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"Das Wort Wintermarkt als Serie!"

Streamingriese Disney+ wagt ein Reboot der beliebten "Santa-Clause"-Reihe. Warum sich dieses als ho-ho-horibble (deutsch: horribel) herausstellt, bespricht unser Feuilleton-Autor in seiner zuckerstangenfreien Rezension.  

Tim Allen ist für meine Generation (Kohorten 1955-1970) so etwas wie Fynn Kliemann für junge Leute: Der "Heimwerker-King" – gut gelaunt, treuherzig, grundehrlich. Heuer greift er indes nicht mehr selbst zum Hammer, sondern delegiert. So zumindest verhandelt es die neue Serie, die noch jeden Warenfetischismus im marxschen Sinne in realitas mit Vatermord falsifiziert. Damit wir on the same Page sind: In der Paraderolle des Santa Claus galt Allen allen als weihevoller Säulenheiliger. Ein Leuchtturm wider das Vergessen unserer Tradition. Memento vivendi – ob Biennale, Triennale oder Quadriennale – die alte Trilogie wurde stante pede abgekultet.  

Allen, Sohn eines deutschen Schornsteinfegers mit schlesischen Wurzeln und einer argentinischen Rechtsaußen-Lokalpolitikerin, war nie auf eine Rolle festgelegt: Er brillierte als besagter Heimwerker-King in "Hör mal, wer da hämmert" oder als Männerrechtler in "Last Man Standing". Letzteres, völlig zu Unrecht unter "Comedy" einsortiert, warf ein genuin-signifikantes Schlaglicht auf den Feminismus zeitgenössischer Prägung. "Hör mal, wer da hämmert"-Fans erinnern, wie Nachbar Mr. Wilson über den Zaun schielte und als willfährig-leutseliger Vasall mit Rat und Tat zur Seite stand. Daran gemessen ist "Santa Clause" eine Phalanx aus Koketterie und hermeneutisch fragwürdiger Räuberpistole. Wilson wurde durch Thunberg et al. ersetzt. Subversion durch Affirmation? Fehlanzeige! In medias res: Die De-facto-Enthierarchisierung der Spielzeugschmiede am Nordpol nimmt als Grandezza des Substrats "Nichtprivileg" Gestalt an: Mrs. Claus (medioker-ennuyiert gespielt von E. Mitchell) moniert, keinen eigenen Namen zu haben. Wir halten fest: Disney hält "Mrs. Claus" nicht für einen Namen, "Micky Mouse" hingegen schon. Linker Universalismus als avantgardistischer Trickle-down-Effekt – wer mag sich da noch wundern, wenn der deutsche Michel lieber "Ninja Warrior Germany" schaut?  

Die Handlung lässt sich so zusammenfassen: Eine Debatte um das richtige Renteneintrittsalter entbrennt, da Santa dement wirkt und seine Magie verliert – die "alten weißen Männer" bekommen erwartbar die volle Breitseite. Während Mr. Claus hernach in den Ruhestand geht, übernimmt ein Silicon-Valley-Abziehbild-Nerd namens Simon die Geschäfte und will, welch' Überraschung, alles digitalisieren (Drohnen). Zu meiner Zeit war es üblich, Entscheidungsträgern 100 Tage Schonfrist im neuen Amt angedeihen zu lassen (Stichwort Elon Musk). O tempora, o mores. Den Plot kennt man vom siebenfach oscarprämierten Meisterwerk "Noelle" (Disney 2019) in besserer Ausformung: Hier präsentierte man den Reformer als Strukturwandelgewinnler und verkniff sich wohlfeile Digitalisierungskritik gestriger Autoren. Zurück zur Serie: Durch die Onlinelieferungen sinkt die Weihnachtsstimmung, woraufhin sich die prekär beschäftigten Elfen in Luft respektive Feenstaub auflösen. Ähnliches sah man im Marvel-B-Movie "Avengers: Infinity War" (2018). Nichts daran ist hellsichtig oder en vogue. Da Mrs. Claus derweil in der "realen" Welt beruflich erfolgreich ist, kann die Metamorphose vom Last Man Standing zum Pantoffelhelden als vollzogen betrachtet werden. Mir ist das zu plakativ – wer mich kennt, der weiß das. Im ersten Film fiel Scott Calvin die Rolle des Weihnachtsmannes zufällig zu, als sein Vorgänger vom Dach fiel. Die Serie verrät nun, dass nichts zufällig geschah und Calvin erster menschlicher Santa werden sollte – ausgesucht von seinen Fabelwesen-Altvorderen, welche er in einer Art multistellarer Spiegeldimension kennenlernt. Universalpoetische Stringenz geht anders. Weiteres Exempel: In den Filmen ist Calvins erster Sohn Charlie der größte Weihnachtsfan, in der Serie will er nicht der neue Santa werden. Wer erdachte diese Charakterentwicklung? Der Grinch? Die "neuen" Kinder sind subkutan gesegnet mit magischen Fähigkeiten, da sie am Nordpol geboren wurden. Sprich: Sie sind keine normalen Heranwachsenden, die beispielsweise eine Ausbildung zum Klimatechniker machen würden, sondern Maulhelden im Weltverbessererkostüm. Gleichwohl möchte ich sekundieren: Wenn die sogenannte "Letzte Generation" Kartoffelsuppe auf "Santa Clause: Die Serie" werfen würde, täte es mir als Kunstaficionado kaum so weh wie bei einem Alten Meister.  

Dass die Rentiere von Michael Moore, Hillary Clinton und Al Gore gespielt werden, ist in bisherigen Besprechungen untergegangen. Ebenso wie die Tatsache, dass Veronica Ferres mithilfe von aufwendigen Motion-Capture-Verfahren vier Tiere gleichzeitig mimt. Vielleicht gerade deshalb, weil sie alle von Til Schweiger virtuos an die Wand gespielt werden. Der barfüßige Scene Stealer muss gelobt werden, spielt er doch meist eher Esel als Rentier. Es ist seine stärkste Performance seit "Manta, Manta" (1991)! Sie ändert traurigerweise nichts daran, dass die Santa-Serie das Wort Wintermarkt in Bewegtbild ist. Das Christentum ist lediglich monooptional-metaphorische Randnotiz. Betriebe ich hier proselytierende Sujet-Exegese, stünde ich ratlos zwischen Eremitage und Potemkinschen Dörfern: Ausgerechnet Santas depperter Sohn Cal wird Nachfolger-Notlösung. Eine bigotte Erbmonarchie in den nordischen Landen? Als desavouierendes Generationsscharnier funktioniert das nicht, aller Verehrung der realen Royals zum Trotz. Vielmehr züchtet das Leftist Buzzword Bingo aus Viktimisierung derartigen Meinungsbrutalismus, dass man dem Kadavergehorsam der Elfen das Wort reden möchte. Überhaupt: Die Elfen! Deren Conditio humana ist das beste Argument für die viel diskutierten Shifting Baselines: In vino (Kakao) veritas, sicher, aber coram publico servil! Am Ende muss eine Frau (oder "weiblich gelesene Genderperson:in") den Laden retten. Dem Werk würde weniger progressive Konsensorientierung guttun. Diese, primus inter pares, elegische Beweihräucherung darf meinetwegen zeitnah dem Orkus des Vergessens anheimfallen.  

Bei aller Liebe: Warum "darf" ich immer diese blöden Kritiken schreiben? Die Hälfte der Begriffe verstehe ich nicht, meine Tochter Ursel ist über Weihnachten in Klimaklebe-Gewahrsam und meine Frau Jeannette gendert neuerdings. "Frohes" Fest!
(Hinweis der Redaktion: Dieser Text ist kein Teil der Initiative "Satire in einfacher Sprache".)  

Martin Weidauer

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella