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Zwischen falschen Balanceakten und feschen Pandemien – Gespräch mit einem Wissenschaftsjournalisten

Nicht nur während einer globalen Pandemie ist Wissenschaftsjournalismus wichtig. Aber da natürlich schon ganz besonders, na klar. Deswegen hat TITANIC Dr. Dr. Reitendorf, dem Ressortleiter des Wissenschaftsteils des Ulmer Tagespiegels, die drängendsten Fragen der Zeit (nicht der Zeitung) gestellt: Womit beschäftigt sich Wissenschaftsjournalismus? Was sind seine Schwierigkeiten? Und könnten Sie das noch mal langsamer erklären, das habe ich leider nicht verstanden?

TITANIC: Lieber Herr Dr. Dr. Reitendorf, schön, dass Sie es heute einrichten konnten.

Dr. Dr. Reitendorf: Vielen Dank, ich freue mich, hier zu sein. Moment, ich muss kurz einen Faktencheck machen … Doch nicht. Also ich freue mich doch nicht, hier zu sein. Nicht. Ich muss doch keinen Faktencheck machen. Das ist absolut notwendig als Wissenschaftsjurnalist.

TITANIC: Schreibt man "Journalist" nicht mit "ou"?

Dr. Dr. Reitendorf: Woher soll ich das wissen? Meine Doktortitel sind in Vergleichende Inscheniörswissensschaften und Mathe für Angeber! Da interessier ich mich nicht so für Rechtschreibung …

TITANIC (investigativ): Aber ist Rechtschreibung nicht auch ein Fakt?

Dr. Dr. Reitendorf: Ach was, das ist alles nur Schnickschnack. Sprache verändert sich, blabla, da ist ja gar nichts hart Wissenschaftliches dran. Deshalb habe ich auch als einziger Journalist weltweit keine Meinung zum Gendern.

TITANIC (beeindruckt): Das ist beeindruckend. Womit beschäftigen Sie sich dann? (Versucht, beeindruckende Frage zu stellen) Gerade in der Pandemie gilt es ja bestimmt, über viele wissenschaftlich relevante Themen zugleich zu berichten, nicht wahr?

Dr. Dr. Reitendorf (sehr unbeeindruckt): Welche Pandemie meinen Sie denn?

TITANIC (gibt sich noch größere Mühe, zu beeindrucken): Na, Corona, Covid 19, Sars-Cov 2 und … äh … weitere Synonyme für diese Lungenkrankheit halt!

Dr. Dr. Reitendorf: Ach so, wir Wissenschaftsjournalisten beschäftigen uns natürlich nicht nur mit den Mainstreampandemien, sondern müssen auch die anderen weniger feschen Pandemien abdecken: Hühnerpest, französische Beulengrippe, Ohrenhusten und … äh … andere weniger bekannte Pandemien halt!

TITANIC: Ach guck an, was es nicht alles gibt …

Dr. Dr. Reitendorf: Lesen Sie etwa nicht unser Wissenschaftsressort?

TITANIC: Nee, sorry, ich lese immer nur im Feuilleton die Debatten über Identitätspolitik und Cancel Culture. Das hat mir mein Arzt verschrieben, ich habe zu niedrigen Blutdruck.

Dr. Dr. Reitendorf: Moment … Mein Faktencheck sagt, das ist Blödsinn und Sie haben einen sogenannten Witz gemacht.

TITANIC: Tschuldigung, Berufskrankheit. Wo waren wir?

Dr. Dr. Reitendorf: Eigentlich wollten Sie mich zu den Schwierigkeiten des Wissenschaftsjournalismus befragen? Dazu kam aber bisher irgendwie noch nichts?

TITANIC: Ach so, ja (raschelt mit Notizen). Hmm, hm, ja. Dann frag ich Sie jetzt einfach mal: Welche Schwierigkeiten gibt es denn so im Wissenschaftsjournalismus?

Dr. Dr. Reitendorf: Ah ja, wichtige Frage … Viele meiner Kollegen würden Ihnen sagen, dass ein großes Problem des Wissenschaftsjournalismus die sogenannte false balance sei. Also dass man zu einem Thema, zu dem in der Wissenschaft Konsens herrscht, unterschiedliche Perspektiven darstellt und somit eine Kontroverse suggeriert, die es so gar nicht gibt. Ich bin da aber skeptisch, mir ist es immer wichtig, auch jemanden zu finden, der die false balance nicht so schlimm findet. Für die Ausgewogenheit, verstehen Sie?

TITANIC: Hm, das ist natürlich sehr ehrenwert von Ihnen.

Dr. Dr. Reitendorf: Mensch, junge Frau, jetzt passen Sie doch mal auf hier! Das war doch gerade großer Schwachsinn, den ich da erzählt hab! Da müssen Sie doch kritisch nachfragen.

TITANIC: Ach ja, wieso das denn?

Dr. Dr. Reitendorf: Guter Schritt in die richtige Richtung! Wenn Sie so weitermachen, wird aus Ihnen noch was!

TITANIC: Moment … Mein Faktencheck ergibt, dass das leider nicht wahr ist. Aber Themenwechsel: Welche Schwierigkeiten gibt es denn sonst noch im Wissenschaftsjournalismus?

Dr. Dr. Reitendorf: Das ist kein Themenwechsel, genau die gleiche Frage haben Sie mir gerade eben schon gestellt.  

TITANIC: Sie sind aber ein ganz schöner Klugscheißer!

Dr. Dr. Reitendorf: Tschuldigung, Berufskrankheit … Außerdem sind Sie doch diejenige, die mir gerade eben erklärt hat, wie man Jurnalismus schreibt!

TITANIC: Sprache ist halt auch wichtig!

Dr. Dr. Reitendorf: Dann interviewen Sie doch jemanden vom Feuilletong!

TITANIC: Wollte ich ja, aber die sind alle mit irgendwelchen Onlinetheateraufführungen beschäftigt! Ach, tut mir leid … Ich bin heute schlecht gelaunt, ich glaube, das liegt daran, dass gerade Neumond ist.

Dr. Dr. Reitendorf: Also Astronomie ist nun erwiesenermaßen Quatsch, das können Ihnen sogar die Kollegen vom Fölleton erklären!

TITANIC: Meinen Sie nicht Astrologie?

Dr. Dr. Reitendorf: Nee, ich mein schon genau das, was ich sage. Die Wissenschaft ist da gerade an einer ganz großen Entdeckung dran – einem Quantensprung sozusagen: Es gibt vielleicht gar keine Himmelskörper, es hatte nur jeder, der die Gestirne bis jetzt beobachtet hat, immer etwas Dreck im Auge.

TITANIC: Wow, das ist ja mal eine Erkenntnis! Leider haben wir jetzt keine Zeit mehr, um darauf noch näher einzugehen. Muss man dann wohl bei Ihnen im Ressort nachlesen … Na ja, ich wünsche Ihnen aber noch einen schönen Abend und sage vielen Dank für das interessante Gespräch.

Dr. Dr. Reitendorf: Mein Faktencheck ergibt, dass Sie das Gespräch nicht interessant fanden und richtig froh sind, jetzt einfach Feierabend machen zu können. Außerdem haben Sie überhaupt nicht verstanden, was ich Ihnen erzählt habe, und brechen deswegen jetzt das Gespräch ab! Wünsche Ihnen aber natürlich trotzdem einen schönen Abend!

TITANIC: Vielen Dank, sehr lieb!  

 

Laura Brinkmann

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella