Artikel

Baum vorm Mund – Waldbaden mit Peter Wohlleben

Ein Selbstversuch von Ella Carina Werner

Da steht er, am Rand des Teutoburger Waldes, und winkt uns fröhlich hinein: Peter Wohlleben, Celebrity-Förster und Deutschlands Waldexperte Nr. 1. Auf seinem Kopf eine Waldbadekappe aus selbst geflochtenen Farnen. "Hereinspaziert! Aber bitte Socken ausziehen", tönt der Mann mit dem Körperbau einer verwachsenen Eiche.

"Waldbaden" heißt der Trend der Stunde. Peter Wohlleben hat ihn populär gemacht. In seiner Waldakademie (www.wohlleben.waldakedemie.zip.review.ru) kann man diese alte Kulturtechnik neu erlernen. Ich habe den 90-Minuten-Kurs "Waldbaden für urbane Arschlöcher" für schlappe 299 Euro gebucht. 

"Waldwandern, Trimm-Dich-Pfade, bissl Joggi-Joggi", ermahnt Wohlleben uns 25 Städter gleich zu Beginn, das könne jeder. Die Kunst sei, sich wirklich auf den Wald einzulassen, mit den Bäumen eins zu werden. Wald und Baden, das sei so symbiotisch wie Kornfeld und Bumsen, flachst Wohlleben. Der Wald sei ein "einzigartiger Quell aus Fäulnis, Verwesung und Tod", schwärmt er und stapft uns munter voraus. Farne, Moos und Wurzelwerk passieren unseren Weg. Wohlleben stoppt, erläutert die erste Lektion: Jeder Kursteilnehmer stelle sich vor einen Baum, mit der Nasenspitze zur Rinde. "Und jetzt beide Arme drumrum schlingen, ganz fest." Der namhafte Forstmann macht es vor, umfasst behände den Stamm. Beginnt, dessen Rückseite zu streicheln, mit den Händen hinab und hinauf zu fahren, "wie beim Klammerblues", ganz zärtlich hinab und hinauf: "Ich stelle mir dabei immer vor, der Baum sei Diane Kruger." Eine Träne benetzt das Holz. Dann winkt er uns herbei. Wer Berührungsängste habe, könne die Übung erst einmal an seiner Wenigkeit ausprobieren, gestattet Wohlleben und zwinkert der Bachelor-Studentin neben mir zu.

Waldbademeister Peter Wohlleben auf Arbeit

Nach einem kurzen Gewaldmarsch unterbreitet Wohlleben die zweite Lektion: In den Waldboden eintauchen, ganz tief. Die ersten Teilnehmer lassen sich bereits zu Boden gleiten. "Halt, ihr Asphaltidioten, ihr Stadtuntermenschen!" Er hebt einen Zeigefinger wie einen gammligen Tannenzapfen: "Halloo? Mit Anziehsachen? Macht ihr das zu Hause in eurer Wanne auch?" Der Waldfuchs beginnt, sich auszuziehen, geht mit gutem Beispiel voran. In enger Waldbadehose, aus Unterholzfasern geknüpft, absolviert er ein paar Trocken-Krauler, springt beherzt ins Moos: "Guckt mal, eine Arschbombe!" Dann geht es los. Reglos liegen wir verstreut auf dem Waldboden wie Klimaaktivisten im Deutschen Bundestag. Schließen die Augen. Drücken die Nase in den Waldboden. Erfahren den Wald mit allen Sinnen. "Vor allem mit dem Geschmackssinn", befehligt Wohlleben und schlabbert mit der Zunge über die Erde: "Eine kulinarische und olfaktorische Expolosion!" Eine Explosion, die mit drei, vier Gramm psychedelischen Pilzflechten, die dort drüben wüchsen, übrigens noch intensiviert werde. "Spürt ihr die Waldesruh und die toten Seelen der Römer, gefallen hier in der Varusschlacht?"

Jetzt, endlich, gelte es, alles loszulassen. Zum Beispiel unsere Geldbeutel. Für nur 499 Euro könne man fürs Wochenende das Seminar "Waldeinsamkeit. Eine Gruppenexkursion" hinzubuchen oder das freche Mitternachtsprogramm "Waldbaden mit Uwe Barschel". Wohlleben zwinkert: "Man muss als Waldevent-Manager auch mal provozieren, Akzente setzen!" Denn: Längst seien ihm die Epigonen auf den Fersen. Jede Wirtsfrau im Spessart biete mittlerweile Waldbaden-Kurse an, Waldbaden-Akademien schössen aus dem Boden wie der Killer-Pilz unter den Achseln. Hier, ganz in der Nähe, preise sich eine dahinsiechende Kurstadt seit kurzem gar als "Waldbad-Salzuflen" an. Ein Teilnehmer neben mir fuhrwerkt in Boxershorts mit seinen Händen im Boden, stößt auf etwas Hartes, Knochiges, hält es in die Luft. "Schöne Scheiße, diese Ecke hier ist ja ein Friedwald!", schlägt sich Wohlleben die Hand eines Eichhörnchens gegen die Stirn und lotst uns eine Lichtung weiter.

Waldbaden hat im Bayerischen Wald eine lange Tradition.

Schon 75 Minuten. Wir passieren eine Batterie Buchen. "Buche, Buche, Buche ... ja sind wir hier in Buchenwald, oder was?", lacht der Waldhüter. Die Bachelor-Studentin lupft eine Augenbraue. "Auch Wälder haben das Recht, dass man Witze über sie macht. Bäume sind ironiefähig", verteidigt sich Wohlleben, während sein Zeigefinger hier und dort auf die Erde weist. Was man im Wald alles fände: "Esskastanien, Baumstümpfe ... und hier, seht mal alle her, eine prachtvolle Eichel!", gellt er und zieht seine Badehose ruckhartig herunter, dass die Studentin endgültig die Nerven verliert. "Och kommt, war doch nur ein Joke!" Letze Lektion: Der Kontakt mit dem Tier. Waldbaden - das sei es übrigens, was uns vom tumben Tier unterscheide. "Die können einfach nicht mehr genießen", schüttelt Wohlleben traurig den Kopf: "Wuseln hier gestresst rum und suchen nur nach Nahrung. Immer ackern, fressen, schlafen, mehr haben die Doofis nicht im Sinn!"

Kontemplativ betrachtet Wohlleben zwei sich paarende Füchse. "Dabei könnt ich stundenlang zusehen." Von der Rinde eines alten Ahorns zupft er einen Borkenkäfer, steckt ihn sich in den Mund: "Dieser kesse Massenschädling denkt doch tatsächlich, er sei der König des Waldes. Dabei bin das ich!" Zum Abschluss gibt es für alle eine Haarkur. Wohlleben versenkt unsere Köpfe reihum in einem Ameisenhaufen: "Ein altes masurisches Initiationsritual." Dann heißt es: "Adieu! Und abonniert mal meine neue Zeitschrift 'Wohllebens Geld'!" Und wer im Anschluss noch das "Siebenschläferchen" als aufbügelbares Waldbade-Abzeichen erwerben wolle, solle sich nur melden. Der Top-Förster dreht sich um und entschwindet, ehe das Unterholz sein frettchengleiches Lachen verschluckt.

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg