Humorkritik | Juli 2013

Juli 2013

Kurzgeschichten

Der inflationäre Gebrauch des Wörtchens Humor, mit dem die Klappentextschreiber deutscher Verlage das beworbene Werk für den Käufer mundgerecht erscheinen lassen möchten, bringt es mit sich, daß ich auf ein solches Reizwort längst nicht mehr anspringen mag. Seien wir ehrlich, zumeist handelt es sich dabei um einen vorsätzlichen Betrug am Leser.

Ungute Folge dieser Praxis ist, daß komische Preziosen unter den literarischen Neuveröffentlichungen leicht übersehen werden können. So ist es mir auch mit Pavel Lemberskys Geschichtensammlung »Fluß Nr. 7« ergangen, die ich bei der Veröffentlichung 2003 links liegenließ: ein kleines Kompendium abstruser Geschichten, die, russische Erzähltradition beschwörend, die Möglichkeiten des Genres Kurzgeschichte munter durcheinanderwirbeln. Mal beginnt Lembersky ganz klassisch lakonisch: »Endlich ertönte der Schuß. Colin hatte sich erschossen. Alle atmeten erleichtert auf. Die Party ging weiter. Als nächstes tranken wir auf das neue Jahr«; ein andermal mit gespielter metafiktionaler Ratlosigkeit: »Diese Geschichte beginnt etwas ungewöhnlich, obwohl ihr Ende recht mittelmäßig zu werden verspricht«, um dann zu beschließen, dem Leser die Handlung verkehrtherum, vom Schluß ausgehend zu erzählen.

Die 35 kurzen und kürzesten Geschichten des seit Jahrzehnten in den USA lebenden, nach wie vor russisch schreibenden Autors wissen mit ihrem Ideenreichtum zu überrumpeln. Wenn auch, das sei als einzige Kritik angemerkt, ein bißchen zu häufig gewaltsam gestorben wird und fast alle auftauchenden Frauen mit »kastanienbraunem Haar« aufwarten. Dafür wird einem eine heitere russisch-amerikanische Zwischenwelt aufgetan, die vielleicht an Nabokovs Professor Pnin denken läßt. Schlußendlich soll der Hagestolz Babajew, der Held gleich zweier Geschichten Lemberskys, zu Worte kommen, er fragt sich: »Wird denn wirklich schlagartig alles anders werden in meinem Leben, wenn ich erst eine Freundin mit zwei identischen Beinen habe? Werde ich mir an ihrer Seite wirklich sympathisch sein, wird mein Gang geschmeidig werden und meine Rede fließen wie Milch?«

»Fluß Nr. 7« ist leider nur noch antiquarisch, dann aber zumeist für beschämend kleines Geld zu erwerben.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella