüngste, aber ihre Statur ist immer noch beeindruckend. Breitschultrig und hochgewachsen, in dunkelblauem Hosenanzug, dazu lacklederne Pumps mit zentimeterhohen Absätzen. Wenn sie aus dem Fenster ihres Büros schaut, dann sieht sie jenseits des Gartens eine Gruppe schön gewachsener Eichen. Es ist ein Blick, der ihr innere Ruhe geben könnte, eigentlich.

Dieter Pösch öffnet in Jesuslatschen, grünen Shorts und T-Shirt die Bürotür, die rotblonden Haare sind verwuschelt. Dass das legere Outfit nicht unbedingt zum Amt passt, scheint ihm herzlich egal zu sein. Heute ist ein guter Tag, Pösch hat Geburtstag. Er wird 45 Jahre alt. Schnell schaut er noch in das Büro. Er stellt Kuchen für später auf den Tisch. Gleich wird er wieder seinen Stadtteil verteidigen, vehement, wie so oft in den vergangen Wochen.

Eine fremdartige Gestalt huscht durch die Straßen. Einen wie ihn haben die Bewohner der Stadt noch nicht gesehen: Seine Haut schimmert tiefschwarz, wie es sonst nur bei den Bewohnern im fernen Afrika der Fall ist. Er trägt einen Gürtel, eine beige Uniform mit drei Sternen, er spricht außerdem vier Sprachen: Französisch, Bambara, Songhai und Tamascheq. Kruse und Pösch folgen ihm unauffällig.

Zwanzig Autominuten westlich begibt sich ein junger Kameruner auf den Weg. Paul, so soll er hier heißen, trägt Jeans zum roten T-Shirt. Er nimmt die Schotterpiste. Zwanzig Minuten später beobachten die Kommissare, wie sich zu ihrer dunklen Gestalt eine zweite, Paul, gesellt. Sie sehen sie in einem Schweinestall verschwinden und eilen hinterher.

Es ist laut im Stall, sehr laut. Eine große Unruhe hat die Schweine erfasst, und es sind viele Schweine, an die 600. Sie quieken und grunzen und drängeln, denn zwei Männer bahnen sich ihren Weg durch die Tiere, nehmen sich eins ums andere vor: Junge Eber sind ihr Ziel. Sie halten ihnen eine Spezialpistole hinter die Ohren – und drücken ab.
Hunderte Eber gegen zwei Männer? Ein ungleicher Kampf. Deshalb haben die Männer Sprengstoff an Bord.

Die Polizisten greifen ein. Pösch war kein Mensch. Er war ein Maschinengewehr. So hat ihn ein junger Kollege bei der Zeitung beschrieben.
Die Handgranate explodiert am Samstagnachmittag kurz nach 15 Uhr. 2 Menschen werden getötet, 49 Schweine verletzt.

Am Abend, an dem die Straßen vom Knattern der Mopeds vibrieren und allmählich die blaue Stunde anbricht, strömen die Köche aus den Gassen und verteidigen das Erbe ihrer Stadt. Es sind Frauen mit starken Armen und Männer mit gegerbten Gesichtern, sie schieben Karren aus Metall vor sich her, entfachen Feuer, öffnen Töpfe und Tiegel. Es gibt heute Schwein, viel Schwein.

Ab da ist nichts mehr wie zuvor in der Stadt. Annaberg-Buchholz fühlt sich in diesen Tagen manchmal an wie wie Bagdad nach dem Krieg. Sirenen heulen, Panzerwagen patrouillieren, und Kampfjets donnern über die Stadt. Die wenigen Hotels, in denen noch ein paar versprengte Touristen wohnen, sind blickdicht eingemauert. Mit groben, herrischen Gesten sortieren Polizisten in Schutzweste und Helm den Verkehr. Wer aus der Reihe tanzt, wird angeschrien.

Kruse und Pösch müssen mit ihren Vorgesetzten die Ereignisse aufarbeiten. Zwei Tage lang hören sie aufmerksam zu, der Mann, den die Boulevardpresse “Folterbestie” getauft hat, und die Frau, der er beim Schusswechsel nebenbei Nase und Kiefer gebrochen haben soll. Manche Menschen schalten ab, wenn sie nicht mehr aushalten, was passiert. Sie werden dann ganz ruhig, hören auf zu weinen und zu klagen. So auch Lucretia Kruse. Dann rafft sie sich auf: Sechsmal die Woche geht sie durch den Eingang in der Berggasse 19. Zehn Steinstufen hinauf, wieder eine schwere Tür aus dem dunklem Holz, klingeln, warten. Manchmal öffnet Sigmund Freud ihr persönlich. Sie legte sich auf den Diwan, wundert sich über die seltsamen Methoden des Arztes, aber sie steht ihm Rede und Antwort.

Am frühen Morgen des 29. April 2018, einem Sonntag, erwacht Kruse in einer Berghütte auf 2928 Metern, es ist fünf Uhr, sie hat schlecht geschlafen. Sie denkt an das Wetter.
Wie ist sie hierher gekommen? Ist sie endgültig verrückt geworden? Und wer ist das da hinten?
Erst dachte sie an eine Erscheinung. Sie konnte nicht glauben, dass ihre Mutter tatsächlich auf sie zukam. Auch die Mutter schien kurz zu zweifeln. War es wirklich wahr, was da geschah? Die Mutter ging unsicher auf ihre Tochter zu. Im nächsten Moment fielen sich beide in die Arme, hielten sich fest umklammert, weinten minutenlang.

Wie geht es weiter? Wo ist Lucretia Kruse wirklich? Was hat es denn nun mit dem Grab Nummer 20 auf sich?

Die Antworten erfahrt Ihr in den nächsten Ausgaben des "Spiegel"!

Tim Wolff

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

 Wurde aber auch Zeit, Niedersächsische Wach- und Schließgesellschaft!

Mit Freude haben wir die Aufschrift »Mobile Streife« auf einem Deiner Fahrzeuge gesehen und begrüßen sehr, dass endlich mal ein Sicherheitsunternehmen so was anbietet! Deine Mitarbeiter/innen sind also mobil. Sie sind unterwegs, auf Achse, auf – um es einmal ganz deutlich zu sagen – Streife, während alle anderen Streifen faul hinterm Büroschreibtisch oder gar im Homeoffice sitzen.

An wen sollten wir uns bisher wenden, wenn wir beispielsweise einen Einbruch beobachtet haben? Streifenpolizist/innen? Hocken immer nur auf der Wache rum. Streifenhörnchen? Nicht zuständig und außerdem eher in Nordamerika heimisch. Ein Glück also, dass Du jetzt endlich da bist!

Freuen sich schon auf weitere Services wie »Nähende Schneiderei«, »Reparierende Werkstatt« oder »Schleimige Werbeagentur«:

Deine besserwisserischen Streifbandzeitungscracks von Titanic

 Mmmh, Futterparadies Frankfurt a. M.!

Du spielst in einem Feinschmecker-Ranking, das die Dichte der Michelin-Sterne-Restaurants großer Städte verglichen hat, international ganz oben mit: »Laut einer Studie des renommierten Gourmet-Magazins Chef’s Pencil teilen sich in der hessischen Metropole 77 307 Einwohner ein Sterne-Restaurant.«

Aber, mal ehrlich, Frankfurt: Sind das dann überhaupt noch echte Gourmet-Tempel für uns anspruchsvolle Genießer/innen? Wird dort wirklich noch köstlichste Haute Cuisine der allerersten Kajüte serviert?

Uns klingt das nämlich viel eher nach monströsen Werkskantinen mit übelster Massenabfertigung!

Rümpft blasiert die Nase: die Kombüsenbesatzung der Titanic

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

 Hello, Herzogin Kate!

Hello, Herzogin Kate!

Ihr erster öffentlicher Auftritt seit Bekanntmachung Ihrer Krebserkrankung wurde von der Yellow Press mit geistreichen Überschriften wie »It’s just Kate to see you again« oder »Kate to have you back« bedacht.

Und bei solchen Wortspielen darf unsereins natürlich nicht fehlen! Was halten Sie von »Das Kate uns am Arsch vorbei«, »Danach Kate kein Hahn« oder »Das interessiert uns einen feuchten Katericht«?

Wie immer genervt vom royalen Kateöse: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster