Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: The Show’s Going On
Das wollte Robert Gernhardt unter anderm: Die Welt nicht als dümmeren Ort verlassen, als er sie vorgefunden hatte. Ob ihm das gelungen ist, will ich nicht beurteilen; daß mir es nicht gelingen wird, ist so gut wie sicher.
Jetzt bauen die Briten, mit französischer und chinesischer Unterstützung, auch noch ein neues Atomkraftwerk. Es soll die sagenhafte Summe von 22 Milliarden Euro kosten, 2025 fertig sein und sowohl die britische Energieversorgung als auch die nationalen Klimaziele sichern helfen. Über einen Zeitraum von 35 Jahren sorgt der britische Staat beim in Hinkley Point C erzeugten Strom für einen garantierten Abnahmepreis, von dem zu lesen war, er liege z.Z. 100 Prozent über dem Marktpreis, was Greenpeace die „energiewirtschaftliche Vernunft“ der Angelegenheit bezweifeln läßt: Durchgesetzt hätten sich „die Interessen der Atomlobby und der beteiligten Investoren … Mehr als 100 Milliarden Euro steuerfinanzierte Subventionen, garantiert für 35 Jahre – und das, obwohl erneuerbare Energien deutlich günstiger wären … Möglich auch, daß Hinkley Point C trotz der exorbitanten Subventionen niemals Strom liefert, sondern zum größten Milliardengrab aller Zeiten wird. Denn juristische, wirtschaftliche und technische Hürden – wie etwa Probleme am geplanten Reaktorgehäuse – sind noch immer nicht ausgeräumt.“
Die „vollständige Transformation der Welt in eine Welt, die mehr eine von Mitteln ist als von Zwecken“, beklagte Max Horkheimer in seiner „Kritik der instrumentellen Vernunft“, und wirklich: „Die Heuchelei“, daß nämlich die Welt, wie sie ist, einen Sinn, ja noch auch nur einen Zweck habe, „ist zynisch geworden; sie erwartet nicht einmal mehr, geglaubt zu werden.“ Nicht im Ernst kann irgendwer glauben, Atomkraft sei zugleich sicher, umweltfreundlich und wirtschaftlich: Nirgends auf der Welt gibt es eine verläßliche Lösung für den Müll, der über 1000 und mehr Generationen gelagert werden muß, und nirgends auf der Welt wäre je auch nur eine Kilowattstunde Atomstrom ohne Berge von Steuergeld produziert worden. Der Rückbau eines einzigen Meilers dauert Jahrzehnte und verschlingt wiederum Milliarden, und daß die Rücklagen der deutschen Stromkonzerne dafür ausreichen, glauben sie vermutlich selbst nicht; eine ARD-Doku bezifferte die Deckungslücke auf mindestens 35 Milliarden Euro, alles von der Politik standortfreundlich abgefedert: „eine in der Geschichte der Republik beispiellose Kungelei auf Kosten der Allgemeinheit“ (daserste.de).
„Der grenzenlose Imperialismus des Menschen ist niemals befriedigt.“ Horkheimer, 1947
Was die sagenhafte Klimaneutralität anlangt, sah sich selbst Focus.de, nicht eben die Avantgarde grünen Spinnertums, zu der Schlagzeile „Die CO2-Lüge“ veranlaßt und rechnete vor, daß „der Block C des AKW Gundremmingen mit einer Stromproduktion von elf Milliarden kWh pro Jahr für den Ausstoß von 352 000 Tonnen CO2 verantwortlich“ sei. Überdies wird Uran als Brennstoff immer knapper, seine Gewinnung immer aufwendiger, „mit gravierenden ökologischen Folgen“ (ebd.). In Finnland wird seit 2005 an Block III des AKW Olkiluoto herumgebaut; die Kosten haben sich bislang auf neun Milliarden Euro verdreifacht.
Geschieht auch alles ohne Sinn, geschieht es doch nicht ohne Grund: „Hinkley ist ein Demonstrationsobjekt, um französische Reaktortechnologie in die ganze Welt zu exportieren“, erläutert die gewogene BBC auf ihrer Netzseite. „Die Chinesen … übernehmen ein Drittel der Kosten von 18 Milliarden Pfund, um in Westeuropa einen Fuß in die Tür zu kriegen. Das Geschäft umfaßt einen Anteil an einem neuen Projekt in Sizewell und die Möglichkeit, eigene Reaktoren in Bradwell/Essex zu bauen.“ Langweilig werde die Marktwirtschaft nie, sang Jochen Distelmeyer mal. Ich bin mittlerweile geneigt, das für Ironie zu halten.
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