TITANIC Gold-Artikel

Seedboxing meets Cuniculiculture: Steckenpferde 2.0

Längst war es totgeglaubt, das gute, altbackene Briefmarkensammeln - verschimmelten Alben, rosteten Pinzetten, starben greise Sammelidioten einen einsamen Tod. Doch jetzt gibt es einen neuen Namen für das alte Steckenpferd: "Social Philately". Und mit ihm einen neuen Fokus: Die trendbewussten Briefmarken-Geeks des 21. Jahrhunderts interessieren sich auch für die "Postgeschichte, die Kultur der damaligen Zeit, die historischen Hintergründe" ("Süddeutsche Zeitung"). "Das lässt uns nicht mehr so verschroben erscheinen", jubelt Sammler Wolfgang Lang: "Wir glauben, das ist der Trend, der uns retten kann." Und mit ihnen viele weitere Freizeitspäße älteren Semesters. Immer mehr angestaubte Hobbys verhipstern und erleben eine ungeahnte Renaissance.

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Seedboxing

Sooo Achtziger: Wer erinnert sich nicht an die hölzernen Setzkästen in Opas Guter Stube, randvoll mit Modellautos und Muscheln, Rubinen und Amethysten, bizarren Glückswaagen, Elefantenfigürchen aus echtem Elfenbein und Opas Nierensteinen, zur Pyramide gestapelt. Das war mal. "Seedboxing" heißt der aktuelle Trend unter Teenagern, der Setzkasten im Jugendzimmer ist wieder ein Must-have. Nicht angefüllt mit ollen Happy-Hippo-Ü-Ei-Figuren und speckigen Schlümpfen, sondern zeitgemäß mit den gesammelten Smartphone-Modellen der letzten fünf Jahre. Ein 16jähriger Seedboxer erklärt: "Mit Happy Hippos spiele ich nur noch in meinem Online-Ballergame", ehe er seinen neuesten "Quasselknochen" (Jugendsprache) liebevoll aus dem Setzkasten fischt. 

Half human Firefighters

Kaum eine Vereinsmeierei plagte in den letzten 20 Jahren derart Nachwuchssorgen wie die Freiwillige Feuerwehr, Sturmgeschütz der alten BRD und Sammelbecken des gemeinen (= dauerstrammen) Volks. Da konnten auch Komasauf-Wochenenden für die Junioren und Hashtags wie #feuerwehrmannsam, #loeschuebungmitvodka und #ehrenamtrocks nichts mehr ausrichten. Manche Vereinstruppe nahm bereits lustlos Flüchtlinge auf, um die klaffenden Lücken zu füllen. Doch jetzt gibt es den rettenden Ausweg: Dutzendweise humanoide Roboter in die lichten Reihen gemischt, macht das Ehrenamt allen wieder Spaß. Mit den spannenden Neumitgliedern lässt sich so prima rumhängen, bechern und bumsen, dass auch Menschen aus Fleisch und Blut wieder in Scharen herbeiströmen. Die Feuerwehr ist wieder "groovie" und die "Löschis" im sozialen Dorfranking erneut ganz vorne mit dabei. 

Tuppa Nova

Es war mehr als ein Beruf, es war Berufung: Manche Bankangestellte oder Lehrerin gab dafür ihren Job auf, um als Tupperhändlerin beherzt durchzustarten. Die "Parties" bzw. geselligen Zusammentreffen zum An- und Verkauf überteuerter Plastikwaren waren einst beliebte Hausfrauenfreuden und für manch eine der einzige Lebenszweck. Doch im Zuge von Feminazitum, Frauenqoten und Work-Life-Balance fristeten sie in letzter Zeit ein eher schattiges Dasein am Rande der Gesellschaft (Saarland, Schleswig). Bis eine findige holsteinische Hausfrau namens Solveig Kieler-Förde die Tupperware wiederentdeckte und die Kunststoff-Fetische witzig umfunktionierte. Mit dem Fleischmesser ein kreisrundes Loch hineingeschlitzt, fertig war das freche, instagramtaugliche Schuhwerk. Anleitung: Erst schädelt frau ein paar "Aperol Spritz" wie nichts Gutes, dann wird geschwooft, ob Ringelreihen, Polonaise, Stagediving vom Küchentisch oder eine Arschbombe in die pogende Menge.  Als "Tuppa Nova" oder "Toopa-Toopa" findet die neue Passion auf Social Media rasch Verbreitung. Da machen sogar feministische Spaßbremsen mit! Demnächst auch mit aufgesägten Küchenmaschinen der Marke Thermomix. 

Cuniculiculture

Kaninchen zu züchten und diese Nacht für Nacht zum Rammeln zu bewegen – schnarch, darauf hatte schon lange niemand mehr Lust, nicht einmal mehr die Kaninchen selbst. Wäre da nicht dieser neue Trend aus Französisch-Belgien: Statt in konventionelle Holz-und-Draht-Verschläge werden die Hasenartigen seit kurzem in hippe Eimer gesteckt. Und mit einem éléganten französischen Namen versehen, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Da hoppeln Männchen und Weibchen gerne wieder zum Rammeln heraus. Wobei das jetzt auch nicht mehr im so im Vordergrund stehe, lässt ein Neuzüchter in der Facebookgruppe "Schnuffelbunny" verlautbaren: Man denke in Sachen Kaninchenzucht jetzt eher in nichtbinären Strukturen. Die Neumitglieder, darunter viele bärtige Männer zwischen 30 und 45 Jahren vom Prenzlauer Berg, rennen den Zuchtvereinen jedenfalls die Buden ein. 

Phone Card Collecting 2.0

In den frühen Neunzigerjahren waren es mal zehn Millionen: Menschen, die Telefonkarten für Telefonzellen anhäuften bis zum Umfallen, mit begehrten Frontmotiven von Eduscho, Hertie, Diddlmäusen oder dem frischen Lächeln von Alanis Morissette. Wer nicht mitmachte, war ein sozialer Outcast, ein deutschdeutscher Paria. Jetzt werden sie plötzlich wieder gerne gekauft: Aber nur mit D-Mark, wie Telefonkartensammelveteranin Ilona Gause aus Coburg die neuen Regeln erklärt. Wichtig sei in der "Scene" auch die passende Kleidung: Flanellhemd, Baggy Pants und Plateauschuhe, ehe es nach der Tauschbörse zum Rudelbums in verwitterte Telefonzellen am Stadtrand geht. Retro rocks!

Ella Carina Werner

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg