Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Durch die Wüste
Neulich schrieb ich, daß in den Zeitungen immer die Wahrheit stehe, und daß jene Landsleute, die von „Lügenpresse“ schäumen (und mit denen eine Ansicht zu teilen ja auch gar nicht in Frage kommt), unrecht haben. Ich darf diese Ansicht erweitern: Konträr zur gängigen Vorstellung lügt auch die Werbung kein Stück. Auch sie sagt schlicht die Wahrheit.
Im neuen Spot der Autofirma Audi („Vorsprung durch Technik“) fährt ein Audi durch quasiapokalyptisches Wüstenland. Der Audi, man sieht es kurz, fährt 80, denn Audifahrer fahren zwar Audi, aber aus Vernunft, und wenn sie es auf der Autobahn hinter mir so oft sehr eilig haben, dann gibt es auch dafür vernünftige Gründe. Jedenfalls blinkt es plötzlich im Armaturenbrett: Service! Zeit, eine Werkstatt aufzusuchen, zwecks Inspektion; aber nicht bei den Wüstenbewohnern in Blaumann und Holzfällerhemd, die jetzt aus den Verschlägen lugen, die hier wohl für „Werkstätten“ gelten. Der Audi, sichtlich aus einer anderen Welt, schnurrt vorbei. Doch die staubigen, schmutzigen Mechaniker, die alle so aussehen, als hätten sie schlechte Zähne, lassen sich das natürlich nicht bieten, daß da so ein Schnösel mit seinem blinkenden Audi durch ihre Wüste fährt und gar nicht daran denkt, den nächstbesten Prolo Hand ans teuer erworbene Gefährt legen zu lassen.
Und jetzt stürmen sie aus ihren Verschlägen, die Schraubenschlüssel noch in der Hand, und jagen dem Audi hinterher, zu Fuß, in Pickup-Trucks, sie werden zur Horde, fallen übereinander und über ihre Füße, greifen, langen, grapschen nach dem Audi, sie werden immer mehr, eine Masse, ein Brei, eine Flut von Menschen (oder Menschenartigen), die sich final am gläsern-aseptischen Audi-Service-Zentrum bricht, in das der Audi lautlos einfährt. Hinter ihm senkt sich das Tor. Die (Unter-)Menschen, Tausende, branden dagegen, prallen ab. Wir, als potentielle Kunden, dürfen natürlich mit hinein und sehen, wie sich die Menschen an der Glasfront die Wangen und Hände plattdrücken. Darüber der Claim: „Damit Ihr Audi nicht in falsche Hände gerät.“ Dann geht, in hochreiner Umgebung, der schnieke Fahrer zum schnieken Service-Mann. Ende.
„Die von vornehmen Vätern abstammen, achten und verehren wir, die dagegen nicht aus vornehmem Hause sind, achten und verehren wir nicht. Hierbei verhalten wir uns zueinander wie Barbaren, denn von Natur sind wir alle in allen Beziehungen gleich geschaffen, Barbaren wie Hellenen.“ Antiphon, 5. Jh. v.u.Z.
Das fanden immerhin auch einige Youtube-Nutzer „widerlich“, wobei es eher um die Ehre des gemeinen Kfz-Schlossers ging als um die plane Allegorie, die Audi hier inszeniert und die allenfalls darum nicht widerlich ist, weil sie stimmt: das saubere kapitalistische Produkt gegen die schmutzige Armut, unser Wohlstand gegen Ansprüche von außen, die Gated Community/Festung Europa als selbstverständlich in Anspruch genommener Zufluchtsort der Zivilisation gegen den Pöbel, der gegen ihre Grenzen drängt. Etwas weniger spektakulär und ohne Flüchtlingsbezug: Die Proletarier, die den Luxus zusammenschrauben, dürfen ihn hernach nicht einmal anfassen, und jene, die ihn genießen, geben in ihrer äußersten Herablassung und Selbstgewißheit nicht einmal Gas, wenn die Asozialen Ansprüche anmelden: Diese Barbaren können uns gar nichts.
Das ist natürlich nur dann der reine Zynismus, wenn wir hier Absicht unterstellen. Ich unterstelle, daß die kreativen Kreaturen, die das auf den Bildschirm gestemmt haben, keine Sekunde lang den Argwohn hegten, sie könnten hier, wie ein Youtube-Kommentar fand, „Menschengruppen verächtlich“ gemacht haben. Haargenau so geht schließlich Kapitalismus; und seit wann ist der menschenfeindlich?
Liebe Leserin, liebe Leser, Ihr „Sonntagsfrühstück“ macht Urlaub und ist ab dem 20. September wieder für Sie da.
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