Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Biermann und ich
Bin ich Kommunist? Definiere Kommunist.
Wolf Biermann, der jetzt 80 wird, ist jedenfalls keiner mehr und diktiert jedem Reporter, der es hören will (und es wollen viele), sein Wort vom „Kinderglauben“ ins Smartphone: „In diesem Jahr 1983 erlebte ich die Zeitenwende meines Lebens, im Politischen wie im Privaten. Ich löste mich endlich vom Kinderglauben Kommunismus, und ich traf Pamela“ (B. im Interview mit dem SZ-Magazin). Das mit dem Kinderglauben ist ein dankbares Ticket, läßt es den, der auf ihm fährt, doch das Air des Romantikers, der genug Herz hatte, mit 20 Kommunist zu sein, und genug Verstand, sich im Fortgang zum Gegenteil zu bekennen.
Ich war mit 20 keiner. Bin ich’s heute?
Ich bin es mindestens und sicherlich so weit, als ich Biermann für diese Selbstgewißheit verachte, für das unbedingte Anbiedern an die, die ihm die Heizung hinterm Hintern aufdrehen, und für seine Willfährigkeit gegenüber dem zeitgenössischen Antikommunismus, der ja mehr ist, als keinen Kommunismus zu wollen, sondern darauf besteht, daß Kommunismus bereits in der Theorie unmoralisch und verbrecherisch sei und daß der historische Versuch genau der Kommunismus war, den Kommunistinnen (und Antikapitalisten) zurückhaben wollen und richtig finden, wie häßlich und borniert er im einzelnen (und für den einzelnen) auch gewesen sein mochte: „Sie schildern in Ihren Memoiren, wie Ihre Courage Menschen ins Unglück gestürzt hat. Ein junger Elektriker zum Beispiel wollte an eine Hauswand ,Biermann hat recht’ schreiben. Weil Passanten kamen, schrieb er nur: ,Biermann hat re’. Die Stasi überführte ihn durch eine chemische Analyse der Farbe.“ – „Das war nach meiner Ausbürgerung, er protestierte dagegen. Er saß drei Jahre im Knast, und seine Frau reichte unter Druck die Scheidung ein. Nach seiner Haft wurde er vom Westen freigekauft. Das gemeinsame Kind war nur noch eine anonyme Kontonummer für die Zahlung der Alimente.“
„Wir wolln es nicht verschweigen / in dieser Schweigezeit. / Das Grün bricht aus den Zweigen, / wir wolln das allen zeigen, / dann wissen sie Bescheid. / Dann wissen sie Bescheid.“ Biermann, 1968
Das glaube ich sogar und bin es momentweise leid, die ewigen Gegenrechnungen aufzumachen zwischen diesem Unrecht und dem anderen, das, während Biermann seine Memoiren besingt, Menschen in den Schlafsack vorm Karstadt nötigt. Ein Leben ist ein Leben ist ein Leben, und daß drei Jahre für ein (und sei’s konterrevolutionäres) Graffito die Welt, wie sie heute ist, mit einrichten half, sei dem ostdeutschen Funktionärs- und Paranoiasozialismus, bei allem Druck, unter dem er stand und aus dem er kam, ruhig hingerieben. „Als ich verboten wurde, sollten Kader der illegalen KPD im Auftrag der SED dafür sorgen, daß Emma Biermann sich von ihrem mißratenen Sohn distanziert. Sie sollte in einem Propagandacoup bestätigen, daß ich mich mit den Mördern meines [in Auschwitz ermordeten] Vaters verbündet habe, und Scham und Verachtung gegen mich äußern. Da hat sie ihren Genossen drei markante Sätze vor den Latz geknallt: ,Mein Sohn ist ein Kommunist, und ihr, Genossen, seid Antikommunisten. Mein Sohn ist ein Revolutionär, und ihr, Genossen, seid Konterrevolutionäre. Mein Sohn ist ein junger Dichter, und ihr, Genossen, seid alte Schweine.’“ Was ist der Sohn jetzt?
Einer, der (anders als der aufrechte Kommunist Degenhardt) den Büchnerpreis gekriegt hat und zum 25jährigen Mauerfalljubiläum im Bundestag klampfen durfte, „das Lieblingslied der Häftlinge in der DDR“, um nämlich der Linksfraktion und Gysi eins auszuwischen, weil der es geschafft hatte, „das in der ganzen Welt verteilte Raubvermögen der SED elegant in die Demokratie rüberzuretten. Das ist reaktionär.“ Und das im reaktionären SZ-Magazin, das einzig dafür da ist, Quatschprodukte unter jene zu jubeln, die nicht wissen wohin mit ihrem Raubvermögen.
Wenn dies festzustellen und bei „SED-Diktatur“ (ebd.) die von BDI und Bertelsmann mitzudenken heißt, Kommunist zu sein: dann bin ich’s gern.
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